wenigstens in der Gestait des vorliegenden Werkes verwirklicht
zu sehen.
Mag aber auch die Publikation, wie sie dank der erprobten
Befähigung und Tatkraft des Herausgebers und dank der Einsicht und
Opferwilligkeit des Verlegers endlich zustande gekommen ist, im Vergleich
mit Geymüllers Riesenplänen bloß ein »geretteter Kahn« sein, so stellt
sie sich doch, absolut genommen, als ein groß angelegtes Unternehmen
dar, dem nur zu wünschen ist, daß ihm Kunstforscher und Kunstfreunde
mit dem gleichen werktätigen Interesse begegnen mochten.
Die Mannigfaltigkeit des Inhaltes des ganzen Werkes kommt bereits
in der ersten Lieferung des ersten Bandes deutlich zum Ausdruck. Sic
euthiilt folgende Blätter: Deutscher Steinmetz (Ende des XV. Jahr-
hunderts), Entwurf zu einer Rathausfassade. Hans Boblinger, Ansicht
der ehemaligen Spüalskirchezu Eßlingen (1501). Nürnberger Künstler
(erste Hälfte des XVI. Jahrhunderts), Entwurf zur Bemalung der 1619
demolierten Westfront des alten Rathauses in Nürnberg. Bernardino
Poccetti (1542 bis 1612), Skizze für eine Fensterdekoration. Martino
Lunghi d. Ä. (zweite Hälfte des XVI. Jahrhunderts), Entwurf für eine
Kirchenfassade. Giovanni Alb erti dal Borgo S. Sepolcro (1558 bis
1601), Skizze zu einer Plafonddekoration für Clemens VIII., Aldobrandini.
Italienischer Kunstler (Ende des XVI. Jahrhunderts), Entwurf für
die Dekoration eines Kreuzgewölbes in S. Maria Maggiore in Rom.
Italienischer Künstler (Ende des XVI. Jahrhunderts), Skizze für
eine Plafonddekoration. Lorenzo Bernini (159S bis 1680), Skizzen
für den bekrönenden Baldachin des Hochaltartabernakels von St. Peter
zu Rom. Girolamo Rainaldi (1570 bis 1655), Projekt für den Neubau
der beiden Glockentürme von St. Peter in Rom und Entwurf für die
Fassade von St. Agnese auf der Piazza Navona zu Rom. GiuseppeGalli-
Bibie na (1696 bis 1756), zwei Entwürfe, der eine für den Hintergrund
einer Passionsdarstellung, der andere für eine Bühnendekoration.
Alexandre Le Blond (1679 bis 1719), zwei Detailaufnahmen der
Wasserwerke im Parke von St. Cloud. Francois Le Moyne (16S8 bis
1737), Entwurf für eine Saaldekoration. H u b e rt R o b e rt (1773 bis 1808),
Skizze zu einem antikisierenden Monumentalbau. Jean Francois
Chalgrin (1739 bis 1810), Entwurf für einen Ballsaal anläßlich der
Vermählung Ludwigs XVI. mit Marie Antoinette. Johann Ferdinand
Hohenberg von Hetzendorf (1732 bis 1816), Projekt für die Aus-
gestaltung der Parkanlagen des kaiserlichen Lustschlosses Schönbrunn
bei Wien und Entwurf für die gegen den Michaelerplatz zu gerichtete
Fassade der k. k. Hofburg in Wien.
Sämtliche Zeichnungen befinden sich in Wien, und zwar in den
Sammlungen der Albertina, der Akademie der bildenden Künste und
der Hofbibliothek. Der Fassadenentwurf eines deutschen Steinmetzen
vom Ende des XV. Jahrhunderts, ein Blatt, das heute in der Akademie
der bildenden Künste aufbewahrt wird, stammt interessanterweise aus
der Dombauhütte von St. Stephan in Wien.
Daß für die Erklärung der einzelnen Blätter stets die eigenen
ergebnisreichen Forschungen verwertet sind, versteht sich bei dem
gelehrten Herausgeber des Codex Escurialensis und des Verzeichnisses
der architektonischen Handzeichnungen in der Wiener Hofbibliothek
von selbst.
