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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.4207#0030
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Rheims und Rouen, heuer waren die Pariser Kirchen Saint-
Germain-des-Pres und Saint-Germain-l'Auxerrois an der
Reihe. Stadtansichten und Landschaften bringen auch
Dallemagne, Agassiz (die Mosel bei Epinal), Hillier
(Pariser Ansichten), Zevort (eine Folge von Blättern aus
Auxerre), Bouroux (Paris undSemur in Burgund), Pinet
(Musee de Cluny), H. Cheffer (Santa Maria della Salute
in Venedig), Bremont (Place Maubert), Baldenweck

(Hotel de Sens) und Huinblot. Ein Schlachtenstück
endlich, ein großes Blatt von Dorescher Kühnheit, hat
Paul Marie geschaffen. Die bemerkenswertesten repro-
duzierenden Radierungen haben Damman, Charlet.
Barre und Focillon beigesteuert. Die farbige Radierung
vertreten — nicht allzu glänzend — Gauguet, Loche-
longue, Massard u. A.

Clement-Janin.

Besprechungen neuer Erscheinungen.

Olaf Gulbransson. Fünfzig unveröffentlichte
Zeichnungen. Herausgegeben von Alfred Mayer. Georg
Müller Verlag. München 1914.

Was Klinger einmal von seiner Kunst gesagt hat, daß ihr Bestes
in der Spitze seines Werkzeuges säße, das gilt in noch viel höherem
Grade von Gulbransson. Alle Wirkung auf den Kontur abstellend,
umreißt er die Dinge mit spitzer Zeichenfeder und reduziert so die
kubische Erscheinung auf ein ganz schlichtes Liniengefüge, das aber
durch die unerhörte Präzision und Ausdrucksfülle jedes Striches einen
Deutlichkeitsgrad von plastischer Vorstellung besitzt, wie ihn eine mit
unendlich komplizierteren Mitteln arbeitende zeichnerische Darstellung
häufig vergeblich hervorzurufen sucht. In dem scheinbar so Simplen
steckt die höchste Kunst, und es besteht der Reiz einer Gulbranssonschen
Zeichnung nicht zum geringsten in dieser fabelhaften Inkongruenz von
Wirkung und von aufgewandten Mitteln. Als Zeichner des Simplizissimus
ist Gulbransson heute so populär geworden wie wenige Griffelkünstler
außer ihm. Eine Publikation über einen Karikaturisten, zu dessen
Gemeinde mehr oder weniger jeder Gebildete gehört, bedarf keiner
besonderen Rechtfertigung; um so weniger, wenn das Bild unserer Vor-
stellung dadurch so bereichert wird, wie das durch diese schöne
Publikation geschieht, die 50 bisher unveröffentlichte, in Privatbesitz
verborgene Zeichnungen Gulbranssons in vornehmer, mustergültiger Auf-
machung reproduziert. Während Gulbranssons Produktion für das
berühmte Witzblatt sich im Dienste der hohen Politik bewegt, tun wir
hier einen Blick in das Privatleben des Künstlers, erfahren allerlei von
ihm selbst, von seiner Familie, von seinen Freunden. Gulbransson gehört
nicht zu denen, die sich nicht selbst zum besten halten können, und so
zeigt das lustige Titelblatt ihn selbst, die herkulische Gestalt umstilisiert
in die fetten, quellenden Formen eines listig vor sich hinblinzelnden
Seehundes mit einem Zweig im Maul, an dem sich die aufgespießten
Opfer seines witzigen Griffels winden. Auf einem andern Blatt sehen
wir ihn in der Gestalt eines verliebten Katers an der Seite seines Ehe-
gesponses im Kreise seiner Hündchen- und Pfauenfamilie auf der Hühner-
stange Siesta halten ein prächtiges Momentbild aus dem idyllischen
»Paradies«, wie Gulbransson sein Schwabinger Heim zu nennen pflegt.
Wir lernen den Freundeskreis des Hauses Gulbransson kennen, den
behäbigen Ludwig Thoma. Adolf Hengeler, Emanuel Seidl, Kaulbach,
Karl Vollmöller und die groteske zwergenhafte Figur des Malers Sanier,
— aufs Papier geworfen mit ein paar eminent charakteristischen Linien,
die den Stempel der mühelosen Improvisation tragen, wie alles, was
Gulbransson schafft. Eingeleitet wird dieses kurzweilige Bilderbuch durch
einige warm geschriebene Begleitworte des Herausgebers, die die bis-
herige Entwicklung Gulbranssons resümieren, wobei es dem in
persönlichem Konnex mit dem Künstler stehenden Biographen vergönnt
war, seine Nachrichten aus erster Quelle zu schöpfen, auf welche Weise
man denn manches amüsante Detail erfährt. Im übrigen hat sich der
Herausgeber auf einige sparsame kommentierende Bemerkungen zu den
Abbildungen beschränkt, in der taktvollen Einsicht, daß man einen
Künstler vom Range Gulbranssons am besten für sich selber sprechen
laßt- Hans Vollmer.

