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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.3682#0029
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MITTEILUNGEN

DER

GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.

BEILAGE DER „GRAPHISCHEN KÜNSTE".

1918.

WIEN.

Nr. 2/3.

Studien und Forschungen.

Johann Wilhelm Banrs Zeichnungen in der fürstlich Liechtensteinschen

Bibliothel

in

Wi

len.

In der Bibliothek des regierenden Fürsten Johann von und zu Liechtenstein im Gartenpalais in Wien werden zwei
Klebebände mit Zeichnungen J. W. Baurs aufbewahrt; der durchlauchtigste Besitzer hat mir in seinem oft bewährten
Interesse für unsere Wissenschaft die Veröffentlichung dieses reizvollen Kunstschatzes gestattet, wofür ich ihm an
erster Stelle meinen tiefgefühlten Dank aussprechen muß.

Der erste Band — N. 7. 1 — enthält auf 151 Seiten leicht lavierte Federzeichnungen (ca. 205 cm breit, 133 cm
hoch), die vielfach wurmstichig geworden und durch die lange Zeit verblaßt sind. Trotz vereinzelter Bleistiftkorrek-
turen und mehrerer mit der Feder nachgezogener oder leicht veränderter Konturen geben sie das einheitliche Bild
ungehemmter Einfälle, die der Künstler in abwechslungsreichem Spiel sicher aufs Papier warf. Ein Titelblatt (Fig. 1)
leitet die von 1 bis 150 numerierte Folge ein. Im hergebrachten Gewände der Allegorie mit Tugend und Weisheit, die
ihre Widerparte niederwerfen, legt Johann Wilhelm Baur, der Erfinder und Zeichner, seinem gnädigen und gebietenden
Herrn Jonas von Hej'sperg auf Merckenstein das Werk in die Hände. Es sind Illustrationen zu Ovids Metamorphosen,
der Maler Bilderbibel; der alte ikonographische Stoff in neuer persönlicher Erscheinung, die meisten Szenen noch
durch eine knappe Namensunterschrift eindeutig gekennzeichnet. Die Blätter stellen nicht die ersten Versuche dar, die
ihren Wandlungsprozeß zur letzten Fassung erst durchmachen müssen; der fleißige Miniaturmaler, gewohnt, die Gesetze
der reichsten Kompositionen auch im kleinsten Format zu meistern, hat im ersten Anhieb Endgültiges geleistet. In allen
Szenen ist das inhaltlich Wesentliche klar herausgebracht, das Figurale als beherrschend hervorgehoben, doch wohl
abgewogen in die sicher angegebene Umfassung von Landschaft oder Architektur eingefügt; in dem unabänderlichen
Spiegel die geschlossene Bildwirkung erreicht. Nicht nur diese innerlichen Kriterien lassen auf die endgültige Leistung
schließen; es hilft der äußere Beweis, denn alle diese Blätter sind ohne eingreifende Korrektur von Baur selbst als
unmittelbare Vorlagen einer Radierungsfolge benutzt, die (zum erstenmal) 1641, also kurz nach Baurs 1640 in Wien
erfolgtem Tod bei Jeremias Wolff in Augsburg herauskam. Welches Verfahren der Künstler bei der Umsetzung einschlug,
läßt sich aus dem Zustand der Zeichnungen nicht mit Sicherheit erschließen. Am wahrscheinlichsten dürfte das Blatt
auf die hergerichtete Platte aufgelegt und sodann mit dem Griffel die Konturen nachgedrückt worden sein; doch scheint
Baur nur mit leichtester Hand die wesentlichsten Linien der Komposition in dieser Art übertragen zu haben, denn nur
selten treten die charakteristisch eingeritzten Striche zutage. Die Arbeit an den Radierungen hat nach den vielen
datierten Blättern schon 1638 begonnen und sich bis 1640 fortgezogen. Die Einheitlichkeit der Zeichnungen berechtigt
die Annahme, daß diese schon zu Beginn der graphischen Arbeit als fertiges Buch vorlagen. Das Datum 1641 auf dem
Titelblatt (Abb. 1) kann dagegen nichts besagen, denn dieses bezieht sich allein auf die Herausgabe des Werkes, seine
ursprüngliche Federschrift ist nachträglich mit rotem Bleistift nachgezogen und die Jahreszahl selbst nicht von Baur,
der ja schon 1640 gestorben war, eingesetzt worden.

Die kompositioneilen Veränderungen von den Zeichnungen (Beispiel Abb. 2) zu den Radierungen sind gering. Die
Landschaft spinnt die angegebenen Linien aus, ein nackterBusenwirdvomGewand bedeckt,eineKörperlageetwas dezenter
gewendet. Pan, der statt der Ersehnten das Schilf umfängt, wird in der Zeichnung noch mit dem Rotstift korrigiert und in
der Radierung dann in der neuen vorgebeugten Haltung gebracht. Semele, die im Entwurf (Abb. 5) in Verzückung erstarb —
in der Ausführung kriecht sie in sich zusammen. Die Vorlagen erstehen in der Graphik durchwegs im Gegensinn,
 
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