Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1914

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4207#0031
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
27

Was an den Lithographien zunächst auffällt, ist der völlige Mangel
einer Manier; die Blätter sind ganz verschieden, die Wirkung in jedem
mit neuen und eigenartigen Mitteln erarbeitet. Diese Mannigfaltigkeit artet
aber niemals in Originalitätshascherei oder in ein Schaustellen technischer
Handfertigkeit aus; stets bleibt der geistige Gehalt herrschend, durch
tiefes Verständnis der graphischen Eigenart stilvoll gestaltet. Eine kurze
Charakteristik der einzelnen Blätter wird den Reichtum dieser Mappe
illustrieren.

Christus und Johannes beim Abendmahl. Die beiden Oberkörper
den leicht segmentbogigen Tischrand überschneidend, zu einer ganz
geschlossenen Gruppe verfugt, die die beiden in ungebrochenem Zug
abfallenden Konturen der Büsten einschließen. Christus, durch den
steileren Anstieg seiner Schulterlinie, die jäh zum Haupt emporbiegt,
unbedingt der Dominierende, der Einschließende, der Herr, an dem der
sanfte Jünger sein Haupt birgt.

Christus am Ölberg. Christus kniet auf der hellbeglünzten ovalen
Felsenplatte, unter der die drei Jünger in eckigen Bewegungen kauern
oder liegen, wie Felskaryatiden, die einen leuchtenden Schild tragen;
die Gestalt Christi, die sich dunkel von einem hellen Berg dahinter
abhebt, ist stark, fast geziert bewegt. Diese überlebendige Silhouette
schafft ihr das absolute Übergewicht über die Figuren unten, die an der
oberen Bewegung doppelt starr werden. Rechts Durchblick in eine
wundervolle tiefe Landschaft, deren Reichtum und Fülle im Gegensatz
zu den mächtigen Formen der Hauptszenerie steht.

Gefangennahme Christi. Eines der ergreifendsten Blätter der Folge .
Wirbelndes Gewimmel, aus dem sich der Vorgang wie von selbst heraus-
löst; Christus in ruhigster Frontstellung, derenBreite seine Würde stärkt
Judas ist im Begriff, ihn zu umarmen; die beiden bilden den Kern eines
Halbrunds von überschnittenen und zerschnittenen Kriegergestalten,
deren Haufen durch Stangen, Fahnen, Pechpfannen noch Tiefe und
Kleinkalibrigkeit erhält. Und vorn die feierliche Ruhe der großen Stunde.

Geißelung und Verspottung Christi; zwei zusammengehörige
Blätter, die in den starken rhythmischen Bewegungen und im malerischen
Wechsel von Licht und Schatten an den Ölberg erinnern. Das, was dort als
leicht gesucht störte, ist hier noch gewachsen; es ist die Gefahr der Szenen,
in denen der Reichtum der körperlichen Vorgänge die geistige Besonder-
heit zu übertönen droht.

Ecce homo, in der Behandlung mit der Gefangennahme überein-
stimmend. Ruhige geschlossene Figur, die lautlosen Schmerz ausdrückt.

Der Fall unter dem Kreuz. Von dem dunkeln Hintergrund, in
dem die Gestalten der Eskorte undeutlich kenntlich sind, heben sich drei
lichte Figuren ab; Christus, der unter dem Kreuz gefallen ist und dessen
schweres Lasten auf den aufgestützten Händen durch die es einschrei-
benden Geraden der Kreuzbalken noch atemloser und qualvoller wird ;
zu Füßen undzuHäupten je ein Scherge. Die Wucht und Mächtigkeit dieser

drei Figuren ist gewaltig; die Gestalten und ihre Bewegungen sind zu
einer monumentalen Plastizität gesteigert. Diese Kreuztragung ist eine
außerordentliche Leistung, deren herbe Kraft eines Dürer einschränkungs-
los würdig wäre.

Kreuzigung. Der Gegensatz zu dem vorigen Blatt ist bedeutend;
dieses war mächtig, plastisch und überwältigend, die Kreuzigung ist zart,
malerisch und entfaltet sich erst allmählich in ihrer Schönheit. Das Kreuz,
vor dessen Stamm die schlanke hagere Gestalt Christi kaum vorragt,
ist gegen eine tiefe Landschaft voll kurvenreicher Linien gestellt;
vor ihrer Tiefräumigkeit wirkt das in der Vorderebene festgehaltene
Kreuz erschreckend nahe, gegen ihre Fülle die einfachen Linien
des Gekreuzigten doppelt eindrucksvoll. Tiefste Einsamkeit und Ruhe
sind um diese Kreuzigung gesammelt.

Pietä. Ein Blatt in der Art des ersten; die Mutter mit dem Leichnam
des Sohnes zu einer blockartig geschlossenen Masse vereinfacht,
deren Umrißlinie die Bergkonturen dahinter vielleicht etwas absichtlich
wiederholen.

