Schmutzer war keine eigentlich musikalische Natur, irgendwie verlangte aber die Haus-und Lieblingskunst seiner Vater-
stadt Wien, die Musik, auch in ihm ihr Recht. Goethe wollte die ausübenden Musiker nicht sehen, um durch ihre Be-
wegungen nicht im Zuhören gestört zu werden, Richard Wagner hat in Bayreuth das Orchester versenkt. Schmutzer aber
ward immer wieder durch den sein Instrument meisternden oder damit hantierenden Musiker dazu verlockt, ihn gerade
in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit darzustellen. Nicht seine früheste Meisterleistung, wohl aber das erste Blatt,
mit dem er einen durchschlagenden, in weite Kreise dringenden Erfolg erzielte, das Joachim-Quartett, gibt vier Musiker
beim Spiele wieder. Musizierend sind Joachim und Exzellenz von Keudell dargestellt. Denken Sie ferner an den Schweden
Sven Scholander, der zur Laute singend, an Pablo Casals, der spielend und stimmend, an Arnold Rose, der zweimal,
einmal ebenfalls sein Instrument stimmend, wiedergegeben ist, und schließlich an die große und die kleine Radierung mit
den Philharmonikern während einer Probe unter Felix Weingartner. Bereits diese kurze Aufzählung von Arbeiten, die
Ihnen allen seit langem wohlbekannt sind und Ihnen jetzt durch die Ausstellung in der Sezession wieder frisch ins Ge-
dächtnis gerufen wurden, führt mitten hinein in Schmutzers Werk und auf einen Gipfel seiner Kunst. Mit Musikern hatte
Schmutzer immer besonderes Glück, unter seinen Bildnissen nach Musikern finden sich Blätter, die zu seinen allerbesten
gehören, wie der große und der kleine Goldmark, Theodor Lescheticky, Hugo Wolf, Richard Strauß und Eugen d'Albert,
der freilich nimmermehr radiert, sondern bloß gezeichnet wurde.
Eines der genannten Blätter sei herausgegriffen, um daran kurz Schmutzers künstlerische Art aufzuzeigen. Der so-
genannte große Casals, die Radierung, auf der der Virtuose spielend dargestellt ist. Die Platte hat etwa zwei Fuß im
Geviert, der Kopf des Porträtierten ist ungefähr handtellergroß. Zu sehen sind nur der kahle Schädel, der im Dreiviertel-
profil nach links abwärts geneigt ist, die linke Schulter, die Schnecke und der Hals des Cellos, der linke Arm und verkürzt
die vier fast krampfhaft angespannten Finger, die auf die Saiten drücken. All das ist mit leichten Strichen gezeichnet,
vielfach nur angedeutet, aber der Mann spielt, spielt wirklich, man glaubt die vollen, weichen Glockentöne, die er seinem
Instrument entlockt, zu hören. Man sieht nur die gesenkten schweren Augenlider, den Blick selbst nicht. Doch weiß man,
daß er zwar auf Bogen und Saiten geheftet, in Wahrheit aber nach innen gekehrt, gleichsam ausgeschaltet ist, weil
augenblicklich ein anderer Sinn, und zwar einzig und allein herrscht: das Gehör. Dieses Blatt offenbart das Wunder,
das einem jeden echten Kunstwerk innewohnt: daß es sich nämlich selbständig macht, daß es sich von dem, der es
hervorgebracht hat, loslöst und auch über das, was es darstellt, hinauswächst. Im Grunde genommen nur ein Blatt
Papier, das mit dunklen Strichen bedruckt ist, läßt es uns das köstliche Cellospiel des berühmten Portugiesen hören
und verbindet uns zugleich aufs engste mit einem außerordentlichen Wiener Radierer vom Beginn des XX. Jahrhunderts,
der wieder einmal mit eigenen, unverdorbenen Augen die alte Welt neu gesehen hat, und ist doch weder Ferdinand
Schmutzer noch Pablo Casals, sondern ein eigenes Wesen, das durch sein bloßes Dasein das Lob seines Schöpfers
verkündigt. Dabei wird der Kenner an dem Blatt bewundern, wie der Raum verteilt, wie mit wohlüberlegter Absicht
weggelassen und vereinfacht, wie treffend die Hand charakterisiert ist (die Hände, eine verhängnisvolle Klippe für viele
Künstler, sind bei Schmutzer immer meisterhaft), wie in dem Gewirr modellierender Strichelchen ein jedes an seinem
Platz sitzt und zielbewußt zur Wirkung des Ganzen beiträgt. Durch seine Bildnisradierungen ist Schmutzer bei Lebzeiten
am bekanntesten geworden, als Bildnisradierer wird Schmutzer auch der Nachwelt unvergessen bleiben.
Er wollte zuerst Bildhauer, dann Maler werden, und zwar wollte er Tiere malen, so wie sie sein Vater modellierte.
