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Ein dritter Beleg: die »Taufe Christi« (B. 4G) erweist sich als stark abhängig von ähnlichen Darstellungen
Patiniers. Das Wiener Hofmuseum besitzt eine solche (Nr. 666), die sogleich an Lautensack denken läßt. Der Fluß,
von hinten stark in den Vordergrund strömend, der breite Felsen im Vordergrund, die romantische Überwucherung,
all dies zeigt große Ähnlichkeiten.
Diese drei Beispiele genügen, um die vollständige Abhängigkeit von den Niederlanden zu beweisen. In den Jahr-
zehnten vorher war man dort in der Bewältigung der Landschaft ähnliche Wege gegangen wie in Deutschland, ohne
aber ganz dasselbe Ziel zu erreichen. Verfolgt man den Weg dieser Entwicklung, so zeigt es sich, daß sich ungefähr
um dieselbe Zeit, da der große Umschwung zwischen den beiden Fassungen der Dürerschen Drahtziehmühle eintritt
— wovon wir schon des näheren gesprochen haben —, auch in den Niederlanden derselbe Umschwung zu vollziehen
beginnt, nur in einer viel behutsameren, langsameren Weise. Was das Dürersche Genie nur in sich selbst vollbrachte,
mußten dort kleinere Talente mit unaufhörlicher Emsigkeit durch Jahrzehnte erringen. Die Errungenschaft des einen
geht an den nächsten über, Schritt für Schritt kommt man dem angestrebten Ziel näher.
Noch bei Memling ist die Landschaft nichts anderes als der bunt beladene Hintergrund, der mit dem Ereignis, das
im Vordergrund dargestellt wird, so viel wie nichts zu tun hat. Selbst seine großen kontinuierlichen Erzählungen, in
denen sich eine ganze lange Geschichte zwischen zahlreichen Straßen und Plätzen und Tälern abspielt, sind — wenn
man näher hinzusieht — nichts anderes als Zusammensetzungen einzelner kleiner Gemälde in der konservativen Art. Es
sind Zusammensetzungen von Einzeldarstellungen, und jede Einzeldarstellung zerfällt in einen Vordergrund und einen
angeklebten Hintergrund.
Aber bald nachher beginnt es zu gären. Schon in der »Taufe Christi« des Gerard David zu Brügge zeigt sich das
deutliche Bemühen, die dargestellten Personen glaubhaft in die Natur zu stellen. Und es muß gesagt werden, daß mit
diesem Gemälde viel erreicht ist. Dieser Vordergrund bricht nicht mehr jäh ab nach einigen Schritten in die Tiefe, um
sich mit allzu deutlichen Hügeln und Schlängelwegen in einen Hintergrund zu verwandeln, sondern er wird mit diesem
zu einer Einheit verbunden, die keiner Kulissen mehr bedarf. Immerhin kommt aber der Künstler noch über die
Schwierigkeit bei der Gestaltung der vorderen handelnden Gruppe nicht hinaus. Diese klebt noch stark an der Bildfläche,
durch übermäßige Größe aus der Harmonie des Ganzen herausfallend.
Einen bedeutsamen Schritt nach vorwärts macht der nur um weniges spätere Hieronymus Bosch. Die Landschaft
als eine in sich geschlossene Einheit zu behandeln, erscheint ihm schon als Selbstverständlichkeit. Seine Gestalten
aber, die zwar auch noch nicht recht von der vorderen Bildfläche loskommen, werden nun mit richtigem Größenmaß
in das Ganze eingesetzt.
Doch bedeutet Bosch auch noch in einer anderen Hinsicht einen bedeutsamen Fortschritt: er verbindet nicht
nur die einzelnen Motive zu einer Ganzheit, sondern er schließt sie auch zu dieser Ganzheit zusammen. Das ist
nicht dasselbe. Bei keinem gleichzeitigen niederländischen Meister ist es zu beobachten, daß die Gestalt der Dinge
derart zugunsten einer allgemeinen Stimmung gedämpft wird, und es fehlt nur die durchwegs konsequente Behandlung
der Atmosphäre, um eine letzte Vollendung zu erreichen.