Die Reproduktionen der Tafeln, ein- und mehrfarbige Lichtdrucke,
sind durchwegs vorzüglich. Der Text ist durch einige Klischees bereichert.
Wie eng die alte Architekturzeichnung mit dem Kupferstich ver-
knüpft ist, biaucht wohl nicht eigens hervorgehoben zu werden. Dieser
hilft bei der Identifizierung jener und umgekehrt. Erwähnt sei, was Egger
anläßlich des Entwurfes sagt, den ein deutscher Künstler vom Ende
des XV. Jahrhunderts zu einem Sakramentshäuschen gemacht hat (Tafel 5,
in der vorliegenden Lieferung noch nicht enthalten). Egger betont
die Notwendigkeit einer systematischen Publikation der gotischen
Tabernakel und meint, daß auf Grund einer solchen Arbeit die Agno-
szierung ebenso der einschlägigen Zeichnungen wie Stiche, zum Beispiel
der Baldachine eines Wenzel von Olmütz und Alart du Hameel, zu
erhoffen stünde.
Zu Tafel 7, dem Entwurf zur Fassadenmalerei am Nürnberger
Rathaus, sei bemerkt, daß die letzte Szene rechts Christus und die Ehe-
brecherin darstellen dürfte. Der sich bückende langgewandete Mann
links wäre dann Christus, der auf das auf den Boden Geschriebene zeigt,
die Frau rechts die Sünderin. A. W.
Das Vermächtnis von Ansei m Feuerbach. Heraus-
gegeben von Henriette Feuerbach. Neu herausgegeben
von Hermann Uhde-Bernays. Berlin 1910. Bei Meyer und
Jessen.
Anselm Feuerbachs Briefe an seine Mutter. Aus
dem Besitz der königlichen Nationalgalerie zu Berlin.
Herausgegeben von G. J. Kern und Hermann Uhde-
Bernays. Zwei Bände. Ebenda.
Anselm Feuerbachs »Vermächtnis« ist als eines der schönsten
und wertvollsten Kunstbucher seit langem bekannt; seine Gestalt, sein
edler Charakter, sein Lebensgang und seine Leiden sind darin enthalten.
Als es 1882 — zwei Jahre nach dem Tode seines Verfassers — erschien,
legte es den Grund zu seinem Ruhme; der viel tiefere und nachhaltigere
Erfolg der Neuausgabe, für die dem Verlage von Meyer und Jessen
besonderer Dank gebührt, scheint die Befestigung dieses späten Ruhmes
darzutun und auszudrücken, daß die Kunst Feuerbachs wie er selbst end-
gültig zu nationalem Besitz geworden sind. Man ermesse die dazwischen
liegenden Jahre, um die seiner Zeit voraus gewesen zu sein, die Tragik
dieses Künstlers bedeutet. Der Kampf eines genialen Menschen um die
Geltung seiner Erkenntnisse, für die Kraft seiner Ideen, den Wert seiner
Persönlichkeit und seiner Schöpfungen ist kaum je unter härteren Bedin-
gungen verlaufen, von stärkeren Erschütterungen begleitet, von grau-
sameren Verzweiflungen zersetzt gewesen. Denn nicht andern verblendeten
Geschmack seiner Zeit, nicht an Piloty oder Makart ist Feuerbach zu-
grunde gegangen; man kann sagen, daß es nichts geringeres als die
Einigung des Deutschen Reiches war, der er unterlag. Als seine Stunde
gekommen war, fand er sie mit Fremdem erfüllt. Mehr als einmal äußerte
er sich über die kulturell verderbliche Wirkung der Siege über Frankreich.
»Große Kriege machen die Menschen dumm«, schreibt er an die Mutter.
Ein selbstbewußt gewordenes, erstarktes, in Wohlleben geratenes Ge-
schlecht, das seine Zeit großer Geschichte zugesellen darf, mußte äußerem
Prunk und Schein vor einer innerlichen, verschlossenen, nur schwer sich
gebenden Kunst den Vorzug geben. Die Makartsche Dekoration, die
Pilotysche Phrase, die Burgerlichkeit beliebter Genremaler standen der
Feuerbachschen Seelenkunst als zu gewaltvolle Phalanx entgegen. Aber
nun ist ihre Zeit gekommen und für alle Zeiten dauerhaft.
