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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.6491#0055
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sterio lucensi ibidem completa am/en«. Gibt sich der
geistliche Schreiber hiemit als ein Angehöriger der
Prämonstratenserabtei Selau1 im Öaslauer Bezirke
(tschechisch Zelevo, lateinisch Syloa, Siloa) zu er-
kennen, so fügt er mit gewissenhafter Genauigkeit
auch den Namen jener anderen Niederlassung des-
selben Ordens hinzu, wo er seine Arbeit beendete;
da das mährische Stift Bruck bei Znaim2 (tschech.
Louka = »Wiese«, lat. Luca), das übrigens dereinst
von Strahow aus besiedelt worden war, im Jahre
1 784 der josefinischen Klosteraufhebung zum Opfer
fiel, die ihrerseits wie üblich die Zerstreuung seiner
stattlichen Büchersammlungs verschuldete, ist die
Annahme mehr als wahrscheinlich, der dem Ge-
dächtnis der Ordenseinrichtungen gewidmete Codex
habe aus solchem Anlaß den Weg ins Mutterkloster
gefunden: wußte es doch der kunstsinnige Abt
Wenzel II. Mayer (1779—1800), dem die sach-
gemäße Behütung und Vermehrung der Strahower
Bibliothek besonders am Herzen lag, eben damals
auch zu erreichen, daß die schönen Rokokobücher-
schränke aus Bruck dorthin übertragen und dem
kurz zuvor durch ihn errichteten prachtvollen Biblio-
theks-Saal eingebaut wurden. —

Die Holzschnitt-Einklebung des Einbandes, an
dessen örtlicher und zeitlicher Entstehungsgemein-
schaft mit der also in ihrer Bodenständigkeit ge-
sicherten Handschrift kaum zu zweifeln sein wird,
mißt 141X100«//;;; das mehrfach beschnittene
Original zeigt am linken Seitenrande die Reste einer
Einfassungslinie. Seiner technischen Beschaffenheit
nach ist es ein grauschwarzer Reiberdruck mit alter,
bis auf das Rot nur wenig ins Auge fallender Hand-
bemalung. Art und Anordnung der im allgemeinen
sehr verwaschenen Farben sind dem Beschauer der Abbildung leicht zu vergegenwärtigen: gelbliches Blaßbraun
(sämtliche Gewänder mit Ausnahme des Halskragens der Madonna, Flügel, Haare und Musikinstrumente der Engel,
Flammen des Strahlenkranzes), helle Fleischfarbe (alle Gesichter und der Körper des Jesuskindes), starkes Orangerot
(der Nimbus der Madonna und die Kreuzstreifen im Nimbus Christi). Der Erhaltungszustand hat zuvörderst durch die
vielen Rostflecke gelitten, die von den Befestigungsnägeln der Metallbuckel des Einbanddeckels und der Metallschließe
herrühren. Links oben hat sich ein Papierteilchen durch Ablösung verschoben, während auf der Gegenseite ein anderes
mit der Ecke der Holztafel abgesprungen ist; der rechte Bildrand wird in seinem Gesamtverlaufe durch das Fehlen eines
schmalen Längsstreifens sowie durch stärkere und umfänglichere Abscheuerung beeinträchtigt. Endlich sei noch der
wohl in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts nächst der Unterkante angebrachte Sammlerstempel des Stiftes
erwähnt, zumal er mit keiner der beiden von F. Lugt, Les marques des collections .... Amsterdam 1921, unter
Nr. 635 und 2320 für den Strahower Besitz an Kupferstichen nachgewiesenen Marken zusammenfällt.

Von den durch die Zeit verursachten Schäden abgesehen, hat die gestaltliche Betrachtung des Madonnenschnittes
vor allem die fragmentarische Überlieferung des einstweilen allein zugänglichen Druckexemplares in Rechnung zu

1 Vgl. Victor Bezdeka, »Das Prämonstratenser-Chorherrenstift Selau< bei Seb. Brunner, Ein Chorherrenbuch. Wien-Würzburg 1883, S. 512-547.

2 Vgl. J. Gollinger, Die Prämönstratenser-Abtey Bruck in Hormayr's Archiv f. Geographie, Historie, Staats- u. Kriegskunst XIII (1822),
S. 481—483, 499—502, 677/78, 700—702, 795/96 und L. Prüll in Brunners Chorherrenbuch S. 740—742.

3 Der von dem Wiener Buchhändler Joseph Winkler verfaßte und im Druck veröffentlichte, rund 6000 Nummern enthaltende Versteigerungs-
katalog mag eine ungefähre Vorstellung ihrer Bedeutung gewähren: vgl. Jahrbuch d. österr. Exlibris-Gesellschaft XIV (1916), S. 89 (Referat über-
einen Vortrag von Dr. J. Schwarz); ein Exemplar dieses überaus seltenen Druckwerkes konnte der Verfasser dieser Zeilen im Jahre 1917 mit der
berühmten Katalogsammlung König von dem Wiener Antiquariate Gilhofer & Ranschburg für die Kupferstichsammlung der ehemaligen Hofbibliothek
erwerben. Die Gesamtsumme der handschriftlich beigesetzten Schätzpreise beträgt 2662 fl. Der Umstand, daß unter den 11 hier verzeichneten Manu-
skripten der in Rede stehende Codex vermißt wird, bestätigt vielleicht die im Texte geäußerte Vermutung seiner noch vor der Auflösung der Bibliothek
geplanten oder erfolgten Abwanderung nach Strahow.

Abb. 5. Madonna im Strahlenkranz. Inkunabelholzschnitt. Strahow.

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