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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.3753#0063
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Abb. 16. Unbekannter Veronese vom Ende des XV. Jahrhunderts:
Buchstabe a. Zeichnung in den Uffizien zu Florenz.

Abb. 17. Unbekannter Veronese vom Ende des XV. Jahrhunderts :
Buchstabe Jr. Zeichnung in den Uffizien zu Florenz.

E. S., zwei Glocken trägt.1 Die Bearbeiter des Meisters E. S. haben auch diese Übereinstimmung als Haken für eine
chronologische Fixierung verwendet. - Mit Unrecht. Unsere Ausführungen, die die Benutzung des alten Vorbildes durch
Meister E. S. unbestreitbar ergeben haben, lassen keinen Zweifel darüber, daß er auch das x von demselben über-
nommen hat, um so mehr als die Verwandtschaft mit dem Holzschnitt weit geringer erscheint. Da aber auch die
sachlich und stilistisch wohlfundierte spätere Datierung, zu der Lehrs und Geisberg gelangen, kaum zu bestreiten ist,
erscheint damit auch die Abhängigkeit des Holzschnittbuchstaben von unserem Alphabet als erwiesen.

Unsere Beweisführung erscheint somit geschlossen. Alles deutet darauf hin, daß wir in dem Alphabet
zu Bergamo die Kopie eines oberitalienischen Miniators nach einem deutschen Original aus dem
Ende des XIV. Jahrhunderts gefunden haben. Die Frage nach dem engeren Kunstzentrum Deutschlands,
aus dem dieses Original stammte, läßt sich kaum beantworten, solange wir nicht deutlichere Hinweise auf eine
bestimmte Lokalschule haben.3

Unsere Betrachtungen ergaben ferner, daß unser Alphabet ein Dokument des neuen naturalistischen Stiles ist,
der sich in Frankreich im Anschluß an die Plastik entwickelt hat und um die Wende des XIV. und XV. Jahrhunderts
in ganz Westeuropa der Kunstentwicklung neue Bahnen wies. Und daß das Original unseres Alphabets, dem ja eine
hervorragende künstlerische Erfindung — auch wenn wir es nur durch das Intermedium der erhaltenen Kopien
beurteilen können — nicht abzusprechen ist, selbst über die Grenzen seiner Heimat hinaus Ansehen genoß, dafür
sprechen nicht allein das Holzschnittalphabet und die Handzeichnungen in Bergamo, sondern auch die Kopien
zweier Buchstaben von der Hand eines Italieners, die sich in den Uffizien zu Florenz befinden. Es sind die Initialen

> Ich mochte hier nicht unerwähnt lassen, daß ein Mann mit zwei Glocken auf einer Miniatur der Wenzelsbibel (Wien, k. k. Hofbibliothek,
Nr. 2760), Band II, pag. 81 r., dargestellt ist. Er begleitet mit drei andern Musikanten einen Zug. Es ist nicht uninteressant, daß diese vier
Musikanten genau dieselben Instrumente tragen, nämlich Zither, Mandoline, Violine und Glocken, wie die Musikanten auf dem .\ in Beigamo.

• Max Geisberg: Op. cit., pag. 107. — Max Lehrs: Geschichte und kritischer Katalog etc., Band II, pag. 373.

3 Wir haben, wie aus unseren Erörterungen hervorgeht, an eine Entstehung in Böhmen gedacht, wo einerseits die heimische Schule von
Augnon beeinflußt erscheint, andrerseits im XIV. Jahrhundert ein besonders reiches Kunstleben blühte. Auch fanden wir in böhmischen Hand-
schriften manche Analogien. Insbesondere erinnert der Faltenstil und der Kopftypus der Figuren an böhmische Werke vom Ausgang des XIV. Jahr-
hunderts. So der Kopf des Mannes im rechten Vertikalbalken des il oder die Madonna im m usw. Doch bleibt diese Zuschreibung vorläufig eine vage
Vermutung, die jeder sichern Stütze entbehrt.
 
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