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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.3753#0049
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MITTEILUNGEN

DER

GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.
BEILAGE DER „GRAPHISCHEN KÜNSTE".

1912.

WIEN.

Nr. 3.

Studien und Forschungen.

Ein gotisches Figurenalphabet aus dem Ende des XIV. Jahrhunderts und der

Meister E. S.

Figureninitialen hat es schon im frühen Mittelalter gegeben. Von Jen Fisch- und Yogelalphabeten der irischen
Handschriften des VII. und VIII. Jahrhunderts bis zu dem gestochenen Figurenalphabet des Meisters E. S.' oder den
noch späteren Alphabeten des Peter Flötner und Noel Garnier- können wir die aus lebenden Wesen gebildeten
Buchstabenkörper durch Handschriften und Druckwerke in ihrer Entwicklung verfolgen. Doch sind die Buchstaben,
die uns in ganzen Alphabeten, teils in Handzeichnungen, teils in Holzschnitten oder Kupferstichen überliefert sind
und die zweifellos dem Zwecke der Vervielfältigung zu dienen bestimmt waren, allem Anschein nach erst eine
Erfindung des späteren Mittelalters.

Das älteste bisher bekannte und vollständig erhaltene dieser Figurenalphabete befindet sich im Berliner Kupfer-
stichkabinett. Es wurde vor einigen Jahren aus der Sammlung Felix in Leipzig erworben und zeigt in getuschten
Federzeichnungen dreiundzwanzig Buchstaben, die aus kuttentragenden Menschen, Fabeltieren und Blattranken
gebildet werden. Das Alphabet wurde von Kämmerer, der ihm eine ausführliche Besprechung gewidmet hat,3 und
ebenso von Jaro Springer4 in das erste Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts datiert.

Ich glaube nun in einem Skizzenbuch in der Biblioteca civica zu Bergamo ein noch älteres Beispiel eines der-
artigen figuralen Musteralphabetes gefunden zu haben. Dieses Alphabet umfaßt fünf Seiten des höchst interessanten,
bereits mehrfach in der Literatur besprochenen Zeichenbuches.5 Es besteht aus dreiundzwanzig Buchstaben in gotischer
Minuskel,« von denen abis g lavierte Federzeichnungen sind (Abb. 1), während I| bis J schwach farbige Aquarellierung
aufweisen. (Abb. 2, 3, 4). Ich gebe im folgenden eine kurze Beschreibung der einzelnen Buchstaben.

a Den i echten Yertikalbalken bildet ein vom Rücken gesehener wilder Mann, zu dessen Füßen ein phantastischer
Vogel mit lang emporgestrecktem Halse steht. Der Mann greift mit beiden Händen über seinen Kopf empor zu einem
Löwen, der ihn in den Arm beißt. Den linken Teil des Buchstaben bildet der lange eingerollte Schweif des Löwen,
den ein in hockender Stellung befindlicher, bedeutend kleinerer wilder Mann mit beiden Händen hält. Zu dessen
Füßen ein chimärisches Tier.

tt Links eine weibliche Heilige mit Scheibennimbus. Zu ihren Füßen ein liegender Hund, auf ihrem Scheitel
ein Raubvogel. Rechts ein bärtiger Mann in ausgezaddeltem Gewand, der mit den Händen die Füße eines Raub-
vogels hält. Unter ihm ein zusammengekauerter Hund.

I Eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten mittelalterlichen Handschriften mit Figureninitialen bei Ludwig Kämmerer: »Ein spat-
gotisches Figurenalphabet im Berliner Kupferstichkabinett«, Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, 1897, pag. 210.

a Robert-Dumesnil: Le Peintre-Graveur francais. Jaro Springer: Gotische Alphabete, Publikation der chalkographischen Gesellschaft, 1897,
pag. 7.

3 Ludwig Kämmerer: Op. cjt., Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, 1897.

k Jaro Springer: Gotische Alphabete.

■' Bergamo, Biblioteca civica. Cud. A VII. 14. ,1 - ij auf Blatt 2(1 v. und 27 r., 1|— b auf Blatt 29 v. und 30 r., X—{ auf Blatt 30 v. Vergl. Pietro
Toesca: Michelino da Besozz« e Giovannino dei Grassi, l.'Arte, 1905, pag. 321 IT.

II Wie bei den andern ähnliehen Alphabeten ist für die Buchstaben Li, v, w nur ein Zeichen verwendet.
 
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