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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.6491#0052
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Abb. 4. Tod Maria. Tnkunabelholzschnitt Sehr. 705. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum (Etwa I \ Originalgröße).

dieser Weglassungen1 und aus der Gesamterscheinung der beiden Blätter hier auf den zielsicheren Vereinfachungs-
instinkt eines zeit- und werkgerecht veränderten Kunstwollens, dort auf die Bequemlichkeit oder Flüchtigkeit eines
nachgeborenen Berufskopisten2 zu schließen, dem auch eine partielle Beeinflussung durch seinen Vorgänger um so
weniger zuzutrauen wäre, als er nicht nur den Zaddelsaum des Schamtuches und die Bandrolle des Kreuztitels,
sondern auch die nebensächlichsten Dinglichkeiten der »Waffen Christi« mit peinlicher Genauigkeit von dem Berliner
Vorbild übernimmt — und sich dennoch unvermögend zeigt, der Gedankenfaulheit des Illuminators zu steuern, der die
koloristische Vortäuschung des senkrechten Kreuzarmes nachzuholen vergißt.

Darf man die zu begutachtenden Einblattdrucke nach wie vor als eine künstlerische Einheit betrachten, wird ihre
historische Filiation am liebsten den Figuren- und Formenreichtum des »Marientodes« zur Anknüpfung wählen. Wieder
einmal ist es vor allem die Gewandbehandlung, die der entwicklungsgeschichtlichen Einordnung die verläßlichsten Auf-
klärungen anbietet: Fehlt ihr auch jene Großzügigkeit und plastische Fülle, in der sich die monumentalen Anfänge des
Inkunabelformschnittes ausleben, hat sie aus deren zeichnerischem Erbe gleichwohl die Rechnung mit fließenden Kurven
gerettet; dagegen meldet sich in den rundhakigen Endungen einzelner Falten, denen die rückläufigen Schleifen und Ösen

1 Beide Male fehlen oberhalb des wagrechten Kreuzarmes die gepanzerte Faust und der Hahn aus Petri Verleugnung: während aber der
L'rheber des Baseler Blattes die in Berlin links seitwärts angebrachten Würfel — unbekümmert um die hieraus entspringende Durchlöcherung des
kompositionellen Gefüges — auf den Platz des Hahnes überträgt, hat sie der Strahower Meister an Ort und Stelle durch die Gießkanne des
Pilatus ersetzt.

- Vielleicht hat seine Hand auch den gleichfalls aus der Baseler Kartause stammenden, bei Koegler a. a. O., T. XIII, N. 17, abgebildeten
Einblattdruck verfertigt, der den Schnitt der Münchener Staatsbibliothek Sehr. 700 (»der gegeißelte Christus umarmt seine Mutter«) im Gegensinn
wiederholt. — Insofern derlei rein handwerkliche Kopien überhaupt eine absolute Zeitbestimmung gestatten, dürften Koegler und Schreiber den
Baseler -Schmerzensmann« mit den Angaben > 1470—75« bzw. »etwa 1475« reichlich zu spät angesetzt haben. Übrigens gehen schon im Falle
des Berliner Originals die Datierungen Schreibers (»Manuel« : »1430—40«, »Handbuch«: »1430—50«), die den im Texte erörterten Charakterzügen
und mehr noch den von Schreiber selbst und von Lehrs beobachteten Übereinstimmungen mit dem Berliner Kruzitixus Sehr. 400 zuwiderlaufen, meines
Erachtens um fast ein Menschenalter über die wirkliche Entstehungszeit des Blattes hinaus.

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