Burgkmairs frühe Darstellungen des Schmerzensmannes.
In sämtlichen Verzeichnissen der Holzschnitte
Hans Burgkmairs fehlen drei miteinander eng ver-
knüpfte Darstellungen des Schmerzensmannes, die,
obwohl schon publiziert und zum Teil schon an ver-
steckten Orten oder mit einem Fragezeichen diesem
Künstler zugeschrieben, noch nie in ihrem richtigen
Zusammenhang dargelegt und für zweifellose Arbeiten
des Augsburger Meisters erklärt worden sind.
Am 7. Dezember 1926 tauchte mit anderen frühen
Holzschnitten aus kontinentalem Besitz in einer Auktion
bei Sotheby, London, als Nr. 117 der hie r (Abb. 1) abge-
bildete Christus als Schmerzensmann auf (190 :135 mm,
mit doppelter Einfassungslinie, nicht koloriert), welchen
schon Schreiber (Handbuch, Nr. 881) als Holzschnitt
»um 1480« beschrieben hatte. Das Blatt wurde von
Rosenthal, München, ersteigert und ging bald in den
Besitz des Herrn James C. McGuire in New York über.
Das schöne Blatt, welches schon im Sotheby-Katalog
als Lichtdruck abgebildet wurde, erschien wieder 1928
alsTaf.lSim 65.Band der Einblattdrucke des XV.Jahr-
hunderts, herausgegeben von P. Heitz, welcher die
Inkunabeln des Holz- und Metallschnittes dieser in
diesem Fach reichsten amerikanischen Privatsammlung
behandelt.Schreiber, der denText zu dieser Publikation
verfaßt hat, nennt diesmal seine Nr. 881 »Oberrhein(?)
um 1490—1500« und spürt einen Zusammenhang (der
tatsächlich viel enger ist, als er weiß) mit dem einst in
seiner eigenen Sammlung befindlichen Schmerzens-
mann, Schreiber, 886 a1 = 2907, den er ebenfalls »kaum
vor 1490« datiert. Das letztgenannte, hier (Abb. 2)
wieder abgebildete Blatt (169:95 mm, ohne Einfassungs-
linie, nicht koloriert) ist schon einmal im Auktionskatalog
der Sammlung W. L. Schreiber bei Gilhofer & Ranschburg, Wien, im März 1909, Nr. 51, Taf. XVIII, reproduziert worden.
Wenn man nun die beiden Exemplare nebeneinanderlegt, so springt es in das Auge, daß sie zwei verschiedene Zu-
stände desselben Holzschnittes darstellen. In dem nicht sehr frühen, aber vollständig erhaltenen Abdruck bei Mr. McGuire
sehen wir die Gestalt des Schmerzensmannes auf festem Boden stehend, auf den die Füße ihre Schatten werfen. Gesicht,
Hals, Brust und Beine sind konsequent modelliert; das Lendentuch hat noch seine langen, flatternden Enden. Vom
zweiten, ehemals bei Prof. W. L. Schreiber befindlichen Abdruck, dessen gegenwärtiger Standort unbekannt ist,
läßt es sich wegen der eng beschnittenen Papierränder nicht sagen, ob die Einfassung noch vorhanden war. Sicher ist
aber, daß die Enden des Lendentuches und viele Schraffuren an Gesicht, Hals, Brust und Gliedern weggeschnitten
worden sind und daß der Rand des Bodens und-mit ihm die Schatten der Füße nunmehr fehlen.
Gerade in diesem (dem ersten) Zustand mit feinen, kurzen parallel laufenden Strichen modellierten Beinen, wie auch
im Gesicht und in der Form des Nimbus, läßt sich der frühe Stil Hans Burgkmairs (kurz nach 1500) erkennen, den. wie
Schreiber (Text zu der Heitz-Publikation, S. 9) erwähnt, »an English expert« schon mündlich als Autor des schönen Holz-
schnittes vorgeschlagen hat. In Anbetracht der offenbar frühen Entstehung des Blattes darf es nicht überraschen, daß
die nächsten Parallelen nicht unter den signierten Werken Burgkmairs zu suchen sind, sondern eher unter solchen, die
von neueren Forschern ihm stilkritisch zugewiesen, heute ziemlich allgemein als sichere Werke seiner Jugend anerkannt
sind.2 Als Holzschnitte, die unserem Blatte besonders nahestehen, nenne ich folgende, die in liturgischen Büchern
Ratdolts in Augsburg erschienen und am bequemsten unter den von Karl Schottenloher für die Gutenberg-Gesellschaft
herausgegebenen Faksimiles zu suchen sind.3
1 Im Texte der Heitz-Publikation steht dank einem Druckfehler 866 a.
ä Vgl. besonders Hans Rupe, >Hans Burgkmair the Eider as an Illustrator of Books« (,The Print Collector's Quarterly, 1923, X. 167 ff.).
3 Die liturgischen Druckwerke Erhard Ratdolts aus Augsburg 1485—1522, Mainz 1922.
Abb. 1. Hans Burgkmair, Der Schmerzensmann. I. Zustand.
