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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.6491#0059
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Abb. 7. Stigmatisation des hl. Franziskus
Inkunabelholzschnitt. Strahow.

Schutze seiner alten Metallbeschläge und -schließen zu den technischen und
ornamentalen Ausstattungsgepflogenheiten der deutschen Spätrenaissancebande
bekennt; dem Mittelfelde des Vorderdeckels dient das handvergoldete Blumenvasen-
muster eines Plattenstempels zur schmückenden Füllung, während die streifenweise
Verzierung des Rückendeckels der Buchbinderrolle vorbehalten ist. Die biblio-
graphische Fixierung des Druckwerkes1 erschöpft sich in der Mitteilung des mit
aller erdenklichen Genauigkeit abgefaßten Kolophons (fol. CCXXXV v°): »Accipite .. .
Missale . . . cum diligentia revisu(m) ac fideli studio emendatu(m) per fratre(m)
Petrum Arrivabenu(m): ordims s(an)c(t)i Francisci de observantia. Impressum iussu
et impensis nobilis viri Lucantonij de giunta: Florentini. Arte autem Joannis Emerici
de Spira Venetijs Anno MCCCCXCVIII. Idibus Octobris«. Die fast unvermeidliche
Folgerung, daß die durch einen Minoritenbruder besorgte Textrevision des Missales
der liturgischen Praxis eines Franziskanerklosters zugute kam, erwirbt dem Klebe-
blättchen mit der Darstellung des Ordensgründers eine innere Daseinsberechtigung;
auf die Fortdauer des mit der erwähnten Verwendungsart zusammenhängenden Be-
sitzverhältnisses deutet eine zweite Holzschnitt-Einklebung,2 die sich als das Kanon-
bild eines um 1550 zu datierenden venezianischen Meßbuches entpuppen dürfte und
zu Füßen des Gekreuzigten die Wiedergabe eines knienden Franziskaners enthält.

Dem etwa sich einschleichenden Verdacht, auch der Stigmatisations-Schnitt
sei ohne weiteres für eine ihrer ersten Bestimmung entrissene Buchillustration zu
nehmen, läuft mehr noch als die Mangelhaftigkeit des klecksigen Druckes die breite
Doppelumrahmung zuwider, die mit der Überbetonung ihrer isolierenden Wirkung
lediglich dem Eigenleben eines Einzelholzschnittes zu frommen vermöchte. Anderseits konnte sich freilich im klassischen
Zeitalter der italienischen Bibliophilie das Stilgefühl eines beliebigen Bücherbenützers die mit dem Einklebungsvorgang
verbundene Devastation des Titelblattes, die den Verlust des schönen Signets mit sich gebracht hatte, nur unter der Bedingung
gefallen lassen, daß wenigstens der Versuch gemacht wurde, das an sich selbständige Bild und die ad hoc geretteten Druck-
zeilen des Originaltitels einer höheren buchkünstlerischen Einheit unterzuordnen — eine Tendenz, die sich sogar noch in der
halbwegs symmetrischen Gruppierung der erbaulichen und belehrenden Umschriften fortsetzt, durch die eine Hand aus
der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts die Einbeziehung der Heiligenfigur in lateinischer Sprache glossiert hat. Unter
ihnen verlohnt die rechts seitwärts befindliche Eintragung »Quod legentibus est scriptura / Hoc idiotis prestat pictura«
einiger Aufmerksamkeit, da die ihr zugrundeliegende echt mittelalterliche Gesinnung, die jedwede ästhetische Beurteilung
eines Kunstwerkes im Keime erstickt, in der Ära des Humanismus und an einer seiner hervorragendsten Pflegestätten
auch im Munde des schlichtesten Klostergeistlichen anachronistisch anmuten müßte, würde man sich nicht zugleich der
krisenhaften Erschütterungen bewußt, die der katholischen Welt die unaufhörliche Aktualität des fraglichen Denkspruches
einhämmerten: war es doch eben diese aus den Briefen Gregors des Großen herzuleitende Sentenz,3 die nicht nur in den
mittelalterlichen Glaubenskämpfen um das Wesen der Bilderverehrung, sondern auch in den Stürmen der Reformation
den Gegnern ikonoklastischer Bestrebungen die wuchtigste Verteidigungswaffe lieferte; wie sie einem daher mit den
Varianten »Imagines sunt laicorum literae«, »Pictura est laicorum scriptura« usw. schon auf dem flüchtigsten Streifzuge
durch die Traktat- und Predigtliteratur des XIII. bis XV. Jahrhunderts etwa im Rationale des Durandus, in der »Concor-
dantia caritatis«, bei Gerson und Nicolas de Clemanges begegnet, so wissen z. B. noch Herausgeber und Verleger eines
französischen Livre d'heures ddo. 15334 dessen reichem Holzschnittschmucke kein besseres apologetisches Geleite.

Die Maße des also kommentierten Andachtsbildchens betragen 87 X 55 mm (Papiergröße). Die alte Handkolorierung
weist folgende Farben auf: hellbraun (die Kutte), zitrongelb (Nimbus und Kordel des Heiligen), grünlichgelb (die sechs
Hügel des gekreuzigten Seraphs), ziegelrot (die Wundmale), rostbraun (die Umrahmung); in der rechten Bildecke ein
grüner, wohl auf einen Rasenboden anspielender Farbfleck. Als hätten sich die kleinen Abmessungen, der auffallend
derbe, hie und da bis zur Unkenntlichkeit verschwommene Druck und nicht zuletzt die geringe Qualität von Zeichnung
und Schnitt zum Nachteil aller stilkritischen Möglichkeiten miteinander verschworen, gipfeln diese in der bescheidenen
Behauptung, daß jene äußeren Umstände, deren Zusammentreffen den venezianischen Kunstkreis des scheidenden

1 Eine eingehende Beschreibung bei Duc de Rivoli, Les Misseis imprimes ä Venise de 14S1 ä 1600, Paris 1S95, p. 164, N. 50. Den dort auf-
gezählten Exemplaren in Paris, München und Mainz ist neben dem Strahower noch das der Wiener Nationalbibliothek (Sign. 14 H 34) anzufügen.

2 Sie bedeckt die Rückseite jenes dem Kalendarium vorangehenden Blattes, dessen Vorderseite den Franziskus-Schnitt trägt.

3 Das vollständige, an Ort und Stelle jeglicher Quellenangabe entbehrende Zitat bei Migne, Patrol. lat. t. LXXVII col. 1123 = Epist. lib.
XI, Epist. XIII (»ad Serenum Massiliensem episcopum«). Zum Fortleben des Themas vgl. K. Borinski, Die Antike in Poetik und Kunsttheorie vom
Ausgang des klassischen Altertums bis auf Goethe und Wilhelm von Humboldt, I, Leipzig 1914, S. 83/4 u. 269. Die weiter unten im Texte des vor-
liegenden Aufsatzes für das spätere Mittelalter selbständig beigebrachten Beispiele wären natürlich leicht zu vermehren.

4 Vide »Heures a l'usage de Rome . . . imprimees par Yolande Bonhomme, veuve de Thielman Kerver«, Paris 15 janvier 1533, Titelblatt
= P. Lacombe, Livre d'Heures imprimes au XV e et au XVI e siecle conserves dans les Bibiiotheques publiques de Paris, Paris 1907, Xo. 397.

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