Seine frühesten Arbeiten sind Genrebilder. Sie erinnern an Defregger und Kurzbauer. Ein Zufall war es, der ihn auf den
Weg des Bildnisradierers wies. William Unger, bei dem er gewissermaßen nebenher kurzen Radierunterricht genossen
hatte, war verhindert, einen Porträtauftrag auszuführen, und empfahl seinen begabten Schüler als Ersatzmann. Der
Erfolg, den Schmutzer 1897 (das Jahr vorher hatte er überhaupt erst angefangen zu radieren) mit der Radierung des
Grafen Latour, des späteren Unterrichtsministers, erzielte, wurde entscheidend für seine Künstlerlaufbahn, man kann
sagen: für sein Leben. Seine nächste Bildnisradierung, das Porträt des greisen Rudolf von Alt, des ersten Präsidenten
der Sezession, vom Jahr 1899 war ein Volltreffer. Noch im selben Jahr, also noch bevor er nach Paris ging, wagte er
sich mit dem Blatt der Reiterin, das neben einem wohlgetroffenen Damenbildnis in ganzer Figur auch ein vorzüglich
beobachtetes Pferd bringt, an ein Format von solcher Größe, wie es der Tiefdruck seit langem nicht mehr erlebt hatte.
Vom Joachim-Quartett aus dem Jahr 1904, einem Höhepunkt seiner Kunst, war bereits die Rede. Hier beherrscht er
den schwierigen Vorwurf eines Gruppenbildnisses und das riesige Format mit gleich vollendeter Meisterschaft. Und nun
entsteht Blatt um Blatt die glänzende Reihe jener radierten Porträte, die seinen Namen weit über die Grenzen des Vater-
landes hinaus bekannt und berühmt gemacht, die ihm — es ist dies für internationale Geltung die stärkste und die seltenste
Probe aufs Exempel — sogar Aufträge aus dem Ausland, wie das Porträt des Deutschen Kaisers oder noch ganz zuletzt
das Gruppenbildnis des Verwaltungsrates der Ludwigshafener LG. Farbindustrie, verschafft haben.Gesessen sind Schmutzer
alt und jung, Männer und Frauen, Verwandte und Freunde, Inländer und Ausländer. Kaiser und Thronfolger, Adelige
und Bürgerliche, hohe Beamte des Staates und der Stadt, Gelehrte der verschiedensten Wissenszweige, Mönche, Ärzte
und Rechtsanwälte, Komponisten und Virtuosen, bildende Künstler. Dichter und Schauspieler. Kaufleute und Handwerker,
Bankiers und Industrielle. Wie die Porträtgalerie, die er in rastloser Arbeit geschaffen hat, ein ansehnliches und fesselndes
Stück Zeitgeschichte widerspiegelt, so ist sie auch selbst ein hochbedeutsames und lebendiges Zeugnis für die Wiener
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stadt Wien, die Musik, auch in ihm ihr Recht. Goethe wollte die ausübenden Musiker nicht sehen, um durch ihre Be-
wegungen nicht im Zuhören gestört zu werden, Richard Wagner hat in Bayreuth das Orchester versenkt. Schmutzer aber
ward immer wieder durch den sein Instrument meisternden oder damit hantierenden Musiker dazu verlockt, ihn gerade
in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit darzustellen. Nicht seine früheste Meisterleistung, wohl aber das erste Blatt,
mit dem er einen durchschlagenden, in weite Kreise dringenden Erfolg erzielte, das Joachim-Quartett, gibt vier Musiker
beim Spiele wieder. Musizierend sind Joachim und Exzellenz von Keudell dargestellt. Denken Sie ferner an den Schweden
Sven Scholander, der zur Laute singend, an Pablo Casals, der spielend und stimmend, an Arnold Rose, der zweimal,
einmal ebenfalls sein Instrument stimmend, wiedergegeben ist, und schließlich an die große und die kleine Radierung mit
den Philharmonikern während einer Probe unter Felix Weingartner. Bereits diese kurze Aufzählung von Arbeiten, die
Ihnen allen seit langem wohlbekannt sind und Ihnen jetzt durch die Ausstellung in der Sezession wieder frisch ins Ge-
dächtnis gerufen wurden, führt mitten hinein in Schmutzers Werk und auf einen Gipfel seiner Kunst. Mit Musikern hatte
Schmutzer immer besonderes Glück, unter seinen Bildnissen nach Musikern finden sich Blätter, die zu seinen allerbesten
gehören, wie der große und der kleine Goldmark, Theodor Lescheticky, Hugo Wolf, Richard Strauß und Eugen d'Albert,
der freilich nimmermehr radiert, sondern bloß gezeichnet wurde.