Das »Vermächtnis« ist kein einheitliches Werk. Es besteht haupt-
sächlich aus den Bruchstücken einer in den letzten Jahren nieder-
geschriebenen Selbstbiographie und aus Fragmenten von Briefen, die
Feuerbach an seine zweite Mutter, Henriette, geborene Heydenreich,
schrieb. Als er gestorben war, sammelte die hochgebildete, edle und groß
gesinnte Frau seine Schriften, wählte aus seinen Briefen die schönsten
und allgemein interessierenden Stellen aus und schuf so ein wunder-
volles Bild des Sohnes in dem Buche, das sie sein Vermächtnis nannte.'
Wie sehr es ihr Werk ist, in wie hohem Maße das Verdienst daran ihr
gebührt, beweisen nicht so sehr die Schwierigkeiten, die sie alle mit
größter, auch physischer Aufopferung überwand, als die eben erschienene,
zum ersten Male publizierte Gesamtausgabe der Briefe Anselms an sie.
Diese Briefe befanden sich bis nun imArchivder Berliner National-
galerie. Ihre Herausgabe hatten G. J. Kern und Hermann Uhde-Bernays
übernommen. Es war eine Arbeit größter Anstrengung und treuesten
Fleißes zu leisten, besonders schwer fiel die Entzifferung der kaum leser-
lichen Schrift, es mußte jede Datierung überprüft werden und andere Klein-
arbeit mehr geschehen. Dennoch kann man sich mit der Art der Heiaus-
gabe nicht ganz einverstanden erklären. Es will uns dünken, als ob eben
dieser Kleinarbeit ein zu großer Spielraum eingeräumt worden wäre, so
daß darüber Wichtiges vernachlässigt blieb. Die leider höchst spärlichen
Anmerkungen beschäftigen sich nur mit Unwesentlichem, niemals fast
erläutern sie den Text. Es werden dort Namen genannt, Bilder erwähnt,
Erlebnisse berührt — wir müssen vorübcrlesen, weil uns niemand belehrt.
Es hätte sehr gut eine knappe biographische Verbindung ab und zu
zwischen den Briefen eingeschaltet werden können; der wissenschaftliche
zu sehen.
Mag aber auch die Publikation, wie sie dank der erprobten
Befähigung und Tatkraft des Herausgebers und dank der Einsicht und
Opferwilligkeit des Verlegers endlich zustande gekommen ist, im Vergleich
mit Geymüllers Riesenplänen bloß ein »geretteter Kahn« sein, so stellt
sie sich doch, absolut genommen, als ein groß angelegtes Unternehmen
dar, dem nur zu wünschen ist, daß ihm Kunstforscher und Kunstfreunde
mit dem gleichen werktätigen Interesse begegnen mochten.
Die Mannigfaltigkeit des Inhaltes des ganzen Werkes kommt bereits
in der ersten Lieferung des ersten Bandes deutlich zum Ausdruck. Sic
euthiilt folgende Blätter: Deutscher Steinmetz (Ende des XV. Jahr-
hunderts), Entwurf zu einer Rathausfassade. Hans Boblinger, Ansicht
der ehemaligen Spüalskirchezu Eßlingen (1501). Nürnberger Künstler
(erste Hälfte des XVI. Jahrhunderts), Entwurf zur Bemalung der 1619
demolierten Westfront des alten Rathauses in Nürnberg. Bernardino
Poccetti (1542 bis 1612), Skizze für eine Fensterdekoration. Martino
Lunghi d. Ä. (zweite Hälfte des XVI. Jahrhunderts), Entwurf für eine
Kirchenfassade. Giovanni Alb erti dal Borgo S. Sepolcro (1558 bis
1601), Skizze zu einer Plafonddekoration für Clemens VIII., Aldobrandini.
Italienischer Kunstler (Ende des XVI. Jahrhunderts), Entwurf für
die Dekoration eines Kreuzgewölbes in S. Maria Maggiore in Rom.
