Der hl. Sebastian, Inkunabel-Holzschnitt Sehr. 1677. München, Graphische Sammlun,
(Nach Schreiber-Heitz, Einblattdrucke XXX, T. 8.)
Tafelbild des »Meisters von Hohenfurt« unzweifelhaft in schärfere Be-
leuchtung rückt.
Bei alledem kann es nicht unbemerkt bleiben, wie auffallend Jahn
einem einzigen heuristischen Prinzip zuliebe sämtliche auf anderen Wegen
zu gewinnende Kriterien vernachlässigt. Ist es doch gleich, um fürs erste
bei den bereits erwähnten Versuchsreihen zu verweilen, nur schwer
verständlich, weshalb er seine eigenen Argumentationen ihrer Außenstützen
beraubt und etwa die immerhin zu nachträglicher Mitsprache erbütige Tat-
sache verschweigt, daß die Wiener »Madonna im Strahlenkranz« laut
Auktionskatalog dem Einbanddeckel einer 1434—1437 datierten, also
gleichzeitigen Handschrift verhaftet war, die »per manus Marzikonis bo-
hemi de Nachod« ins Dasein trat; ähnliches gilt für die »Madonna in Halb-
figur«, deren Breslauer Wiederholung nach Molsdorf nicht allein einem
schon im XV. Jahrhundert an Ort und Stelle bewahrten Codex entstammt,
sondern zudem durch das Wasserzeichen des Papiers, die Heiligen-Aus-
wahl des rückwärts ersichtlichen Kalenders sowie durch die Briefnotizen
auf der Versoseite des zugehörigen »Schmerzensmann«-Schnittes in ein-
helliger Zeugenschaft für Schlesien beglaubigt und somit in die böhmisch-
schlesische Kulturgemeinschaft einbezogen wird. Mochte nun aber der
stolze Verzicht auf solch äußere Behelfe eben noch ohne ernstliche Ge-
fährdung einer rein induktiven Schlußfolgerung hingehen, ja vielleicht
sogar deren Straffheit förderlich sein, mußte sich die
allzu geringe Bedachtnahme auf gesicherte Errungen-
schaften der neueren Holzschnitt-Forschung alsbald um
so bitterer rächen und zum Beispiel jene Ausführungen
des Autors, die auf einem an sich schon schwankenden
Grunde zwischen so wesensverschiedenen Kunstwerken
wie einem mittelrheinischen Sippenbild des Darmstädter
Museums (Abb. 25) und der ob ihrer Jahreszahl viel-
umstrittenen »Madonna von 1418« zu Brüssel (Sehr.
1160) eine schmale Xotbrücke errichten, mit einem Schlage
um Tragfähigkeit und Zielsicherheit bringen. Da ich mich
durch diese zwiefache Einrede im vorhinein zu einem
Standpunkt bekannt habe, von dem aus sich die angeb-
lichen Analogien des Bildaufbaues in vage, nötigenfalls
aus ikonographischen Anlehnungen zu erklärende An-
klänge verflüchtigen, sei nach dem Gebot der leidigen
Anzeigepflicht zunächst mitgeteilt, daß nach meinem
Dafürhalten hier eine auf Breiten-, dort eine auf Höhen-
ausdehnung berechnete Komposition vorliegt; daß die
durch den architektonischen Rahmen des Gemäldes an-
gebahnte vertikale Dreigliederung nach unten hin rasch
und rascherverebbtunddaherkaum stark genug hindurch-
gefühlt werden konnte, um die Anschauung zu recht-
fertigen, sie habe in die Bildgestaltung des Holzschnittes
mit ihrem der waagrechten Ellipse des Pallisadenzaun.es
eingelagerten Figurenkern ein entscheidendes Gegen-
gewicht getragen; daß es endlich auch nicht statthaft
sein dürfte, das tertium comparationis in den drei Engeln
mit den bogenmäßig ausgebreiteten Flügeln zu erblicken,
zumal die Gesamtanlage des Schnittes ohne fremdes Zu-
tun eine derartige Erscheinungsform erheischte und die
Konzeption des Ganzen gewiß nicht umgekehrt von den
erwähnten Begleitfigürchen her ausging. Hätte aber der
Verfasser überhaupt einen so bedrohlichen Vergleichspfad
beschritten, wenn er sich mit Kristeller, Friedländer,
Rosenthal und anderen von Anbeginn über den nieder-
_t^>^ ländischen Ursprung des Blattes im klaren gewesen
f 1 wäre, den die enge Stilnachbarschaft zur Erstausgabe
^ ' mit * der »Apokalypse«, die Bisterfarbe des Abdrucks, die
Häufung der widerhakigen Falten, die Gesichtstypen und
nebenher die frei sichtbaren Baumwurzeln ausreichend
verbürgen? Hätte er dann nicht vielmehr schon aus all-
gemeinen kunstgeschichtlichen Erwägungen die Möglich-
keit preisgegeben, einem niederländischen Werke der vervielfältigenden
Kunst, das obendrein auch nach Jahns sehr plausibler Hypothese alles Inhalt-
liche samt der Jahreszahl einer verschollenen Holzschnitt-Vorlage schuldet
und selbst in seiner heutigen, sekundären Überlieferung wohl nicht
später als um 1440 anzusetzen ist.i der Bewegungsrichtung der herr-
schenden Stilwelle entgegen die Anregung durch ein in einem deutschen
Tafelgemälde des dritten Jahrzehnts verkörpertes Bildschema zuzumuten?
