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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.6493#0052
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fallende Beschluß der Adaptierung des Dominikanerklosters als Kollegiatstift und das endgültige Fallenlassen der
Magdalenenkapelle.

Über die Frage der Zuschreibung des Titelblattes und der damit stilistisch zusammenhängenden Gruppe von Holz-
schnitten des Halle'schen Heiligtumsbuches Von 1520 finden sich in der Literatur verschiedene Meinungen. Jedoch
weisen sie durchwegs in die Richtung Cranachs oder seines Kreises. W. Schmidt, Repertorium für Kunstwissensch. 12,
p. 300, erkennt in dem neuen Titelblatt eine starke Verwandtschaft mit Lucas Cranach d. Ä. G. v. Terey, Cardinal'Albrecht
von Brandenburg und das Halle'sche Heiligtumsbuch von 1520, Straßburg 1892, p. 108, schlägt dafür »einen Schüler
oder Gehülfen Cranachs, der identisch ist mit einem jener Künstler, welche mit demPseudo-Grünewald zusammengearbeitet
haben«, als den Autor des Titelblattes und der übrigen verwandten Blätter im Halle'schen Heiligtumsbuch vor. Flechsig,
Cranach-Studien 1, p. 183, schreibt es demPseudo-Grünewald zu. Eine endgültige Lösung konnte bisher nicht gefunden
werden; dies mag seine Ursache darin haben, daß der Charakter des Blattes wohl auf Cranach hindeutet, seine Schwächen
aber so augenfällig sind, daß an einer eigenhändigen Schöpfung des großen Meisters mit Recht zu zweifeln war.

Ich möchte für den Schöpfer des alten Titelblattes (Abb. 2) Lucas Cranach d. A. in Anspruch nehmen. Damit
wird Cranach indirekt als geistiger Urheber, als künstlerische Wurzel des neuen Titelblattes sichtbar. Zum Vergleich ziehe
ich gesicherte Holzschnitte Cranachs aus der gleichen Zeit heran: als früheste Beispiele die Apostelmartyrien B. 37 bis
48, die um 1512 angesetzt werden. Die gedrängte Komposition, die lebendig durchzitterten Konturen sind einander eng
verwandt. Auch in Details ist die Übereinstimmung unverkennbar: man vergleiche den Kopftypus des heiligen Thomas mit
dem des heiligen Andreas B. 38, den Kopf Albrechts mit dem des heiligen Johannes B. 40. Im selben Blatt befinden sich
auf der Rückseite des Altarschreines Puttentypen, die denen auf unserem Blatt durchaus gleichen (diesbezüglich siehe auch
B. 68). Der Zeichnung der Wolken begegnen wir in B. 44 und 44. Das charakteristische vom Wind gebogene Grasbüschel
zeigt sich schon in den frühen Blättern B. 120/121 und wiederum bei B. 44. Der Kopf Johannis Evangelistae ähnelt dem Kopf
des Knaben vorne in der Mitte des Holzschnitts B. 60 (datiert 1516), sowohl durch die einfache scharfe Umrißzeichnung,
wie durch die mit wenigen Parallelstrichen angedeutete Modellierung der Wange. Die kleine Maria Magdalena wiederholt
ein Thema, das Cranach bereits als Einzelholzschnitt im Jahre 1506 (B. 72) gestaltet hat. Die Heilige selbst ist nahezu
in derselben Haltung dargestellt; der leicht nach rechts gewendete, von Putten getragene Körper, die etwas linkische
Beinstellung, die das Emporschweben wenig erkennen läßt, die rechts über der Brust gefalteten Hände, das in langen
geringelten Locken herabfallende Haar — dies alles findet sich wieder.1

Auf Grund solcher Vergleiche, die sich vermehren ließen, ist das Blatt wohl Cranach d. A. zuzuschreiben und die
Datierung nicht nur historisch, sondern auch stilistisch begründet.

Merkwürdig erscheint es, daß Cranach, der also schon einige Jahre früher das Hauptblatt für das Halle'sche Heiligtums-
buch verfertigt hatte [möglicherweise gibt es aus dieser Zeit noch andere bisher unbekannte Holzschnitte, bzw. Zeichnungen
nach Halle'schen Heiligtümern von seiner Hand(Aschaffenburg?)], gegen das Jahrl520 die Arbeit nichtwieder aufgenommen
hat und durch einen (oder mehrere) zweitrangige Künstler ersetzt wurde. Die einleuchtendste Erklärung dafür scheint
mir in der damals schon rasch fortschreitenden Bewegung der Reformation und Cranachs persönlicher Stellungnahme zu
ihr zu liegen. Er war nicht nur der Freund und Gönner Luthers, sondern er druckte auch schon vor 1520 eine ganze Reihe
Luther'scher Schriften in seiner Wittenberger Buchdruckerei. Wenn Cranach auch noch im Jahre 1525 und 1527 Albrecht
als Hieronymus malte — allerdings nicht als Heiligen mit Strahlenkranz, sondern als Gelehrten und Kirchenvater —, so
konnte er doch im Jahre 1520 nicht mehr als Schöpfer einer Publikation auftreten, die eine von seinem Freund und Über-
zeugungsgenossen auf heftigste Weise angegriffene Institution verherrlichte. Lesen wir doch in Luthers Brief vom Februar
1521 (in dem er sich schon auf zwei seiner früheren Ermahnungen bezieht) an Albrecht von Brandenburg:

»Es hat jtzt E. Chur F. G. zu Halle / wider auffgericht den Abgott / der die armen einfeltigen Christen / umb Gelt
und Seele bringet / damit frey öffentlich bekand / wie alle ungeschickte thaddel durch den Tetzel geschehen / nicht sein
allein / sondern des Bischoffs von Meintz mutwil gewesen sind . . . mein unterthenige bitte / E. Chur F. G. wolte das
arme volck unverfüret und unberaubet lassen / sich einen Bischoff nicht einen Wolff erzeigen.« Eva Steiner.

1 Unabhängig von meiner Bestimmung erfahre ich nachträglich durch briefliche Mitteilung des Herrn Dr. Hagenacker, daß sich im Passavant-
Exemplar des Berliner Kupferstichkabinetts (P. III. p. 204, 258) von der Handschrift Max Lehrs' eine Notiz vermerkt findet: (Cranach).

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