Lingen-Tecklenburgischen Regierung, den bekannten Juristen, Schriftsteller und Politiker Johann Michael von Loen 1
(1694—1776) zum Inhaber hat. Dieser Großoheim Goethes, dessen Frankfurter Bücherei schon um ihrer musterhaften
Einrichtungen willen die Bewunderung der Zeitgenossen erregte, bewährt sich auch darin als echter Bibliophile, daß er den
ansehnlichen Pedigree des Bandes eigenhändig dem Vergessenwerden entreißt: eine oberhalb des Bücherzeichens befind-
liche Notiz »Ex Museo Hiegeliano \1_ (monogrammatische Letternverbindung) 1724. estimat(ur) 1 </, R fl (= rheinische
Gulden)« zielt offenbar auf die weitschichtigen Sammlungen des in Koblenz ansässigen gelehrten Arztes und Archäologen
Johann Crato Hiegel, die sich im Urteil der museographischen und Reise-Literatur des XVIII. Jahrhunderts2 als eine wahre
»Kunst- und Wunderkammer« spiegeln. Zur Genugtuung des rückwärts gekehrten Propheten tritt fürderhin mit der dem
ersten Blatte des Codex verhafteten Eintragung »Diz buch gehöret zü kampe« auch dessen ursprüngliche Wirkungs-
sphäre zutage, da die auf fol. lr" oben ersichtlichen Schriftzüge gleich jenen anderen, die auf derselben Seite unten die
Ortsangabe durch den sehr verwaschenen und daher im Kernpunkt nicht restlos entzifferbaren Zusatz »Kampe die kluse
gegen Be. art (?) / her« ergänzen, bis ins (spätere) XV. Jahrhundert, alo fast bis in die Entstehungszeit des Manuskriptes
selbst hinabreichen.
Je bereitwilliger man im Hinblick auf die niederfränkische (ripuarische) Mundart des Textes unter den gleich-
namigen Klostersiedlungen die niederrheinische Zisterzienserabtei Kamp (Kreis Moers, Regierungsbezirk Düsseldorf,
Diözese Köln) bevorzugen möchte, deren Bibliothek in der durch das Baseler Konzil inaugurierten Epoche einen außer-
ordentlichen Aufschwung nahm,3 um so rascher erhebt sich alsbald das Bedenken, ob dem Rufe der ältesten und
bedeutendsten Zisterze Deutschlands, der allein 120 Tochterklöster ihre Gründung verdankten, eine geographische Er-
läuterung angemessen gewesen wäre; ob nicht der Schreiber eine solche weit eher und gerade zur Vermeidung der nächst-
liegenden Verwechslung für nötig erachtet hätte, sobald er das mittelrheinische Nonnenkloster Kamp (zwischen
Boppard und Bornhofen, Diözese Trier) vermeinte, dem vielleicht auch die Bezeichnung »die kluse« — die dortige
Frauengenossenschaft hatte sich bei ihrer anfänglichen Niederlassung im Jahre 1387 ohne Bindung an ein festes Ordens-
statut lediglich zu einem beschaulichen Klausnerinnenleben und erst mit der langsamen Umwandlung in eine eigentliche
Klostergemeinde auf die dritte Regel der Augustiner-Eremiten verpflichtet1 — sprachlich und sachlich um vieles besser
anstünde. Hievon abgesehen, sprechen noch der oberdeutsche Dialekt des Besitzvermerkes, die räumliche Annäherung
an die eingangs beglaubigte Laufbahn des Bandes und die kaum ganz abzuleugnende Möglichkeit, aus einem nur
bruchstückweise gesicherten »Be . art«5 eine lautliche Verballhornung oder Verschreibung von »Boppard« herauszu-
buchstabieren, zugunsten der zweitgenannten Identifizierung, bevor ihr zuguterletzt jenseits aller hypothetischen Erwä-
gungen auf dem Umwege über einen Codex der Wiener Nationalbibliothek eine urkundliche Erhärtung zuteil wird. Sind
doch daselbst nicht weniger als vier nach Ausstattung und Inhalt, Sprachform und Abfassungszeit untereinander und mit
dem Strahower Manuskript mehr oder minder eng verwandte Handschriften0 aufzuspüren, die insoweit auf eine gemein-
1 Zur Biographie vergleiche man: J. Chr. Adelungs und H. Wilh. Rotermunds Fortsetzungen und Ergänzungen zu Chr. Gottl. Jöchers allgem.