Auferstehung. Nach der Grüße des Abendmahls und der Würde
der Gefangennahme, nach der Qual und Pein der Passionsszenen, der
Wucht des Kreuzesfalls, nach der Einsamkeit des Todes und der Starre
der Beweinung — der Jubel der Auffahrt. Die stürzenden Kriegergestalten
um den Sarkophag bilden wie ein dunkles Gewölk, aus dem sich der
Heiland erhebt; das herabgleitende Gewand ist wie ein Rest Erden-
schwere, der von ihm sinkt, gleichzeitig der unruhige Übergang zu den
lichten großen Formen von Brust und Haupt, die die erhobenen Arme im
Halbkreis rahmen. Frei und mächtig erhebt sich Christus gegen Himmel;
sanfte Hügellinien und Luftraum ohne Ende liegen hinter seiner
Herrschergestalt, die schon mehr Weltenrichter als Auferstehender ist.

Die kurze Beschreibung dieser Blätter sollte nur andeuten, wie
sie in Höhe und Tiefe der geistigen Erfassung und in der Kraft und
Selbständigkeit der künstlerischen Gestaltung der großen Aufgaben
religiöser Kunst durchaus würdig sind; sie wollen mehr als bloß persön-
liche Empfindungen ausdrücken, sie sollen allgemeineren, breit einge-
wurzelten Bedürfnissen dienen. Der Reichtum, den sie einschließen, läßt
sich nur bruchstückweise in Worte fassen und wird auch erst bei er-
neuter Betrachtung und wirklicher Vertiefung zutage gefördert. Denn
diese Arbeiten Caspars, denen alle dekorative Gefälligkeit und alles
Blendende und Pikante fehlt, obwohl sie alle modernsten Probleme
beherrschen und den lithographischen Stil glänzend meistern, sie treffen
auch darin den Sinn religiöser Kunst, daß sie vom Beschauer Ernst und
Andächtigkeit fordern. Sie sind zu markig, um Allerweltslieblinge zu
werden, aber wem Dürers Holzschnittfolgen ein wahrer und fester
künstlerischer Besitz geworden sind, dem wird auch diese Passion eines
echten Urenkels altdeutscher Frömmigkeit und Eindringlichkeit unmittel-
bar zu Herzen sprechen. H. Tielze.

Anzeigen neuer Erscheinungen.

1. MAPPEN, ILLUSTRIERTE BÜCHER UND LITERATUR DER GRAPHISCHEN KÜNSTE.

Berliner Kalender. 1914. Hrsgb. vom Verein für d. Geschichte
Berlins. Zeichnungen von R. Knötel. (40 S.) 34 X cm. Berlin,
M. Oldenbourg. Mk. 1-—.

Daumier, Honore. Recht und Gericht. Eine Folge von 40 Stein-
drucken. 48-5 X 34 cm. Hellerau, E. Baron. Mk. 25'—. (Vorzugsausg.
Mk. 75-—.)

Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts. Hrsgb. von Paul Heitz.
36-3 X 28-5«». Straßburg, J. H. E. Heitz. — W. L. Schreiber, Form-
schnitte des XV. Jahrhunderts in der kgl. Landesbibliothek u. kgl. Hof-
bibliothek zu Stuttgart. Mit 21 [11 handkolor.j Abb. (2. Bd.) (14 S. Text).
Mk. 50'—. Derselbe, Formschnitte und Einblattdrucke aus öf'fentl. und
privaten Bibliotheken und Sammlungen in Amberg, Colmar, Darmstadt,
Dillingen, Hamburg, Mainz, Metten, München, Schlettstadt, Schwabach,
Straßburg, Wiesbaden. Mit 36 [16 handkolor.]Abb.(22 S.Text.)Mk.80-—.
Engelbert Baumeister, Formschnitte des XV. Jahrhunderts in den
Sammlungen des fürstl. Hauses Oettingen-Wallerstein zu Maihingen.
1. Bd. Mit 74 [53 handkolor.] Abb. (XIX S, Text). Mk. 100-—.

Josten, H.H., Mathias Grünewald. Mit 72 Abb. u. 6 färb. Tai'.
(94 S.) Lex.-8°. (Knackfuß' Künstler-Monographien. 108. Bd.) Bielefeld,
Velhagen&Klasing. Mk.4-—.

Kristeller, Paul, Die lombardische Graphik der Renaissance. Nebst
einem Verzeichnis von Büchern mit Holzschnitten. Mit 12 Taf. u. 30 Abh .
(VIII, 172 S.) 30-5 X 23-5 cm. Berlin, B. Cassirer. Mk. 33-—.

Raphaels Zeichnungen. Hrsgb. von Osk. Fischel. 1. Abtlg. 52 Taf.
(80 S. mit Abb.) 40-5 X 30"5 cm. Berlin, G. Grote. Subskr.-Preis. Mk. 100' — .

Saalwächter, Minna, Schattenbilder, geschnitten zu Friedr.
Rückerts Fünf Märlein. (34 Bl.) Gr.-8°. Magdeburg, W. Serno. Mk. 2-50.

Sauermann, Hans, Deutsche Stilisten. Handzeichnungen alt-
deutscher Meister. Mit 36 Taf. (17 S. Text mit Abb.). Lex.-8°. München,
Steinicke & Lehmkuhl. Mk. 7-—.

Sechs Dresdner Graphiker. [Arthur Bär, Georg Gelbke,
Artur Henne, Martin E. PhiIipp, Walter Kehn und Ferdinand
Steiniger]. Katalog ihrer Arbeiten mit Einleitg. von Kurt Bieger. (41 S.)
8°. Mit 25 Abb. Dresden, Emil Richter.
 
Annotationen