Passion. 10 Original-Lithographien von Karl
Caspar. München, Delphin-Verlag.

Die religiöse Kunst unserer Zeit wächst nicht aus einer klaren
und unbedingt einheitlichen Stimmung heraus, wie sie anderen Perioden
die feste Grundlage gab, sondern aus einer allerdings mächtigen geistigen
Strömung, in der aber Negatives und Positives sich mengen, in der die
Reaktion gegen frühere Richtungen und unmittelbares inneres Bedürfnis
ineinander wirken. Daher mangelt auch der Kunst, die dieses neu erstarkte
Element in Gestalten aussprechen möchte, das Selbstverständliche und
Naturnotwendige; sie umfaßt weite Gegensätze und geht in ihrem Streben,
persönlichstes Erlebnis und allgemeine Gültigkeit — die zwei Grund-
pfeiler aller religiösen Kunst — zu versöhnen, von den disparatesten
Auffassungen und Erwägungen aus. Kurz, sie handelt noch immer mehr
unter individuellen Antrieben als unter einem unwiderstehlichen Zwang,
und ihre Überwindung des entfesselten Individualismus ist mit seiner
neuerlichen Steigerung oft nahe verwandt. So erklären sich heftige Wider-
sprüche zwischen den Künstlern, denen es mit einer Erweckung der
religiösen Kunst ernst ist; das eine Extrem bilden solche, die ihre innersten
Empfindungen herausholen und denen ihre Kunst nur eine in schmerzlichem
Zucken sich vollziehende Auseinandersetzung mit dem Göttlichen ist,
das andere Extrem diejenigen, die ein Heraustreten aus den Formen
verpönen, die die Jahrhunderte zum allgemeinen Ausdruck religiösen
Empfindens geheiligt haben. Bei jenen werden wir oft der ungeheuren Emp-
findungsstärke, der innerlichen Frommkeit inne; aber diese Sprache, deren
Ungestüm die herkömmlichen Formen zertrümmert, ist nicht die unsere,
wir hören einsame Menschen in der Wüste nach ihrem Gotte schreien,
sie vermitteln uns einen starken geistigen, aber keinen unmittelbar
religiösen Kindruck. Die anderen aber, die sich von der Tradition tragen
lassen, laufen die umgekehrte Gefahr; wir vermissen das tiefe Miterleben
an ihnen, zweifeln an der Stärke einer Empfindung, die mit den her-
kömmlichen Elementen völlig ihr Auslangen findet. Zwischen den beiden
Gegensätzen liegen zwei vermittelnde Richtungen, die das persönliche
Erlebnis durch die Tradition zu verallgemeinern, diese durch jenes zu
erneuern trachten; eine nimmt aus dem Erbe der Vergangenheit solche
Züge, die zu den einfachsten Elementen des religiösen Lebens gehören,
schöpft also ihre Anregungen aus volkstümlichen Erzeugnissen, in denen
eine naive Frömmigkeit sich in eckigen Formen ausdrückt, knüpft an
Volkskunst aller Art, an die Schöpfungen primitiver Zeiten, Völker und
Schichten an. Andere Künstler aber versuchen, nicht das durch Unbeholfen-
heit, sondern das durch Vollreife Starke in sich neu erstehen zu lassen, die
große Kunst der großen religiösen Künstler mit neuem Erleben zu erfüllen.
Zu den stärksten und ernstesten Begabungen, die um dieses letzte Ziel
streben, gehört Karl Caspar; in den vielen monumentalen Bildern, die er
geschaffen hat, wie in den zehn Lithographien, die der Delphin-Verlag
vorlegt, ist jeder Zoll persönlich empfunden, aber gleichzeitig stehen diese
Darstellungen in einer großen und allgemeinen Tradition. Von einer
Anlehnung an diesen oder jenen Künstler, von einer Nachahmung irgend-
eines Vorbildes kann niemals gesprochen werden; aber der Künstler, der
all dies hervorbrachte, ist an Giotto, Dürer, Tintoretto, den großen Meistern
der religiösen Malerei, groß geworden.
 
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