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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.6493#0041
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Kleine Beiträge zur Lokalisierung" früher Holzschnitte.

So ungelöst die Probleme des frühesten Holzschnittes noch sind, so scheint doch gerade in der ältesten Gruppe
nach Kristellers Einteilung eine fruchtbare Problemstellung Erfolg zu versprechen. Man muß dabei von einem Teil jener
Blätter absehen, die Glaser vor 1400, teilweise wohl doch zu früh bis 1350 datiert hat. Während es sich hier um einzelne,
völlig isolierte Holzschnitte handelt, für die sich bei der Internationalität des Stiles und der technischen Gebundenheit
des frühen Holzschnittes vielleicht nie Anknüpfungsmöglichkeiten finden lassen werden, hat sich Molsdorfs Teilung in
eine bayrisch-salzburgische, eine böhmisch-mährische und eine schon in die zweite Stilstufe fallende oberrheinische Gruppe
als ein überaus fruchtbares Arbeitsprinzip erwiesen. Daß gerade diese um 1400—1430 entstandenen Blätter sich leichter
als frühere undspäteregruppieren lassen, darf nichtwundernehmen. Sie fallen in eine Periode starker örtlicher Differenzierung,
in der die einzelnen Landschaften auf allen Gebieten künstlerischer Betätigung mit erhöhtem Eifer nach selbständigem
Ausdruck suchen und zugleich noch hinreichend voneinander isoliert sind, um zur Aufstellung eigener Kompositionstypen
oft sogar gezwungen zu sein. In den vierziger Jahren wird das anders: der Massenversand von Holzschnitten eines
bestimmten Gebietes beginnt und damit die allgemeine Angleichung des Stils und der Typen.1

Wenn von Molsdorfs Gruppen im Laufe der Jahre manches abgebröckelt ist, so hat die Unanfechtbarkeit seiner
Grundthesen dadurch nur gewonnen. Am eindeutigsten stellt sich heute noch die salzburgisch-bayrische Gruppe dar.2

Die böhmisch-mährische Gruppe hat dagegen am meisten von dem Bestand verloren, der ihr von Molsdorf zugewiesen
worden war. Haberditzl hat neben dem Hauptblatt, der Ruhe auf der Flucht, nur den Berliner Hieronymus (Sehr. 1555,
nach dem der Wiener Schnitt 1536 kopiert ist), die Brünner hlg. Dreifaltigkeit (Sehr. 736) und ein Anbetungsfragment
in Dillingen (Sehr. 97a) als Reste der Produktion dieser Olmützer Werkstatt anerkannt;3 es wäre freilich zu erwägen, ob
nicht auch der hlg. Wolfgang (Sehr. 1733) hieher gehört, der in dem gleichen Olmützer Missale der Brünner St. Jakobs-
kirche enthalten ist, in dem der große Dreifaltigkeitsschnitt klebt; jedenfalls besteht Verwandtschaft mit dem Berliner
Hieronymus, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß der St. Wolfgang möglicherweise eine entferntere Kopie ist. — Arbeiten
einer Werkstatt, die Vorlagen des Meisters der »Ruhe auf der Flucht« zu kopieren pflegte, stellt Glaser4 fest in den
Holzschnitten Verkündigung, München (Sehr. 29), Kreuztragender Christus (Sehr. 920), Christoph (Sehr. 1357), beide in
Berlin, und Franziskus (Sehr. 1425) in Dresden. Eine Kopie nach dem Hauptmeister sieht er, zweifellos mit Recht, auch
in dem Grazer Schnitt Sehr. 1432 p, die Heiligen Franziskus und Ludwig von Toulouse darstellend.

