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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.6493#0069
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MITTEILUNGEN

DER

GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.

BEILAGE DER i-GRAPHISCHEN KÜNSTE.!.

1930. WIEN. Nr. 4.

Studien und Forschungen.

Bild-Beziehungen früher Holzschnitte.

Je tiefer der Glaube an die Einheitlichkeit und Kontinuität aller Kunstentwicklung im historischen Bewußtsein der
Gegenwart verankert ist, um so lebhafter bekundet sich gerade in jüngster Zeit das von Haus aus unabweisliche Streben,
auch die versprengten Erstlinge des Bilddruckes aus ihrer unnatürlichen Vereinsamung zu erlösen und über die stil-
geschichtliche Gruppierung artgleicher Erzeugnisse hinaus mit den Denkmälern der »hohen« Kunst in nähere Verbindung
zu bringen; unter diesem Gesichtswinkel zeigen sich beispielsweise die von der Erforschung der altösterreichischen
Tafelmalerei ausgehenden Bemühungen Buchners, Hugelshofers und Benesch', eine lange vernachlässigte Kunstprovinz
durch die gelegentliche Eingliederung von Einblattdrucken dichter zu besiedeln, und die vornehmlich erkenntnis-
theoretischen Absichten J. Jahns, aus der grundsätzlichen Zusammenordnung von Inkunabel-Holzschnitten und Gemälden
neue Aufklärungen über das Wesen und Werden der »gedruckten« Kunst Zugewinnen, unbeschadet ihrer selbständigen
Entstehung einem gemeinsamen Antriebe hörig. Freilich kann hier wie dort nicht verschwiegen werden, daß die über-
wiegende Mehrzahl der einschlägigen Versuche bisher nach Voraussetzungen und Folgerungen keineswegs zu methodisch
einwandfreien Ergebnissen gelangt ist, da die jeweils behaupteten Sachverhalte nur allzu oft auf rein gefühlsmäßigen
Eindrücken, ihre Deutungen auf vorgefaßten Meinungen beruhen: wer fürderhin trotz solcher Warnung mit welcher
Beobachtung immer auf eigene Gefahr in das strittige Gebiet vorzustoßen wagt, muß sich daher neben der Abgründig-
keit des Angriffsgeländes eindringlicher denn je die immanenten Fehlerquellen vor Augen führen, die ebenso häufig aus
der Problematik der üblichen Zielsetzung wie des Arbeitsverfahrens erfließen.1

Von vornherein pflegt die durch die urtümlichen Verschiedenheiten des Bestimmungs- und Gebrauchszwecks, der
Technik und des ihr entsprechenden Kunstwollens bedingte Heteronomie der beteiligten Kunstzweige den Einzelver-
gleich von »primitiven« Holzschnitten und Gemälden auf so wenige Anhaltspunkte festzulegen, daß die beliebige
Betonung der einen oder anderen Ähnlichkeit nicht hinzureichen vermag, um den stets regen Verdacht einer nur zufälligen
Berührung abzuwehren. Zudem rückt die konkrete Durchmusterung der verfügbaren Vergleichsmerkmale immer wieder
eben jene Elemente der spätmittelalterlichen Bildgestaltung in den Vordergrund des Gesichtsfeldes, die ihrer herkömm-
lichen Beschaffenheit nach dem unvermeidlichen Subjektivismus jeglicher Stilkritik Tür und Tor öffnen: wie etwa die
Komposition neben der individuellen Formgebung ikonographischen Bindungen, die Gewandbehandlung in besonderem
Maße dem nivellierenden Einfluß des Zeitstils Untertan ist, so gewährt die Gegenüberstellung der Kopftypen im Hinblick

1 Der folgende Textabschnitt konnte — als eine grundsätzliche Weiterführung einiger Feststellungen, die mir meine Besprechung des Jahn-
schen Buches im letzten Heft dieser Zeitschrift (S. 54—56) aufnötigte — nur um den Preis anfänglicher Wiederholungen den Schein etwelcher Inkon-
sequenz vermeiden; wenn ich mich hier wie dort in der Beurteilung der bisherigen Auseinandersetzungen mit dem fraglichen Thema im großen und
ganzen mit den Anschauungen einig finde, denen M. Weinberger gleichzeitig ebenda (S. 37—46) im Rahmen seines ausgezeichneten Aufsatzes
»Kleine Beiträge zur Lokalisierung früher Holzschnitte« stattgegeben hat, glaube ich seine generelle Ablehnung des Bildvergleichs lediglich gegen
dessen mißbräuchliche Anwendung und einseitige Überspannung gerichtet. Während die von Weinberger nicht erwähnten Vorschläge W. Hugels-
hofers, eine Reihe der hervorragendsten Einblattdrucke aus Molsdorfs oberbayerisch-alpenländischer und böhmisch-mährischer Gruppe wegen ihrer
angeblichen Verwandtschaft mit Werken der (durch H. bereits um den Pähler Altar bereicherten!) Altwiener Malerschule schlankweg an den Wiener
»Erzherzoghot« zu verpflanzen, eine wahre Musterkarte methodologischer Verstöße entfalten und obendrein bei einer souveränen Verachtung
aller äußeren Indizien — hiezu meine Bemerkungen in diesen »Mitteilungen«, Jahrg. 1929, S. 53 — Begriffe wie das »Romantisch-Poesievolle«, das
»Kokett-Interessante« in die stilkritische Begutachtung von Inkunabel-Formschnitten hineintragen, hat sich letzthin E, Rosenthal auf der Suche nach
Bild-Vorboten des Ulmer Holzschnittes einer um so rühmlicheren Vorsicht befleißigt: vgl. den Sammelband »Oberdeutsehe Kunst der Spätgotik und
Reformationszeit«, München 1924, S. 1—24, bzw. »Beiträge zur Forschung. Studien aus dem Antiquariat Jacques Rosenthal«, N. F. III., S. 23—25,
München, Mai/Juni 1930.
 
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