In sämtlichen Verzeichnissen der Holzschnitte
Hans Burgkmairs fehlen drei miteinander eng ver-
knüpfte Darstellungen des Schmerzensmannes, die,
obwohl schon publiziert und zum Teil schon an ver-
steckten Orten oder mit einem Fragezeichen diesem
Künstler zugeschrieben, noch nie in ihrem richtigen
Zusammenhang dargelegt und für zweifellose Arbeiten
des Augsburger Meisters erklärt worden sind.
Am 7. Dezember 1926 tauchte mit anderen frühen
Holzschnitten aus kontinentalem Besitz in einer Auktion
bei Sotheby, London, als Nr. 117 der hie r (Abb. 1) abge-
bildete Christus als Schmerzensmann auf (190 :135 mm,
mit doppelter Einfassungslinie, nicht koloriert), welchen
schon Schreiber (Handbuch, Nr. 881) als Holzschnitt
»um 1480« beschrieben hatte. Das Blatt wurde von
Rosenthal, München, ersteigert und ging bald in den
Besitz des Herrn James C. McGuire in New York über.
Das schöne Blatt, welches schon im Sotheby-Katalog
als Lichtdruck abgebildet wurde, erschien wieder 1928
alsTaf.lSim 65.Band der Einblattdrucke des XV.Jahr-
hunderts, herausgegeben von P. Heitz, welcher die
Inkunabeln des Holz- und Metallschnittes dieser in
diesem Fach reichsten amerikanischen Privatsammlung
behandelt.Schreiber, der denText zu dieser Publikation
verfaßt hat, nennt diesmal seine Nr. 881 »Oberrhein(?)
um 1490—1500« und spürt einen Zusammenhang (der
tatsächlich viel enger ist, als er weiß) mit dem einst in
seiner eigenen Sammlung befindlichen Schmerzens-
mann, Schreiber, 886 a1 = 2907, den er ebenfalls »kaum
vor 1490« datiert. Das letztgenannte, hier (Abb. 2)
wieder abgebildete Blatt (169:95 mm, ohne Einfassungs-
linie, nicht koloriert) ist schon einmal im Auktionskatalog
der Sammlung W. L. Schreiber bei Gilhofer & Ranschburg, Wien, im März 1909, Nr. 51, Taf. XVIII, reproduziert worden.
Wenn man nun die beiden Exemplare nebeneinanderlegt, so springt es in das Auge, daß sie zwei verschiedene Zu-
stände desselben Holzschnittes darstellen. In dem nicht sehr frühen, aber vollständig erhaltenen Abdruck bei Mr. McGuire
sehen wir die Gestalt des Schmerzensmannes auf festem Boden stehend, auf den die Füße ihre Schatten werfen. Gesicht,
Hals, Brust und Beine sind konsequent modelliert; das Lendentuch hat noch seine langen, flatternden Enden. Vom
zweiten, ehemals bei Prof. W. L. Schreiber befindlichen Abdruck, dessen gegenwärtiger Standort unbekannt ist,
läßt es sich wegen der eng beschnittenen Papierränder nicht sagen, ob die Einfassung noch vorhanden war. Sicher ist
aber, daß die Enden des Lendentuches und viele Schraffuren an Gesicht, Hals, Brust und Gliedern weggeschnitten
worden sind und daß der Rand des Bodens und-mit ihm die Schatten der Füße nunmehr fehlen.
Gerade in diesem (dem ersten) Zustand mit feinen, kurzen parallel laufenden Strichen modellierten Beinen, wie auch
im Gesicht und in der Form des Nimbus, läßt sich der frühe Stil Hans Burgkmairs (kurz nach 1500) erkennen, den. wie
Schreiber (Text zu der Heitz-Publikation, S. 9) erwähnt, »an English expert« schon mündlich als Autor des schönen Holz-
schnittes vorgeschlagen hat. In Anbetracht der offenbar frühen Entstehung des Blattes darf es nicht überraschen, daß
die nächsten Parallelen nicht unter den signierten Werken Burgkmairs zu suchen sind, sondern eher unter solchen, die
von neueren Forschern ihm stilkritisch zugewiesen, heute ziemlich allgemein als sichere Werke seiner Jugend anerkannt
sind.2 Als Holzschnitte, die unserem Blatte besonders nahestehen, nenne ich folgende, die in liturgischen Büchern
Ratdolts in Augsburg erschienen und am bequemsten unter den von Karl Schottenloher für die Gutenberg-Gesellschaft
herausgegebenen Faksimiles zu suchen sind.3
1 Im Texte der Heitz-Publikation steht dank einem Druckfehler 866 a.
ä Vgl. besonders Hans Rupe, >Hans Burgkmair the Eider as an Illustrator of Books« (,The Print Collector's Quarterly, 1923, X. 167 ff.).
3 Die liturgischen Druckwerke Erhard Ratdolts aus Augsburg 1485—1522, Mainz 1922.
Abb. 1. Hans Burgkmair, Der Schmerzensmann. I. Zustand.