Wie aber soll man diesen Blättern die beiden großartigen Schnitte in Wien: Verkündigung (Sehr. 25 b, Abb. 1) und
Heimsuchung (Sehr. 52 b, Abb. 2) anreihen, die nur deshalb als böhmisch-mährisch gelten, weil sie in einem Sammelband
der Olmützer Studienbibliothek gefunden wurden? Sie sind etwa zwanzig Jahre nach der Ruhe auf der Flucht, also um
1430 entstanden; ihre Stilstufe entspricht, auch in der schüchtern beginnenden Verwendung von Schraffen, genau
dem Buxheimer Christopherus. Mit der soeben besprochenen Gruppe verbindet sie nichts; es ist auch sehr un-
wahrscheinlich, daß in so später Zeit, lange nach der Blüte unter König Wenzel, ein Meister von solchem Rang in diesen
Gegenden tätig gewesen wäre; aber auch sonst stehen sie unter den frühen Einblattschnitten völlig isoliert. Um so aus-
sichtsloser ist der Versuch, Kunstwerke, die so stark an die technischen Bedingungen ihrer eigenen Gattung gebunden
sind, mit Werken der Malerei, also einer fremden Kunstgattung, verknüpfen zu wollen, rein auf Grund einer doch immer
nur subjektiv zu bewertenden Stilanalyse. Buchner5 hat die beiden Blätter dem Meister von Schloß Liechtenstein und
Benesch6 seinem Meister der Linzer Kreuzigung zugewiesen. Wir können solche Zuschreibungen nur zu den Hypothesen
rechnen, die in den letzten Jahren das Bild vor allem der deutschen Kunstgeschichte nicht immer geklärt haben. Ent-
scheidend wirkt auf den Stil des Holzschneiders zunächst die technische Tradition ein, ein Element also, dem an Ge-
mälden nichts Vergleichbares entspricht; aber auch Komposition und Ikonographie können innerhalb der gleichen Stadt
in den Werkstätten der Holzschneider und der Maler vorübergehend stark voneinander abweichen (z. B. in Nürnberg um
1440—1450!). So fehlt jede gesunde Basis für einen Vergleich, wo Ursprung von Holzschnitt und Gemälde nicht schon
zuvor aus anderen Gründen erschlossen sind. — WTährend Benesch allein auf dem trügerischen Grunde der Stilkritik
seine These aufbaute, hatte Buchner immerhin ein positives Argument: für ihn sprach der enge Zusammenhang der
Komposition auf dem Holzschnitt der Heimsuchung und dem Berliner Bild gleichen Themas, das zu einem großen

1 Vgl. des Verfassers »Formschnitte des Katharinenklosters zu Nürnberg«, S. 17, wo die sklavische Abhängigkeit einer Nürnberger Werkstatt der
vierziger Jahre vom Oberrhein erwiesen wird.

2 Daß die Kreuzigung mit dem Wappen von Tegernsee (Sehr. 932) und der hlg. Erasmus (Sehr. 1315, das angeblich nur bei französischen
Heiligen begegnende Pfriemenmartyrium überall in Deutschland, z. B. auf einem deutschsüdtirolischen Bild im Bozener Museum), nicht
französisch sind, bedarf keines Beweise, s. Vgl. auch S. 393. — Ernster ist Suidas Vorstoß, der die Schnitte der zweiten Stilstufe mit den
Wappen von Pfalz, Bayern und Österreich für Wiener Arbeiten ansieht, die nach bayrischen Klostern ausgeführt wurden (Österr. Malerei, Wien 1926,
S. 26). Doch ist zu bedenken, daß von den zwei Exemplaren der Kreuzigung Sehr. 962", die sich in Tegernseer Handschriften finden, nur eines
den Wappenrahmen zeigt, während der andere mit dem Rahmen von Sehr. 15S7 übereinstimmt, gewiß keiner Wiener Arbeit.

3 Einblattdrucke der Wiener Hofbibliothek, Wien 1920, S. 9 zu Nr. 41. — 4 Got. Holzschnitte, S. 20. — 5 Münchner Jahrbuch 1923, S. 170.
— 6 Wiener Jahrbuch II, 1928, S. 69.
 
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