J. Callot, S. Livin. Getuschte Federzeichnung. Paris, Nationalbibliothek.
Die Charakteristik Callots, in den frühen Stilphasen nicht frei von Übertreibungen, wird späterhin diskreter, aber
geistreicher, pointierter. Zu Anfang war Callot ein derber Spaßmacher, später schildert er Zeit und Menschen mit
überlegener Ironie.
Die Linie Callots macht diese Entwicklung mit. In den Studien im Stil der »capriccw ist sie oft ungebärdig und
bizarr. Schlingenbildend, spitz auslaufend, scheint sie in impulsiver Hast, aus_der die Angst vor dem Entwischen des Ein-
druckes einer charakteristischen Stellung, Wendung oder Bewegung spricht, hingeworfen zu sein (vergleiche ein Skizzen-
blatt mit Studien zu Kavalieren in den Ufflzien, abgebildet bei H. Nasse: Callot, Taf. 8), oder sie ist dort, wo es sich
um plumpe Menschen mit schwerfälligen Bewegungen handelt, von einer absichtlichen Primitivität und Geschlossen-
heit (vergleiche eine Reihe von Agrikulturszenen in den Ufflzien).
Was die Linie Callots bei fortschreitender Entwicklung an Übermut und derber Überzeugungskraft einbüßt,
gewinnt sie an Geist und Eleganz. Aber in allen Entwicklungsstadien ist sie eindeutig klar und von einer nie ver-
sagenden Charakterisierungsfähigkeit. Der energische, gewissermaßen epigrammatische Kontur unterscheidet vor allem
den Zeichner Callot von seinen Nachahmern und Kopisten. Am häufigsten hat man Handzeichnungen Stefano della
Bellas mit denen Callots verwechselt. Aber gerade diesem in seiner Art hochbegabten Italiener fehlt die Energie des
Callotschen Konturs vollkommen. Einerseits malerischer als Callot, scheut er sich vor allzu scharfen Abgrenzungen,
andererseits weichlicher, lyrischer, mangelt ihm die Fähigkeit bestimmter Charakterisierung. Er verdichtet den Eindruck
nicht zur expressivsten Linie, sondern sucht sein malerisch verschwimmendes Bild in einem feinen Liniengespinst
unklarer Struktur zu fangen: Callot packt den Eindruck, Stefano della Bella umschmeichelt ihn.
Della Bella bleibt auch in der Skizze der stofflichen Natur einer Feder, eines Pelzwerkes, eines Samtes nichts
schuldig: er liebt die Oberfläche. Callot verzichtet vollständig auf Färb- und Stoffbezeichnung; aber wie er Licht und
Schatten in breiten Flächen nebeneinandersetzt, wie seine Linie bald anschwillt, bald sich verflüchtigt (»sich zärtlich
gegen das Licht verliert« sagt Sandrart), spricht von einer malerischen Tendenz, die nicht farbig, wie bei Stefano della
Bella, sondern optisch ist.
Wenn wir nun, nach der Provenienz von Callots Zeichenstil fragend, seinen ältesten Biographen Felibien zu Rate
ziehen, so finden wir bei diesem die Angabe, Callot hätte nach dem Beispiele Alfonso Parigis und Remigio Canta-
gallinas begonnen, im kleinen Format zu zeichnen. Was Alfonso Parigi betrifft, wissen wir heute, daß er nicht ein
Lehrer, sondern ein Schüler Callots war. Dem Cantagallina rühmt Felibien eine bewundernswerte Art des Federzeichnens
im Großen und Kleinen nach, doch weder die mutmaßlichen Zeichnungen Cantagallinas (in Florenz, München, Paris
usw.) noch seine Radierungen lassen eine besonders hohe Meinung von den zeichnerischen Qualitäten dieses Künstlers
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Die Charakteristik Callots, in den frühen Stilphasen nicht frei von Übertreibungen, wird späterhin diskreter, aber
geistreicher, pointierter. Zu Anfang war Callot ein derber Spaßmacher, später schildert er Zeit und Menschen mit
überlegener Ironie.
Die Linie Callots macht diese Entwicklung mit. In den Studien im Stil der »capriccw ist sie oft ungebärdig und
bizarr. Schlingenbildend, spitz auslaufend, scheint sie in impulsiver Hast, aus_der die Angst vor dem Entwischen des Ein-
druckes einer charakteristischen Stellung, Wendung oder Bewegung spricht, hingeworfen zu sein (vergleiche ein Skizzen-
blatt mit Studien zu Kavalieren in den Ufflzien, abgebildet bei H. Nasse: Callot, Taf. 8), oder sie ist dort, wo es sich
um plumpe Menschen mit schwerfälligen Bewegungen handelt, von einer absichtlichen Primitivität und Geschlossen-
heit (vergleiche eine Reihe von Agrikulturszenen in den Ufflzien).
Was die Linie Callots bei fortschreitender Entwicklung an Übermut und derber Überzeugungskraft einbüßt,
gewinnt sie an Geist und Eleganz. Aber in allen Entwicklungsstadien ist sie eindeutig klar und von einer nie ver-
sagenden Charakterisierungsfähigkeit. Der energische, gewissermaßen epigrammatische Kontur unterscheidet vor allem
den Zeichner Callot von seinen Nachahmern und Kopisten. Am häufigsten hat man Handzeichnungen Stefano della
Bellas mit denen Callots verwechselt. Aber gerade diesem in seiner Art hochbegabten Italiener fehlt die Energie des
Callotschen Konturs vollkommen. Einerseits malerischer als Callot, scheut er sich vor allzu scharfen Abgrenzungen,
andererseits weichlicher, lyrischer, mangelt ihm die Fähigkeit bestimmter Charakterisierung. Er verdichtet den Eindruck
nicht zur expressivsten Linie, sondern sucht sein malerisch verschwimmendes Bild in einem feinen Liniengespinst
unklarer Struktur zu fangen: Callot packt den Eindruck, Stefano della Bella umschmeichelt ihn.
Della Bella bleibt auch in der Skizze der stofflichen Natur einer Feder, eines Pelzwerkes, eines Samtes nichts
schuldig: er liebt die Oberfläche. Callot verzichtet vollständig auf Färb- und Stoffbezeichnung; aber wie er Licht und
Schatten in breiten Flächen nebeneinandersetzt, wie seine Linie bald anschwillt, bald sich verflüchtigt (»sich zärtlich
gegen das Licht verliert« sagt Sandrart), spricht von einer malerischen Tendenz, die nicht farbig, wie bei Stefano della
Bella, sondern optisch ist.
Wenn wir nun, nach der Provenienz von Callots Zeichenstil fragend, seinen ältesten Biographen Felibien zu Rate
ziehen, so finden wir bei diesem die Angabe, Callot hätte nach dem Beispiele Alfonso Parigis und Remigio Canta-
gallinas begonnen, im kleinen Format zu zeichnen. Was Alfonso Parigi betrifft, wissen wir heute, daß er nicht ein
Lehrer, sondern ein Schüler Callots war. Dem Cantagallina rühmt Felibien eine bewundernswerte Art des Federzeichnens
im Großen und Kleinen nach, doch weder die mutmaßlichen Zeichnungen Cantagallinas (in Florenz, München, Paris
usw.) noch seine Radierungen lassen eine besonders hohe Meinung von den zeichnerischen Qualitäten dieses Künstlers
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