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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.6491#0022
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Holzschnitt B (3 r aus dem »Ritter vom Turn« (verkl.).

Holzschnitt L 4 v aus dem >Ritter vom Turn« (verkl.).

unmöglich, als ein sicher von Dürer geschnittener Holzstock fehlt. Ein Vergleich von Schnittverfahren und Zeichnungsstil
kann bei deren genereller Verschiedenheit nie beweiskräftig werden. Die stilkritische Untersuchung des Druckes aber,
methodisch vorerst die einzig mögliche, reicht schon hin, um Thoene ganz eindeutig zu widerlegen.

Ein feiner, grauer Gesamtton liegt über dem ganzen Blatt, da die Schraffuren sehr dünn und gleichmäßig gelegt und
Zusammenziehungen von Schwärzen vermieden sind. Die Schraffuren laufen gerne gleichmäßig gerade; das gibt den
Flächen etwas Geschlossen-Toniges, um so mehr, als sie hart abgegrenzt stehen gegen das Weiß und dieses scharf auf-
leuchten lassen. Diese Tonigkeit überspielt die plastische Grundanlage des Blattes; aber auch dem einzelnen Linienzug fehlt
plastischer Ausdruck. Kontur und Schraffur führen ein Sonderleben; der Kontur, gleichmäßig stärker, umläuft fassungartig
die feine Binnenschraffur, ohne irgendwo mit ihr zusammenzuwachsen; er ist in sich kaum differenziert und ohne plastisch
bedeutsamen Rhythmus. So ist am Rückenkontur des Löwen Hebung und Senkung gerade im gegenplastischen Sinn
eingesetzt. Ebenso undifferenziert ist die Binnenlinie, und wo sie etwa doch wächst und abschwillt, wie am Gesäß des
Hieronymus, ist die Wirkung wiederum ausgesprochen unplastisch, vielmehr die des schwebend Flimmernden. Die
Schraffur ist sehr unbiegsam, spröde und muß in der Kurve mehrfach absetzen. Der einzelne Liniengrat ist von einer für
den Holzschnitt ganz außerordentlichen Dünne bis zum Eindruck des Stiches. Eine Manier des Schneiders sind die
schwarzen Punkte am Faltenende.

Dieser Schnittstil findet sich wieder im Ritter vom Turn1 und Narrenschiff2 und wird hier neben einer anderen
geradezu entgegengesetzten Schnittgruppe in seinem Charakter noch deutlicher. In der Anlage stimmen beide Gruppen
aber oft so sehr überein, daß Gleichartigkeit der Entwürfe angenommen werden muß. Das gibt nun die sichere Möglich-
keit, den Schnitt vom Entwurf zu isolieren und für sich zu untersuchen, worauf allein es hier ankommt.

So sind sehr geeignet zurVergleichung die Blätter B 6 r und L 4 v. Bei sehr verwandter Anlage differiert doch schon
die farbige Gesamthaltung. L 4 v ist hell, dünn, fast durchsichtig; Licht und Schatten stehen fleckig gegeneinander. Die
Helligkeiten sind von starker Leuchtkraft. Dagegen ist B 6 r dunkel, die Schwärzen sind kräftig und zusammengezogen;
nicht der Gegensatz von Hell und Dunkel gibt den primären Eindruck, sondern die plastische Fülle. Die Form, dort sehr
mager, ist hier voll und dicht. Das liegt nicht an einer Verschiedenheit des Themas oder der Vorzeichnung, sondern ganz
deutlich am Schnitt. Der Kontur bei L 4 v ist im Sinn des alten Konturholzschnittes gleichmäßig verstärkt gegenüber der
feinen, flachen, wie gekratzten Binnenschraffur. Gerade umgekehrt B 6 r: der Kontur ist innig verwachsen mit dem
plastischen Körper, ist von ihm gar nicht zu lösen und als selbständiges Lineament zu nehmen; er ist reich differenziert,
wachsend und abnehmend im Sinn der plastischen Formbewegung. Ebenso die Schraffur: dort hart abgesetzt gegen das
Weiß, gleichförmig und steif im Duktus, nur als tonige Fläche wirksam, ist sie hier von einer intensiven plastischen
Anschmiegsamkeit und verstrahlt, über den Körper weitergreifend, gegen das Licht hin. So haben die Bettfalten bei L 4 v
etwas Hartgebrochenes, Flaches, Blechernes gegenüber dem mächtigen Bauschen bei B 6 r. Die Funktion der Schraffur,
hier plastisch, ist bei L 4 v eine viel mehr malerische, und die lichtmäßige Behandlung geht so weit, daß etwa am Bottich
die Reflexaufhellung des Schattens gegeben wird, was dem Schneider von B 6 r grundsätzlich unmöglich ist. Bei geringstem

1 Ritter vom Turn. Basel. 1493. Sehr. 5392. H * 15514. — -' Brant, Xarrenschiff. Basel 1494. Sehr. 3555. H " 3736.
 
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