Italienischer Künstler (Ende des XVI. Jahrhunderts), Skizze für
eine Plafonddekoration. Lorenzo Bernini (159S bis 1680), Skizzen
für den bekrönenden Baldachin des Hochaltartabernakels von St. Peter
zu Rom. Girolamo Rainaldi (1570 bis 1655), Projekt für den Neubau
der beiden Glockentürme von St. Peter in Rom und Entwurf für die
Fassade von St. Agnese auf der Piazza Navona zu Rom. GiuseppeGalli-
Bibie na (1696 bis 1756), zwei Entwürfe, der eine für den Hintergrund
einer Passionsdarstellung, der andere für eine Bühnendekoration.
Alexandre Le Blond (1679 bis 1719), zwei Detailaufnahmen der
Wasserwerke im Parke von St. Cloud. Francois Le Moyne (16S8 bis
1737), Entwurf für eine Saaldekoration. H u b e rt R o b e rt (1773 bis 1808),
Skizze zu einem antikisierenden Monumentalbau. Jean Francois
Chalgrin (1739 bis 1810), Entwurf für einen Ballsaal anläßlich der
Vermählung Ludwigs XVI. mit Marie Antoinette. Johann Ferdinand
Hohenberg von Hetzendorf (1732 bis 1816), Projekt für die Aus-
gestaltung der Parkanlagen des kaiserlichen Lustschlosses Schönbrunn
bei Wien und Entwurf für die gegen den Michaelerplatz zu gerichtete
Fassade der k. k. Hofburg in Wien.
Sämtliche Zeichnungen befinden sich in Wien, und zwar in den
Sammlungen der Albertina, der Akademie der bildenden Künste und
der Hofbibliothek. Der Fassadenentwurf eines deutschen Steinmetzen
vom Ende des XV. Jahrhunderts, ein Blatt, das heute in der Akademie
der bildenden Künste aufbewahrt wird, stammt interessanterweise aus
der Dombauhütte von St. Stephan in Wien.
Daß für die Erklärung der einzelnen Blätter stets die eigenen
ergebnisreichen Forschungen verwertet sind, versteht sich bei dem
gelehrten Herausgeber des Codex Escurialensis und des Verzeichnisses
der architektonischen Handzeichnungen in der Wiener Hofbibliothek
von selbst.
Die Reproduktionen der Tafeln, ein- und mehrfarbige Lichtdrucke,
sind durchwegs vorzüglich. Der Text ist durch einige Klischees bereichert.
Wie eng die alte Architekturzeichnung mit dem Kupferstich ver-
knüpft ist, biaucht wohl nicht eigens hervorgehoben zu werden. Dieser
hilft bei der Identifizierung jener und umgekehrt. Erwähnt sei, was Egger
anläßlich des Entwurfes sagt, den ein deutscher Künstler vom Ende
des XV. Jahrhunderts zu einem Sakramentshäuschen gemacht hat (Tafel 5,
in der vorliegenden Lieferung noch nicht enthalten). Egger betont
die Notwendigkeit einer systematischen Publikation der gotischen
Tabernakel und meint, daß auf Grund einer solchen Arbeit die Agno-
szierung ebenso der einschlägigen Zeichnungen wie Stiche, zum Beispiel
der Baldachine eines Wenzel von Olmütz und Alart du Hameel, zu
erhoffen stünde.
Zu Tafel 7, dem Entwurf zur Fassadenmalerei am Nürnberger
Rathaus, sei bemerkt, daß die letzte Szene rechts Christus und die Ehe-
brecherin darstellen dürfte. Der sich bückende langgewandete Mann
links wäre dann Christus, der auf das auf den Boden Geschriebene zeigt,
die Frau rechts die Sünderin. A. W.
Das Vermächtnis von Ansei m Feuerbach. Heraus-
gegeben von Henriette Feuerbach. Neu herausgegeben
von Hermann Uhde-Bernays. Berlin 1910. Bei Meyer und
Jessen.
Anselm Feuerbachs Briefe an seine Mutter. Aus
dem Besitz der königlichen Nationalgalerie zu Berlin.
Herausgegeben von G. J. Kern und Hermann Uhde-
Bernays. Zwei Bände. Ebenda.
Anselm Feuerbachs »Vermächtnis« ist als eines der schönsten
und wertvollsten Kunstbucher seit langem bekannt; seine Gestalt, sein
edler Charakter, sein Lebensgang und seine Leiden sind darin enthalten.