Bedenkt man, daß zwischen Memling und Bosch nicht mehr als eine Generation liegt, so ist der Fortschritt
bedeutsam und man erinnert sich nochmals an Deutschland, wo um dieselbe Zeit und in ungefähr der gleichen Spanne
Ähnliches erzielt wurde. Und wie nun Altdorfer ein wenig ausatmet und anstatt vorwärtszugehen lieber ausbaut und
fester fundamentiert, so geschieht es auch in den Niederlanden. Massys kommt in der Pfadsuche auf diesem Gebiet
eigentlich nicht viel weiter und so nützt er das Erworbene zu einer steten Verfeinerung in der Behandlung aus. Nur
daß er — nach der Wahl seiner Motive — ein anderer Charakter als Bosch ist. Bei ihm wird man wenig von bäuer-
licher Landschaft und rustikaler Idylle finden. Seine durchaus aristokratische Natur steigert die Wirklichkeit zu einer
dichterisch stolzen Wahrheit. Seine Felsenberge sollen ebenso wie die Fülle an prachtvollen, riesigen Palästen einen
großen edlen Zug in die Landschaft bringen.
Sein Mitarbeiter und Schüler aber — Joachim Patinier — geht sowohl in der Zusammenfassung des Einzelnen
konsequent weiter als auch in der Steigerung der Motive. Für uns nun kommt letzteres am stärksten in Betracht. In dem
Bestreben nach monumentalen Wirkungen größten Stils gelangt er zu einer barocken Übertreibung der Gestalt. Was
bei Massys monumental war, wird bei ihm kolossal, und was dort heroisch wirkte, wird hier pathetisch. Seine Fels-
formationen haben nur mehr eine schwache Verbindung mit der realen Wirklichkeit, und es ist klar zu erkennen, daß es
ihm nicht mehr um die getreue Wiedergabe der Realität zu tun ist, sondern um einen bestimmten seelischen Effekt. Wo
er Landschaften allein gibt, läßt er auch die grandiosen Steigerungen fort — ich erinnere an die Landschaft im Kaiser-
Friedrich-Museum —; sobald er aber erzählt, muß die ganze Umgebung auf das psychologische Ereignis gestimmt
werden. Dann tritt das rücksichtslose Schalten und Walten mit den ursprünglichen Formen der Natur in Kraft — und
ein Beweis dafür, wie hoch er dann den Effekt über die Wirklichkeit stellt, ist die Tatsache: daß er sich gar nicht mehr
bemüht, das Ereignis von der vorderen Bildfläche in die Tiefe hineinzustellen, sondern daß er es gewichtig ganz vorne ab-
spielen läßt. Diese Landschaften sind es, die mit einer so bestimmenden Kraft auf Lautensack einwirken. Man wird von
nun an — es handelt sich um seine Spätzeit — kaum ein auffallendes Motiv bei ihm finden, das den niederländischen
Ein dritter Beleg: die »Taufe Christi« (B. 4G) erweist sich als stark abhängig von ähnlichen Darstellungen
Patiniers. Das Wiener Hofmuseum besitzt eine solche (Nr. 666), die sogleich an Lautensack denken läßt. Der Fluß,
von hinten stark in den Vordergrund strömend, der breite Felsen im Vordergrund, die romantische Überwucherung,
all dies zeigt große Ähnlichkeiten.
Diese drei Beispiele genügen, um die vollständige Abhängigkeit von den Niederlanden zu beweisen. In den Jahr-
zehnten vorher war man dort in der Bewältigung der Landschaft ähnliche Wege gegangen wie in Deutschland, ohne
aber ganz dasselbe Ziel zu erreichen. Verfolgt man den Weg dieser Entwicklung, so zeigt es sich, daß sich ungefähr
um dieselbe Zeit, da der große Umschwung zwischen den beiden Fassungen der Dürerschen Drahtziehmühle eintritt
— wovon wir schon des näheren gesprochen haben —, auch in den Niederlanden derselbe Umschwung zu vollziehen
beginnt, nur in einer viel behutsameren, langsameren Weise. Was das Dürersche Genie nur in sich selbst vollbrachte,
mußten dort kleinere Talente mit unaufhörlicher Emsigkeit durch Jahrzehnte erringen. Die Errungenschaft des einen
geht an den nächsten über, Schritt für Schritt kommt man dem angestrebten Ziel näher.
Noch bei Memling ist die Landschaft nichts anderes als der bunt beladene Hintergrund, der mit dem Ereignis, das
im Vordergrund dargestellt wird, so viel wie nichts zu tun hat. Selbst seine großen kontinuierlichen Erzählungen, in
denen sich eine ganze lange Geschichte zwischen zahlreichen Straßen und Plätzen und Tälern abspielt, sind — wenn
man näher hinzusieht — nichts anderes als Zusammensetzungen einzelner kleiner Gemälde in der konservativen Art. Es
sind Zusammensetzungen von Einzeldarstellungen, und jede Einzeldarstellung zerfällt in einen Vordergrund und einen
angeklebten Hintergrund.
