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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.6493#0031
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bildende Kunst im ersten Viertel des XX. Jahrhunderts. Man spricht heute so viel von zeitgemäßer Kunst — nun: die Kunst
des guten Porträtisten ist immer zeitgemäß. Schmutzer gelingen intime Bildnisse ebensogut wie Bildnisse repräsentativer
Art, bald begnügt er sich mit dem Kopf allein, bald gibt er die ganze Figur in einer für sie charakteristischen Pose, in
einem zu ihr gehörigen Innenraum wieder, auf dem winzigen Fleck eines Exlibrisblättchens oder innerhalb eines Quadrat-
meters bewegt er sich mit derselben Leichtigkeit und Sicherheit und immer wieder und noch ganz am Schluß löst er,
seines Erfolges gewiß, die schwierige Aufgabe eines Gruppenbildnisses. Was die von ihm über alles verehrten großen
Holländer des XVII. Jahrhunderts in ihren Schützen- und Regentenstücken mit dem Pinsel unternommen haben, das
führt er auf riesigen Kupferplatten mit der Radiernadel aus. Zuletzt meisterte er auch noch mit Hilfe der Vernis-mou-Technik
den nahezu lebensgroßen Kopf, dem er lange Zeit ausgewichen war, auf vorbildliche Weise. Seit Josef Kriehuber hat
es unter den Wiener Graphikern keinen Porträtisten mehr gegeben von gleicher Treffsicherheit, gleichem Geschmack
und gleicher Fruchtbarkeit wie Ferdinand Schmutzer. In derErfassung derPersönlichkeit,an schlagender Charakterisierungs-
kraft ist er aber dem Altwiener Lithographen ebenso weit überlegen, wie an künstlerischer Eigenart, die bei seinen besten
Arbeiten förmlich in die Augen springt.

Schmutzer hat vorzügliche Damenbildnisse geschaffen, zum Beispiel die farbige Radierung der Tänzerin Gertrud
Barrison, Frau Vollmöller-Carmi als Himmelskönigin im »Mirakel« und als »Nonne«, seine Mutter. Im großen ganzen
sagen aber seinem durchaus männlichen Wesen doch die Männer weitaus besser zu. Die großen Repräsentationsbildnisse,
zum Beispiel der drei Wiener Bürgermeister Lueger, Weiskirchner und Seitz oder des Deutschen Kaisers oder gar des
Erzherzogs Franz Ferdinand (dieses Porträt vielleicht der heikelste, undankbarste Auftrag, den Schmutzer je zu bewältigen
hatte, was durch die ganz außergewöhnlich hohe Anzahl der Zustände dieser Platte bezeugt wird), zählen trotz dem
barocken Schwung, der sich in dem einen oder anderen von ihnen geltend macht, vielleicht doch nicht zu seinen aller-
besten Arbeiten. Eine gewisse Unfreiheit wird sogar beim Lueger und beim Deutschen Kaiser merkbar. Bedeutend wohler
fühlt sich Schmutzer augenscheinlich vor den ausdrucksvollen Köpfen von Gelehrten, wie seine radierten Bildnisse der
Nationalökonomen Menger und Wieser, des Arabisten und Direktors der Hofbibliothek Karabacek, des Ohrenarztes
Professor Urbantschitsch, des Juristen Mitteis, des Archäologen Löwy und des Begründers der Psychoanalyse Freud
beweisen. Ganz in seinem Element ist er aber doch erst, wenn er Künstler porträtieren darf: den Maler Alt, den Architekten
Ohmann, die Schauspieler Kainz und Heine (diesen auf einem winzigen Exlibrisblättchen), den Opernsänger Slezak, die
Dichter Heyse und Schnitzler. Auf den höchsten Höhen aber bewfgt sich Schmutzers Porträtkunst, wie bereits ausgeführt
wurde, in seinen unübertrefflichen Radierungen nach Musikern.

Ungerecht wäre es aber, bei dieser Auslese aus Schmutzers Porträtgalerie so charakteristische Bildnisse zu über-
gehen, wie den Bankier Cahn-Speyer, den sogenannten »Sammler«, den Bankier Kantor, Karl Wittgenstein und Ludwig
Lobmeyr oder die schöne Folge eindrucksvoller Porträtstudien, die er 1923 im Franziskanerkloster S. Damiano zu
Assisi nach jungen Mönchen gemacht hat.

Eine bereits hervorgehobene Besonderheit von Schmutzers Porträtkunst sind seine Gruppenbildnisse. Das Joachim-
Quartett war das erste, dann folgte Professor Chrobak am Operationstisch, hierauf die Wahl Theodor Ritters von Taussig
zum Gouverneur der Bodenkreditanstalt. Aus dem Jahr 1926 stammt die Orchesterprobe der Philharmoniker unter Wein-
gartner. Der letzte große Radierauftrag, der den Künstler beschäftigte, die Wiedergabe einer Sitzung des Vorstandes der
I. G. Farbindustrie in Ludwigshafen am Rhein, ist leider über die ebenso vorzüglichen wie lehrreichen Vorzeichnungen
nicht mehr hinausgediehen.

Schmutzer hat als Radierei- ebenso wie als Maler mit der Darstellung von Genreszenen begonnen. Er hat sie bis
zuletzt nicht völlig aufgegeben, aber sie traten doch im Lauf der Zeit gegenüber seinen Bildnisradierungen zurück. Unter
ihnen finden sich ganz entzückende Arbeiten, meist kleinen Formates. Von der Anekdote geht er zum Zustandsbild
über. Den Höhepunkt hat sein radiertes Genre unzweifelhaft in dem großen im Verlag unserer Gesellschaft für verviel-
fältigende Kunst erschienenen Blatte »Die Klostersuppe« erreicht, einem Vorwurf, den bereits Danhauser und Waldmüller
in Gemälden behandelt hatten, der aber von Schmutzer mit frischem, scharfem Künstlerauge durchaus neu gesehen und
von ihm ganz in der Art des späten Rembrandt, hauptsächlich mit Hilfe von Licht und Schatten, geschildert wurde.
Besonders gern stellte Schmutzer, was wir von seinen Musikern schon gehört haben, Menschen dar, wie sie in ihrem
Beruf tätig sind. Hiebei spielt offensichtlich die Freude an jeglicher Art von Handarbeit mit, ein untrügliches Kennzeichen
für einen Künstler, der sein Handwerk vom Grund auf beherrscht, der fest darin wurzelt. So schildert er nähende Frauen,
Maler und Bildhauer in ihren Ateliers, sich selbst über eine Kupferplatte gebeugt, den alten Maler beim Kopieren im
Louvre, französische Bauern bei der Einfuhr von Getreide, böhmische bei der Rübenernte, den franziskanischen Laien-
bruder in der Klosterküche von Assisi, Holländerinnen beim Spinnen, Bettmachen, Geschirrputzen, Wäschewaschen,
Kuhmelken und Briefschreiben, den Kupferdrucker Röhm, wie er eine Platte einfärbt, Dürnsteiner Bauei n an der Wein-
presse, den Volendamer Barbier beim Rasieren, Bergarbeiter beim Stollendurchbruch.

Landschaften, für die, wie zur Erholung von den städtischen Porträtaufträgen im Winter, die Motive im Sommer
auf dem Land und auf Reisen gesammelt wurden, spielen unter den Radierungen nach Genreszenen die wichtigste Rolle.
Sie gehen auf Aufenthalte in Holland, Belgien, Frankreich, Deutschland und verschiedenen Teilen der alten Monarchie
 
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