»Gelehrten-Lexikon«, III. Bd., Delmenhorst 1810, Sp. 2041/2 (mit weiteren Literaturangaben); Goethe, Dichtung und Wahrheit, II. Buch (Erstausgabe
1811); Allgem. Handbuch der FreimaurereiLeipzig 1865, IL Bd., S. 228. Zur Loen'schen Bibliothek außerdem: C. F. Neickel, Museographia oder
Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museen . . . vermehret von D. J. Kanold, Leipzig u. Breßlau 1727, S. 394, wo auch
»einige rara Manuscripta« erwähnt werden, und zuletzt: G. A. E. Bogeng. Die großen Bibliophilen, Leipzig 1922, III. Bd., S. 126. Zu den 3 Exlibris:
K. E. Graf zu Leiningen-Westerburg. Deutsche u. Österreichische Bibliothekzeichen . . ., Stuttgart 1901, S. 86, 282, 283/4 (mit Abb. des von Peter
Fehr i. J. 1725 gestochenen Bücherzeichens, das innerhalb der Bibliotheksansicht einen besonderen Kasten mit der Aufschrift »Manuscri.« erkennen läßt).
2 Vgl. Neickel a. a. O. S. 144,ferner G. Klemm, ZurGeschichte derSammlungenf. Wiss. u. Kunst in Deutschland2, Zerbst 1837, S. 133 und danach
Bogeng a. a. O. Die im II. Fortsetzungs-Bd. zu Jöchers Gelehrten-Lexikon (Leipzig 17S7, Sp. 1 998) zitierte Schrift Hiegels »Musaeum naturae, artis et
vetustatis.Coblenz 1714«,dievermutlich einen Katalog seines »Kabinets von Kunst-und Naturalien-Sachen« enthielt, ist mir leider unzugänglich geblieben.
3 Vgl. W. Wittenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter3, Leipzig 1896, S. 449 mit Quellennachweis; ferner Kl. Löftler, Deutsche Kloster-
bibliotheken2, Bonn u. Leipzig 1922, S. 18, 77, 78, 81 (= Bücherei d. Kultur u. Geschichte, hg. v. S. Hausmann, Bd. 27) und die Monographie von
M. Dicks, Kempten 1913, S. 563.
1 S. die »Erläuterungen zum Geschichts-Atlas der Rheinprovinz« Y, IL Hälfte, Bonn 1913 bzw. J. Marx, Geschichte des Erzstiftes Trier,
Trier 1858—64, II 2, S. 285/6 und die gangbaren Klosterlexika.
5 Das Ergebnis einer zweimaligen Autopsie, das die Lesung des zweiten und namentlich des dritten Buchstabens im Unklaren ließ, entzog
sich leider hierin (wie auch in einigen nebensächlichen, die äußere Erscheinung der Einklebungcn betreffenden Feststellungen) einer neuerlichen Über-
prüfung, da der Strahower Band nach dem Tode des b.w. Herrn Bibliothekars Straka zeitweilig in Verstoß geraten war.
« Es sind die Codices 2744 (»Tauleri Sermones aliquot«, niederfränkisch, vermutlich 1346), 3022 (»Io. Tauleri Schrifften«, niederfränkisch,
Mitte des XIV. Jahrhunderts), 2739 (Auszüge aus den Predigten Meister Eckharts, Taulers und Susos, den Schriften der h. Hildegard usw., mittel-
fränkisch, Ende des XIV. Jahrhunderts) und 3023 (Paraphrasen über die Passionsgeschichte, mittelfränkisch (?), Anfang des XV. Jahrhunderts; auf
fol. 14öro die vielleicht für die Herkunft auszuwertende Schenkungsnotiz »dit buch gebit hcrre(n) ruffen | zü amelburg frederich vo(n) glene«).
Seinerzeit in die Klasse der »Novi sine numero« eingereiht und (um 1840) in deren handschriftlichem Zettelkatalog eingehend beschrieben, kamen
sie nach freundlicher Mitteilung des Herrn Professors Dr. Ottokar Smital zwischen 1780 und 1820 in die Hof bibliothek, womit wohl auch das Er-
werbungsdatum des Strahower Manuskriptes umgrenzt ist; drei dieser Andachtsbücher, die ihre alten, mittels Stempeldruckes verzierten Lederbände be-
wahrthaben, tragen ihre schicksalhafte Verbundenheit bereits nach außenhin in denvon Hiegel oder Loen auf dem Rücken angebrachten Signaturstreifen
mit den fortlaufenden Nummern »I 66, 67, 68« zur Schau. —Herrn Hofrat Dr.Theodor Gottlieb verdanke ich den gelegentlichen Hinweis auf eine der in
Rede stehenden, bisher wenig beachteten Handschriften (Cod. 3023), der mir in der Folge zur Aufdeckung der übrigen — bibliotheksgeschichtlich an
und für sich bedeutsamen — Zusammenhänge verhalf; allen mundartlichen Bestimmungen lieh Herr Professor Dr. Anton Pfalz seinen bewährten Rat.