Aber bald nachher beginnt es zu gären. Schon in der »Taufe Christi« des Gerard David zu Brügge zeigt sich das
deutliche Bemühen, die dargestellten Personen glaubhaft in die Natur zu stellen. Und es muß gesagt werden, daß mit
diesem Gemälde viel erreicht ist. Dieser Vordergrund bricht nicht mehr jäh ab nach einigen Schritten in die Tiefe, um
sich mit allzu deutlichen Hügeln und Schlängelwegen in einen Hintergrund zu verwandeln, sondern er wird mit diesem
zu einer Einheit verbunden, die keiner Kulissen mehr bedarf. Immerhin kommt aber der Künstler noch über die
Schwierigkeit bei der Gestaltung der vorderen handelnden Gruppe nicht hinaus. Diese klebt noch stark an der Bildfläche,
durch übermäßige Größe aus der Harmonie des Ganzen herausfallend.
Einen bedeutsamen Schritt nach vorwärts macht der nur um weniges spätere Hieronymus Bosch. Die Landschaft
als eine in sich geschlossene Einheit zu behandeln, erscheint ihm schon als Selbstverständlichkeit. Seine Gestalten
aber, die zwar auch noch nicht recht von der vorderen Bildfläche loskommen, werden nun mit richtigem Größenmaß
in das Ganze eingesetzt.
Doch bedeutet Bosch auch noch in einer anderen Hinsicht einen bedeutsamen Fortschritt: er verbindet nicht
nur die einzelnen Motive zu einer Ganzheit, sondern er schließt sie auch zu dieser Ganzheit zusammen. Das ist
nicht dasselbe. Bei keinem gleichzeitigen niederländischen Meister ist es zu beobachten, daß die Gestalt der Dinge
derart zugunsten einer allgemeinen Stimmung gedämpft wird, und es fehlt nur die durchwegs konsequente Behandlung
der Atmosphäre, um eine letzte Vollendung zu erreichen.
Bedenkt man, daß zwischen Memling und Bosch nicht mehr als eine Generation liegt, so ist der Fortschritt
bedeutsam und man erinnert sich nochmals an Deutschland, wo um dieselbe Zeit und in ungefähr der gleichen Spanne
Ähnliches erzielt wurde. Und wie nun Altdorfer ein wenig ausatmet und anstatt vorwärtszugehen lieber ausbaut und
fester fundamentiert, so geschieht es auch in den Niederlanden. Massys kommt in der Pfadsuche auf diesem Gebiet
eigentlich nicht viel weiter und so nützt er das Erworbene zu einer steten Verfeinerung in der Behandlung aus. Nur
daß er — nach der Wahl seiner Motive — ein anderer Charakter als Bosch ist. Bei ihm wird man wenig von bäuer-
licher Landschaft und rustikaler Idylle finden. Seine durchaus aristokratische Natur steigert die Wirklichkeit zu einer
dichterisch stolzen Wahrheit. Seine Felsenberge sollen ebenso wie die Fülle an prachtvollen, riesigen Palästen einen
großen edlen Zug in die Landschaft bringen.
Sein Mitarbeiter und Schüler aber — Joachim Patinier — geht sowohl in der Zusammenfassung des Einzelnen
konsequent weiter als auch in der Steigerung der Motive. Für uns nun kommt letzteres am stärksten in Betracht. In dem
Bestreben nach monumentalen Wirkungen größten Stils gelangt er zu einer barocken Übertreibung der Gestalt. Was
bei Massys monumental war, wird bei ihm kolossal, und was dort heroisch wirkte, wird hier pathetisch. Seine Fels-
formationen haben nur mehr eine schwache Verbindung mit der realen Wirklichkeit, und es ist klar zu erkennen, daß es
ihm nicht mehr um die getreue Wiedergabe der Realität zu tun ist, sondern um einen bestimmten seelischen Effekt. Wo
er Landschaften allein gibt, läßt er auch die grandiosen Steigerungen fort — ich erinnere an die Landschaft im Kaiser-
Friedrich-Museum —; sobald er aber erzählt, muß die ganze Umgebung auf das psychologische Ereignis gestimmt
werden. Dann tritt das rücksichtslose Schalten und Walten mit den ursprünglichen Formen der Natur in Kraft — und
ein Beweis dafür, wie hoch er dann den Effekt über die Wirklichkeit stellt, ist die Tatsache: daß er sich gar nicht mehr
bemüht, das Ereignis von der vorderen Bildfläche in die Tiefe hineinzustellen, sondern daß er es gewichtig ganz vorne ab-
spielen läßt. Diese Landschaften sind es, die mit einer so bestimmenden Kraft auf Lautensack einwirken. Man wird von
nun an — es handelt sich um seine Spätzeit — kaum ein auffallendes Motiv bei ihm finden, das den niederländischen