Als es 1882 — zwei Jahre nach dem Tode seines Verfassers — erschien,
legte es den Grund zu seinem Ruhme; der viel tiefere und nachhaltigere
Erfolg der Neuausgabe, für die dem Verlage von Meyer und Jessen
besonderer Dank gebührt, scheint die Befestigung dieses späten Ruhmes
darzutun und auszudrücken, daß die Kunst Feuerbachs wie er selbst end-
gültig zu nationalem Besitz geworden sind. Man ermesse die dazwischen
liegenden Jahre, um die seiner Zeit voraus gewesen zu sein, die Tragik
dieses Künstlers bedeutet. Der Kampf eines genialen Menschen um die
Geltung seiner Erkenntnisse, für die Kraft seiner Ideen, den Wert seiner
Persönlichkeit und seiner Schöpfungen ist kaum je unter härteren Bedin-
gungen verlaufen, von stärkeren Erschütterungen begleitet, von grau-
sameren Verzweiflungen zersetzt gewesen. Denn nicht andern verblendeten
Geschmack seiner Zeit, nicht an Piloty oder Makart ist Feuerbach zu-
grunde gegangen; man kann sagen, daß es nichts geringeres als die
Einigung des Deutschen Reiches war, der er unterlag. Als seine Stunde
gekommen war, fand er sie mit Fremdem erfüllt. Mehr als einmal äußerte
er sich über die kulturell verderbliche Wirkung der Siege über Frankreich.
»Große Kriege machen die Menschen dumm«, schreibt er an die Mutter.
Ein selbstbewußt gewordenes, erstarktes, in Wohlleben geratenes Ge-
schlecht, das seine Zeit großer Geschichte zugesellen darf, mußte äußerem
Prunk und Schein vor einer innerlichen, verschlossenen, nur schwer sich
gebenden Kunst den Vorzug geben. Die Makartsche Dekoration, die
Pilotysche Phrase, die Burgerlichkeit beliebter Genremaler standen der
Feuerbachschen Seelenkunst als zu gewaltvolle Phalanx entgegen. Aber
nun ist ihre Zeit gekommen und für alle Zeiten dauerhaft.
Das »Vermächtnis« ist kein einheitliches Werk. Es besteht haupt-
sächlich aus den Bruchstücken einer in den letzten Jahren nieder-
geschriebenen Selbstbiographie und aus Fragmenten von Briefen, die
Feuerbach an seine zweite Mutter, Henriette, geborene Heydenreich,
schrieb. Als er gestorben war, sammelte die hochgebildete, edle und groß
gesinnte Frau seine Schriften, wählte aus seinen Briefen die schönsten
und allgemein interessierenden Stellen aus und schuf so ein wunder-
volles Bild des Sohnes in dem Buche, das sie sein Vermächtnis nannte.'
Wie sehr es ihr Werk ist, in wie hohem Maße das Verdienst daran ihr
gebührt, beweisen nicht so sehr die Schwierigkeiten, die sie alle mit
größter, auch physischer Aufopferung überwand, als die eben erschienene,
zum ersten Male publizierte Gesamtausgabe der Briefe Anselms an sie.
Diese Briefe befanden sich bis nun imArchivder Berliner National-
galerie. Ihre Herausgabe hatten G. J. Kern und Hermann Uhde-Bernays
übernommen. Es war eine Arbeit größter Anstrengung und treuesten
Fleißes zu leisten, besonders schwer fiel die Entzifferung der kaum leser-
lichen Schrift, es mußte jede Datierung überprüft werden und andere Klein-
arbeit mehr geschehen. Dennoch kann man sich mit der Art der Heiaus-
gabe nicht ganz einverstanden erklären. Es will uns dünken, als ob eben
dieser Kleinarbeit ein zu großer Spielraum eingeräumt worden wäre, so
daß darüber Wichtiges vernachlässigt blieb. Die leider höchst spärlichen
Anmerkungen beschäftigen sich nur mit Unwesentlichem, niemals fast
erläutern sie den Text. Es werden dort Namen genannt, Bilder erwähnt,
Erlebnisse berührt — wir müssen vorübcrlesen, weil uns niemand belehrt.
Es hätte sehr gut eine knappe biographische Verbindung ab und zu
zwischen den Briefen eingeschaltet werden können; der wissenschaftliche