Eines der genannten Blätter sei herausgegriffen, um daran kurz Schmutzers künstlerische Art aufzuzeigen. Der so-
genannte große Casals, die Radierung, auf der der Virtuose spielend dargestellt ist. Die Platte hat etwa zwei Fuß im
Geviert, der Kopf des Porträtierten ist ungefähr handtellergroß. Zu sehen sind nur der kahle Schädel, der im Dreiviertel-
profil nach links abwärts geneigt ist, die linke Schulter, die Schnecke und der Hals des Cellos, der linke Arm und verkürzt
die vier fast krampfhaft angespannten Finger, die auf die Saiten drücken. All das ist mit leichten Strichen gezeichnet,
vielfach nur angedeutet, aber der Mann spielt, spielt wirklich, man glaubt die vollen, weichen Glockentöne, die er seinem
Instrument entlockt, zu hören. Man sieht nur die gesenkten schweren Augenlider, den Blick selbst nicht. Doch weiß man,
daß er zwar auf Bogen und Saiten geheftet, in Wahrheit aber nach innen gekehrt, gleichsam ausgeschaltet ist, weil
augenblicklich ein anderer Sinn, und zwar einzig und allein herrscht: das Gehör. Dieses Blatt offenbart das Wunder,
das einem jeden echten Kunstwerk innewohnt: daß es sich nämlich selbständig macht, daß es sich von dem, der es
hervorgebracht hat, loslöst und auch über das, was es darstellt, hinauswächst. Im Grunde genommen nur ein Blatt
Papier, das mit dunklen Strichen bedruckt ist, läßt es uns das köstliche Cellospiel des berühmten Portugiesen hören
und verbindet uns zugleich aufs engste mit einem außerordentlichen Wiener Radierer vom Beginn des XX. Jahrhunderts,
der wieder einmal mit eigenen, unverdorbenen Augen die alte Welt neu gesehen hat, und ist doch weder Ferdinand
Schmutzer noch Pablo Casals, sondern ein eigenes Wesen, das durch sein bloßes Dasein das Lob seines Schöpfers
verkündigt. Dabei wird der Kenner an dem Blatt bewundern, wie der Raum verteilt, wie mit wohlüberlegter Absicht
weggelassen und vereinfacht, wie treffend die Hand charakterisiert ist (die Hände, eine verhängnisvolle Klippe für viele
Künstler, sind bei Schmutzer immer meisterhaft), wie in dem Gewirr modellierender Strichelchen ein jedes an seinem
Platz sitzt und zielbewußt zur Wirkung des Ganzen beiträgt. Durch seine Bildnisradierungen ist Schmutzer bei Lebzeiten
am bekanntesten geworden, als Bildnisradierer wird Schmutzer auch der Nachwelt unvergessen bleiben.
Er wollte zuerst Bildhauer, dann Maler werden, und zwar wollte er Tiere malen, so wie sie sein Vater modellierte.
Seine frühesten Arbeiten sind Genrebilder. Sie erinnern an Defregger und Kurzbauer. Ein Zufall war es, der ihn auf den
Weg des Bildnisradierers wies. William Unger, bei dem er gewissermaßen nebenher kurzen Radierunterricht genossen
hatte, war verhindert, einen Porträtauftrag auszuführen, und empfahl seinen begabten Schüler als Ersatzmann. Der
Erfolg, den Schmutzer 1897 (das Jahr vorher hatte er überhaupt erst angefangen zu radieren) mit der Radierung des
Grafen Latour, des späteren Unterrichtsministers, erzielte, wurde entscheidend für seine Künstlerlaufbahn, man kann
sagen: für sein Leben. Seine nächste Bildnisradierung, das Porträt des greisen Rudolf von Alt, des ersten Präsidenten
der Sezession, vom Jahr 1899 war ein Volltreffer. Noch im selben Jahr, also noch bevor er nach Paris ging, wagte er
sich mit dem Blatt der Reiterin, das neben einem wohlgetroffenen Damenbildnis in ganzer Figur auch ein vorzüglich
beobachtetes Pferd bringt, an ein Format von solcher Größe, wie es der Tiefdruck seit langem nicht mehr erlebt hatte.
Vom Joachim-Quartett aus dem Jahr 1904, einem Höhepunkt seiner Kunst, war bereits die Rede. Hier beherrscht er
den schwierigen Vorwurf eines Gruppenbildnisses und das riesige Format mit gleich vollendeter Meisterschaft. Und nun
entsteht Blatt um Blatt die glänzende Reihe jener radierten Porträte, die seinen Namen weit über die Grenzen des Vater-
landes hinaus bekannt und berühmt gemacht, die ihm — es ist dies für internationale Geltung die stärkste und die seltenste
Probe aufs Exempel — sogar Aufträge aus dem Ausland, wie das Porträt des Deutschen Kaisers oder noch ganz zuletzt
das Gruppenbildnis des Verwaltungsrates der Ludwigshafener LG. Farbindustrie, verschafft haben.Gesessen sind Schmutzer
alt und jung, Männer und Frauen, Verwandte und Freunde, Inländer und Ausländer. Kaiser und Thronfolger, Adelige
und Bürgerliche, hohe Beamte des Staates und der Stadt, Gelehrte der verschiedensten Wissenszweige, Mönche, Ärzte
und Rechtsanwälte, Komponisten und Virtuosen, bildende Künstler. Dichter und Schauspieler. Kaufleute und Handwerker,
Bankiers und Industrielle. Wie die Porträtgalerie, die er in rastloser Arbeit geschaffen hat, ein ansehnliches und fesselndes
Stück Zeitgeschichte widerspiegelt, so ist sie auch selbst ein hochbedeutsames und lebendiges Zeugnis für die Wiener
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