— 42 —
(1694—1776) zum Inhaber hat. Dieser Großoheim Goethes, dessen Frankfurter Bücherei schon um ihrer musterhaften
Einrichtungen willen die Bewunderung der Zeitgenossen erregte, bewährt sich auch darin als echter Bibliophile, daß er den
ansehnlichen Pedigree des Bandes eigenhändig dem Vergessenwerden entreißt: eine oberhalb des Bücherzeichens befind-
liche Notiz »Ex Museo Hiegeliano \1_ (monogrammatische Letternverbindung) 1724. estimat(ur) 1 </, R fl (= rheinische
Gulden)« zielt offenbar auf die weitschichtigen Sammlungen des in Koblenz ansässigen gelehrten Arztes und Archäologen
Johann Crato Hiegel, die sich im Urteil der museographischen und Reise-Literatur des XVIII. Jahrhunderts2 als eine wahre
»Kunst- und Wunderkammer« spiegeln. Zur Genugtuung des rückwärts gekehrten Propheten tritt fürderhin mit der dem
ersten Blatte des Codex verhafteten Eintragung »Diz buch gehöret zü kampe« auch dessen ursprüngliche Wirkungs-
sphäre zutage, da die auf fol. lr" oben ersichtlichen Schriftzüge gleich jenen anderen, die auf derselben Seite unten die
Ortsangabe durch den sehr verwaschenen und daher im Kernpunkt nicht restlos entzifferbaren Zusatz »Kampe die kluse
gegen Be. art (?) / her« ergänzen, bis ins (spätere) XV. Jahrhundert, alo fast bis in die Entstehungszeit des Manuskriptes
selbst hinabreichen.
Je bereitwilliger man im Hinblick auf die niederfränkische (ripuarische) Mundart des Textes unter den gleich-
namigen Klostersiedlungen die niederrheinische Zisterzienserabtei Kamp (Kreis Moers, Regierungsbezirk Düsseldorf,
Diözese Köln) bevorzugen möchte, deren Bibliothek in der durch das Baseler Konzil inaugurierten Epoche einen außer-
ordentlichen Aufschwung nahm,3 um so rascher erhebt sich alsbald das Bedenken, ob dem Rufe der ältesten und
bedeutendsten Zisterze Deutschlands, der allein 120 Tochterklöster ihre Gründung verdankten, eine geographische Er-
läuterung angemessen gewesen wäre; ob nicht der Schreiber eine solche weit eher und gerade zur Vermeidung der nächst-
liegenden Verwechslung für nötig erachtet hätte, sobald er das mittelrheinische Nonnenkloster Kamp (zwischen
Boppard und Bornhofen, Diözese Trier) vermeinte, dem vielleicht auch die Bezeichnung »die kluse« — die dortige
Frauengenossenschaft hatte sich bei ihrer anfänglichen Niederlassung im Jahre 1387 ohne Bindung an ein festes Ordens-
statut lediglich zu einem beschaulichen Klausnerinnenleben und erst mit der langsamen Umwandlung in eine eigentliche
Klostergemeinde auf die dritte Regel der Augustiner-Eremiten verpflichtet1 — sprachlich und sachlich um vieles besser
anstünde. Hievon abgesehen, sprechen noch der oberdeutsche Dialekt des Besitzvermerkes, die räumliche Annäherung
an die eingangs beglaubigte Laufbahn des Bandes und die kaum ganz abzuleugnende Möglichkeit, aus einem nur
bruchstückweise gesicherten »Be . art«5 eine lautliche Verballhornung oder Verschreibung von »Boppard« herauszu-
buchstabieren, zugunsten der zweitgenannten Identifizierung, bevor ihr zuguterletzt jenseits aller hypothetischen Erwä-
gungen auf dem Umwege über einen Codex der Wiener Nationalbibliothek eine urkundliche Erhärtung zuteil wird. Sind
doch daselbst nicht weniger als vier nach Ausstattung und Inhalt, Sprachform und Abfassungszeit untereinander und mit
dem Strahower Manuskript mehr oder minder eng verwandte Handschriften0 aufzuspüren, die insoweit auf eine gemein-
1 Zur Biographie vergleiche man: J. Chr. Adelungs und H. Wilh. Rotermunds Fortsetzungen und Ergänzungen zu Chr. Gottl. Jöchers allgem.
