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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.4233#0054
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Urs Grafs früheste Arbeiten für den I [olzschnitt.

Als die ältesten uns bekannten Arbeiten Urs Grafs gelten die Holzschnitte zu Matthäus Ringmanns Passion, die
in verschiedenen Ausgaben bei Knoblouch in Straßburg erschienen ist. Die früher gehegten Zweifel an der Identität
ihres Yerfertigers mit Urs Graf scheint man nun endgültig aufgegeben zu haben. Wie ich glaube mit Recht. Denn
der stilistische Zusammenhang dieser zum Teil noch etwas unbeholfenen Jugendarbeiten unseres Künstlers mit seinen
späteren Werken ist überall deutlich zu erkennen. Die erste datierte Ausgabe der Passion Ringmanns stammt aus dem
Jahre 1506. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß schon vor dieser Ausgabe mit deutschem Texte die undatierte
lateinische entstanden sei. Einmal, weil man überhaupt eine lateinische Auflage als der ersten deutschen (der Über-
setzung) vorhergehend vermuten darf, dann aber auch, weil allein in dieser undatierten lateinischen Ausgabe, die
überdies die Holzschnitte in sehr feinen scharfen Abdrücken bietet, das Wächtlinsche Blatt mit der Auferstehung
noch fehlt, das in der deutschen Ausgabe von 1506 hinzugefügt, in allen späteren an die Stelle des letzten Bildes
gleichen Gegenstands von Urs Graf gesetzt worden ist. Daß die Holzschnitte wenigstens teilweise schon vor 1506 ent-
standen sind, geht auch aus dem Datum 1503 auf einem Blatte, dem dreizehnten, Judas vor dem Hohenpriester, hervor'.
Eines der Urs Grafschen Passionsbilder, die Auferweckung des Lazarus, unterscheidet sich nicht unwesentlich im
Stil der Komposition von den andern unter sich gleichartigen Darstellungen der Folge. Es ist eine freie Umarbeitung
eines Holzschnitts im Leben der Heiligen, das 1502 in Straßburg in Grüningers Offizin gedruckt worden ist2. Eine
Kopie nach diesem Bilde kann man Urs Grafs Darstellung wohl nicht nennen, denn es hat nicht nur jede Gestalt
und Gruppe eine mehr oder weniger starke, oft wesentliche Umgestaltung erfahren, auch die ganze Komposition
ist verändert, die Figuren sind vergrößert, aber trotzdem mehr freie Flächen gewonnen und eine größere Übersicht-
lichkeit und Klarheit der Gruppierung erzielt worden. Ebenso zeigt die Landschaft andere Linien und eine andere
.Massenverteilung. Das Monogramm dieses Blattes weicht von den Bezeichnungen der andern der Folge etwas ab,
doch braucht deshalb an Urs Grafs Autorschaft nicht gezweifelt werden. Besonders in der Gestalt Ghristi ist sein
eigentümlicher Stil unverkennbar. Das nach dem Heiligenleben kopierte Blatt der Passion fällt zunächst vorteilhaft auf.
Der Illustrator des Heiligenlebens zeigt allerdings viel größere Geschicklichkeit im Komponieren der Gruppen und in der
Füllung des Raumes, weit mehr Routine in der Formgestaltung als Urs Graf in seinen selbständigen Kompositionen
der Passion.

Man wird dies Verhältnis jedoch etwas anders beurteilen, wenn man erkannt hat, daß der junge Künstler
hauptsächlich deshalb so wenig glücklich ist, weil er sich im Gegensatz zur üblichen Bücherillustration hier, wenn
auch vorerst mit geringem Erfolg, in einem großrigurigen, weiträumigen, sozusagen monumentalen Stil versucht.
Zweifellos ist es das Beispiel, das Dürer in seiner Apokalypse gegeben hatte, das Urs Graf zu solchen, freilich noch
recht unsicheren Schritten auf eine größere Bühne angeregt hat. Jedenfalls wird er mit seiner für die Buchillustration
damals noch ungewohnten Anordnung umfangreicher Gruppen von Figuren größeren Formats in tiefen, fast leeren
Räumen bestimmte Wirkungen beabsichtigt haben. Man muß das im Auge behalten, um zu verstehen, daß trotz ihrer
Schwächen in der Ausführung die Urs Grafschen Bilder der mehr tlächenhaft schematisch komponierenden alten
Hücherillustration gegenüber doch etwas Neues waren und einen Fortschritt bezeichnen, der doch wohl nicht ohne
Einfluß auf die Weiterentwicklung der Illustrationskunst geblieben sein wird. In seinem Streben nach bildmäßiger
monumentaler Ausgestaltung der Holzschnittillustration hat unser Künstler freilich viele, zum Teil erfolgreichere
Genossen gehabt. Die Tendenz der künstlerischen Entwicklung im Beginn des XVI. Jahrhunderts drängte eben nach
dieser Richtung hin.

Wie die Passionsholzschnitte Urs Grafs innerhalb der Straßburger Buchillustrationen der alten geschickten Mache,
sozusagen des Landkartenstils, auffällig erscheinen, so wirken unter den Holzschnitten der ersten, 1503 in Freiburg
von dem Straßburger Drucker Johann Schott veröffentlichten Ausgabe von Gregor Reischs Margarita philo sophica
zwei Blätter des gleichen Kompositionsstils befremdlich und erfreulich zugleich. Das beliebte Buch, das später in
Straßburg und in Basel, zum Teil mit den gleichen Illustrationen, häufig wieder abgedruckt wurde, ist mit einer
Reihe von Holzschnitten der Straßburger Manier versehen, die in treuherziger und unbeholfener Weise die gedanklichen
Vorstellungskreise, in die das Werk Reischs einführen soll, zu veranschaulichen sich bemühen. Aus dieser Reihe fallen

i S. His in den Jahrbüchern für Kunstwissenschaft VI. (1873), p. 150 ff. — Emil Major, Urs Graf, Straßburg, Heitz 1907. — Hans Koegler,
Beiträge zum Holzschnittwerk des Urs Graf. Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde. N. F. IX. (1907.) p. 43, 132, 213.

• Abb. in des Verfassers Straßburger Bücherillustration, Taf. 1(5. Hier ist übrigens eine Gestalt, der Mann ganz rechts im Mittelgrunde, Dürers
Apokalypse (der babylonischen Buhlerin, B. 73) entlehnt.
 
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