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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.6491#0050
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Nur um weniges leichter als an den
durch unfreiwillige Anpassung erworbenen
Eigenschaften haben zumindest zwei der be-
teiligten Holzschnitte an der Derbheit der einem
konstitutiven Merkmal gleichzuerachtenden
Handkolorierung zu tragen, die zwar die Aus-
druckskraft der grauschwarzen Drucke unleug-
bar verstärkt, mitunter aber auch deren Formen-
sprache verunklärt Nach beiden Richtungen
macht sich am ehesten die Vorliebe für das
deckende Lackrot bezahlt, das im »Marientod«
die Gewänder Christi, des ersten und dritten
Apostels vor, des ersten, dritten und siebenten
Apostels hinter der Bettstatt überflutet, in der
»Verkündigung« das Oberkleid des Engels
durchglüht; des weiteren sind nur ein kräftiges
Braunrot (Haupt- und Barthaar Christi und
vieler Apostel), leuchtendes Karmin (Unter-
kleider der Marien-, Kreuzstreifen in den Nim-
ben der Christusfiguren, bei der .Verkündi-
gung« auch die Kreuze des Engels und des
Jesuskindes sowie die Ringe an den Ecktürm-
chen des Baldachins) und ein saftiges Grün
(Palmzweig Johannis, Blätter der »Verkündi-
gungs« -Lilie) auf die materielle Bereicherung
der gemeinsamen Farbenskala angelegt, für
die das verwaschene Hellbraun,1 das ziemlich
wahllos über die rechte Bildhälfte des »Marien-
todes« verstreut ist und in der »Verkündigung«
auf den Flügeln des Engels sowie am Ober-
kleide Maria wiederkehrt, das bläßliche Gelb
(Nimben und Bettstatt des »Marientodes«) und
vollends die lichte Fleischfarbe eben noch als
schwache Klangwerte mitsprechen. In dem
koloristisch abweichenden »Schmerzensmann» -
Schnitt dominiert neben dem unerläßlichen
Blutrot der Wundmale und Blutstropfen, das auch die Kreuzstreifen des Nimbus erfüllt, ein helles Zitrongelb (das
Kruzifix, der Nimbus und die meisten der »arma Christi«); hiezu gesellen sich Rostbraun (die Haare der Hauptgestalt,
die um die Geißelsäule gewundene Schnur, der [rotgesprenkelte] Staupbesen und das Büschel ausgerissener Haare, der
Bart des Pilatuskopfes, die Haare der den Judaskuß veranschaulichenden Köpfe), Graugrün (der ungenähte Rock) und
Hellgrau (der Hintergrund). Dank der Bemalung des Rahmens — gelb mit breiter zinnoberroter Einfassung'2 — umschlingt
»Schmerzensmann« und »Marientod« zum Beschluß doch wieder ein durchaus einheitliches Farbengewebe.

Insofern die Beschreibung von Einblattdrucken auch die Transskription alles Inschriftlichen zu ihren Aufgaben
zählt, erheischt endlich noch die »Verkündigung« eine auf das ikonographische Gebiet zurückgreifende Erläuterung. Das
Spruchband Gabriels enthält wie üblich den Beginn des »Englischen Grußes« : »ave — (für sich stehend) maria — gr(aci)a
plena d(omi)n(u)s tecu(m)«; die vermutlich von jeher zusammenhanglosen Lettern der aufgeschlagenen Gebetbuchseiten
sind nur teilweise leserlich. Während nun der Schnitt bis hieher dem allgemeinen, im übrigen dem im XIV. Jahrhundert
aufkommenden Ausnahmstypus folgt, der anläßlich der Verkündigung die Inkarnation Christi versinnbildlicht, gipfelt
seine Besonderheit darin, daß die Figur Gottvaters außer den Lichtstrahlen, auf denen das kreuzbewehrte Jesuskindlein
und die Taube des heiligen Geistes zur jungfräulichen Muttergottes hinabgleiten, eine Schriftrolle mit jener Botschaft
entsendet, die nach den Synoptikern bei der Taufe Christi vom Himmel ertönte3: die heute allein entzifferbare Zeile
»dilectus m(e)us« fordert unzweifelhaft ein vorangeschicktes »Tu es (oder: hic est) filius«, das zu verbergen die

Abb. 2. Tod Maria. Inkunabelholzschnitt. Strahow.

1 Die der Abbildung 2 zugrundeliegende Photographie verleiht diesem Farbton unter dem EinfluU des stockfleckigen Papiers und zufalliger
Lichtreflexe ein allzu großes Gewicht.

2 Zur Gänze heute nur mehr an dem der »Verkündigung« angeflickten Fragmente ersichtlich.

3 Luc. 3, 22: Matth. 3, 17; Marc. 1.11.

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