»Gelehrten-Lexikon«, III. Bd., Delmenhorst 1810, Sp. 2041/2 (mit weiteren Literaturangaben); Goethe, Dichtung und Wahrheit, II. Buch (Erstausgabe
1811); Allgem. Handbuch der FreimaurereiLeipzig 1865, IL Bd., S. 228. Zur Loen'schen Bibliothek außerdem: C. F. Neickel, Museographia oder
Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museen . . . vermehret von D. J. Kanold, Leipzig u. Breßlau 1727, S. 394, wo auch
»einige rara Manuscripta« erwähnt werden, und zuletzt: G. A. E. Bogeng. Die großen Bibliophilen, Leipzig 1922, III. Bd., S. 126. Zu den 3 Exlibris:
K. E. Graf zu Leiningen-Westerburg. Deutsche u. Österreichische Bibliothekzeichen . . ., Stuttgart 1901, S. 86, 282, 283/4 (mit Abb. des von Peter
Fehr i. J. 1725 gestochenen Bücherzeichens, das innerhalb der Bibliotheksansicht einen besonderen Kasten mit der Aufschrift »Manuscri.« erkennen läßt).
2 Vgl. Neickel a. a. O. S. 144,ferner G. Klemm, ZurGeschichte derSammlungenf. Wiss. u. Kunst in Deutschland2, Zerbst 1837, S. 133 und danach
Bogeng a. a. O. Die im II. Fortsetzungs-Bd. zu Jöchers Gelehrten-Lexikon (Leipzig 17S7, Sp. 1 998) zitierte Schrift Hiegels »Musaeum naturae, artis et
vetustatis.Coblenz 1714«,dievermutlich einen Katalog seines »Kabinets von Kunst-und Naturalien-Sachen« enthielt, ist mir leider unzugänglich geblieben.
3 Vgl. W. Wittenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter3, Leipzig 1896, S. 449 mit Quellennachweis; ferner Kl. Löftler, Deutsche Kloster-
bibliotheken2, Bonn u. Leipzig 1922, S. 18, 77, 78, 81 (= Bücherei d. Kultur u. Geschichte, hg. v. S. Hausmann, Bd. 27) und die Monographie von
M. Dicks, Kempten 1913, S. 563.
1 S. die »Erläuterungen zum Geschichts-Atlas der Rheinprovinz« Y, IL Hälfte, Bonn 1913 bzw. J. Marx, Geschichte des Erzstiftes Trier,
Trier 1858—64, II 2, S. 285/6 und die gangbaren Klosterlexika.
5 Das Ergebnis einer zweimaligen Autopsie, das die Lesung des zweiten und namentlich des dritten Buchstabens im Unklaren ließ, entzog
sich leider hierin (wie auch in einigen nebensächlichen, die äußere Erscheinung der Einklebungcn betreffenden Feststellungen) einer neuerlichen Über-
prüfung, da der Strahower Band nach dem Tode des b.w. Herrn Bibliothekars Straka zeitweilig in Verstoß geraten war.
« Es sind die Codices 2744 (»Tauleri Sermones aliquot«, niederfränkisch, vermutlich 1346), 3022 (»Io. Tauleri Schrifften«, niederfränkisch,
Mitte des XIV. Jahrhunderts), 2739 (Auszüge aus den Predigten Meister Eckharts, Taulers und Susos, den Schriften der h. Hildegard usw., mittel-
fränkisch, Ende des XIV. Jahrhunderts) und 3023 (Paraphrasen über die Passionsgeschichte, mittelfränkisch (?), Anfang des XV. Jahrhunderts; auf
fol. 14öro die vielleicht für die Herkunft auszuwertende Schenkungsnotiz »dit buch gebit hcrre(n) ruffen | zü amelburg frederich vo(n) glene«).
Seinerzeit in die Klasse der »Novi sine numero« eingereiht und (um 1840) in deren handschriftlichem Zettelkatalog eingehend beschrieben, kamen
sie nach freundlicher Mitteilung des Herrn Professors Dr. Ottokar Smital zwischen 1780 und 1820 in die Hof bibliothek, womit wohl auch das Er-
werbungsdatum des Strahower Manuskriptes umgrenzt ist; drei dieser Andachtsbücher, die ihre alten, mittels Stempeldruckes verzierten Lederbände be-
wahrthaben, tragen ihre schicksalhafte Verbundenheit bereits nach außenhin in denvon Hiegel oder Loen auf dem Rücken angebrachten Signaturstreifen
mit den fortlaufenden Nummern »I 66, 67, 68« zur Schau. —Herrn Hofrat Dr.Theodor Gottlieb verdanke ich den gelegentlichen Hinweis auf eine der in
Rede stehenden, bisher wenig beachteten Handschriften (Cod. 3023), der mir in der Folge zur Aufdeckung der übrigen — bibliotheksgeschichtlich an
und für sich bedeutsamen — Zusammenhänge verhalf; allen mundartlichen Bestimmungen lieh Herr Professor Dr. Anton Pfalz seinen bewährten Rat.
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