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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.8342#0020
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Abb. 7. Moritz von Schwind, Jüngling im Kahn.

getuschten Bleistiftzeichnung bei Herrn A. Otto Meyer in Hamburg, die von Weigmann in das Jahr 1823 gesetzt
wird (Klassiker der Kunst X, 11) und in der vielleicht ebenfalls eine Heinesche Stimmung anklingt:

Mein Liebchen, wir saßen beisammen

Traulich im leichten Kahn.

Die Nacht war still und wir schwammen

Auf weiter Wasserbahn.

(Lyrisches Intermezzo 42.)

Das Abschneiden des Kahnes ist so charakteristisch, daß die beiden Zeichnungen zueinander gehören müssen;
beide zeigen, wie Schwinds Zeichenweise dem Charakter der allen Gedichten Heines eigentümlichen »reinen
Objektivität der Darstellung« besser entgegenkommt als der Stimmungslyrik des Goetheschen »Erlkönigs«.

Wie sehr die Form, der Kontur im Vordergrund des Interesses stehen, zeigt die Kleidung des Schiffers im Kahn;
der eckige Halsausschnitt rührt von dem Turnerideal der »altdeutschen« Tracht her. Die knapp angeschmiegten Bein-
linge, die übergangslos in das ebenso stramm sitzende Wams übergehen, sind ein Rettungsversuch klassischer Nackt-
heit, wie die Trikotfiguren der Michelangelo-Nachfahren es sind; Konzessionen einer endenden Kunstperiode, in deren
Ideal reiner Formwiedergabe die siegreichen Fanfaren beginnender Farbigkeit, beginnender Formauflösung hereintönen.
Solche Übergangsstufen sind uns, die wir vollen Kolorismus oder aber reine Formenfreude zu würdigen vermögen,
besonders verhaßt und deshalb ist uns die Farbe der Nazarener ebenso unleidlich wie die der sogenannten Manie-
risten. Aber es würde zu weit führen, manchem weiteren Parallelismus nachzugehen; nur an die psychologische Ver-
wandtschaft der beiden Epochen sei erinnert: auf die heroische Nacktheit des »Jüngsten Gerichts« folgt der frömmelnde
Eifer des Nuditätenschnüfflers Ammanati, des Braghettone, der Gegenreformationsmaler; gegen »den großen Heiden«
lockt die neudeutsch-katholische Kunst auf, die auf das Studium nach dem nackten weiblichen Modell verzichtet,
weil dadurch »gewisse Empfindungen abgestumpft werden« (Overbeck an seinen Vater).

Erst der Münchner Zeit (etwa 1830—1840) mag das anmutige, leise hingehauchte Bleistiftporträt Frau Fanny
Oliviers angehören (Abb. 8), ein liebliches Bildnis von gleich großem Reiz in Haltung und Ausdruck. Noch später
dürfte ein kunstgewerblicher Entwurf, eine aquarellierte Vorlage für ein eingelegtes Holzkästchen anzusetzen sein
 
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