Waren die bisherigen Einwendungen den immanenten Gefahren einer
von Haus aus fruchtbaren Fragestellung entsprungen, deren Einseitig-
keit zu den Fehlern ihrer Vorzüge gehört, fordert schließlich das dem Mün-
chener hl. Sebastian Sehr. 1677 gewidmete Kapitel, das ein immerhin
ertragreiches Buch aufs ärgerlichste verunziert, durch die urtümliche Ver-
kettung sachlicher und methodologischer Unzukömmlichkeiten zu ein-
gehender Widerlegung heraus. Der Verfasser macht drei Merkmale: »die
Kopfbedeckung, die Haartracht, das Verhältnis der Füße zum Postament«
als ebenso viele Besonderheiten für die Einordnung des bedeutenden
Blattes in den böhmischen Kunstkreis verantwortlich. Je weniger es dem
Referenten darum zu tun ist, mit den Irrtümern dieses Gedankengangs
auch das kaum mit Sicherheit lösbare Lokalisierungs-Problem zu berei-
nigen, um so leichter verschmerzt er vorweg die unvermeidliche Erkennt-
nis, daß das einzige Kennzeichen, das sich unter sonst günstigen
i E. Rosenthals allerdings nur vorläufige Datierung: »nach der Jahrhunderthälfte« (s. Mitt. d. Ges. f. verv. Kst.. Jhg. 1916, S. 28) scheint mir
wegen des naheliegenden Vergleichs mit der Berliner »Madonna im Strahlenkranze« Sehr. 110S um einiges zu hoch gegriffen.
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(Nach Schreiber-Heitz, Einblattdrucke XXX, T. 8.)
Tafelbild des »Meisters von Hohenfurt« unzweifelhaft in schärfere Be-
leuchtung rückt.
Bei alledem kann es nicht unbemerkt bleiben, wie auffallend Jahn
einem einzigen heuristischen Prinzip zuliebe sämtliche auf anderen Wegen
zu gewinnende Kriterien vernachlässigt. Ist es doch gleich, um fürs erste
bei den bereits erwähnten Versuchsreihen zu verweilen, nur schwer
verständlich, weshalb er seine eigenen Argumentationen ihrer Außenstützen
beraubt und etwa die immerhin zu nachträglicher Mitsprache erbütige Tat-
sache verschweigt, daß die Wiener »Madonna im Strahlenkranz« laut
Auktionskatalog dem Einbanddeckel einer 1434—1437 datierten, also
gleichzeitigen Handschrift verhaftet war, die »per manus Marzikonis bo-
hemi de Nachod« ins Dasein trat; ähnliches gilt für die »Madonna in Halb-
figur«, deren Breslauer Wiederholung nach Molsdorf nicht allein einem
schon im XV. Jahrhundert an Ort und Stelle bewahrten Codex entstammt,
sondern zudem durch das Wasserzeichen des Papiers, die Heiligen-Aus-
wahl des rückwärts ersichtlichen Kalenders sowie durch die Briefnotizen
auf der Versoseite des zugehörigen »Schmerzensmann«-Schnittes in ein-
helliger Zeugenschaft für Schlesien beglaubigt und somit in die böhmisch-
schlesische Kulturgemeinschaft einbezogen wird. Mochte nun aber der
stolze Verzicht auf solch äußere Behelfe eben noch ohne ernstliche Ge-
fährdung einer rein induktiven Schlußfolgerung hingehen, ja vielleicht
sogar deren Straffheit förderlich sein, mußte sich die
allzu geringe Bedachtnahme auf gesicherte Errungen-
schaften der neueren Holzschnitt-Forschung alsbald um
so bitterer rächen und zum Beispiel jene Ausführungen
des Autors, die auf einem an sich schon schwankenden
Grunde zwischen so wesensverschiedenen Kunstwerken
wie einem mittelrheinischen Sippenbild des Darmstädter
Museums (Abb. 25) und der ob ihrer Jahreszahl viel-
umstrittenen »Madonna von 1418« zu Brüssel (Sehr.
1160) eine schmale Xotbrücke errichten, mit einem Schlage
um Tragfähigkeit und Zielsicherheit bringen. Da ich mich
durch diese zwiefache Einrede im vorhinein zu einem
Standpunkt bekannt habe, von dem aus sich die angeb-
lichen Analogien des Bildaufbaues in vage, nötigenfalls
aus ikonographischen Anlehnungen zu erklärende An-
klänge verflüchtigen, sei nach dem Gebot der leidigen
Anzeigepflicht zunächst mitgeteilt, daß nach meinem
Dafürhalten hier eine auf Breiten-, dort eine auf Höhen-
ausdehnung berechnete Komposition vorliegt; daß die
durch den architektonischen Rahmen des Gemäldes an-
gebahnte vertikale Dreigliederung nach unten hin rasch
und rascherverebbtunddaherkaum stark genug hindurch-
gefühlt werden konnte, um die Anschauung zu recht-
fertigen, sie habe in die Bildgestaltung des Holzschnittes
mit ihrem der waagrechten Ellipse des Pallisadenzaun.es
eingelagerten Figurenkern ein entscheidendes Gegen-
gewicht getragen; daß es endlich auch nicht statthaft
sein dürfte, das tertium comparationis in den drei Engeln
mit den bogenmäßig ausgebreiteten Flügeln zu erblicken,
zumal die Gesamtanlage des Schnittes ohne fremdes Zu-
tun eine derartige Erscheinungsform erheischte und die
Konzeption des Ganzen gewiß nicht umgekehrt von den
erwähnten Begleitfigürchen her ausging. Hätte aber der
Verfasser überhaupt einen so bedrohlichen Vergleichspfad
beschritten, wenn er sich mit Kristeller, Friedländer,
Rosenthal und anderen von Anbeginn über den nieder-
_t^>^ ländischen Ursprung des Blattes im klaren gewesen
f 1 wäre, den die enge Stilnachbarschaft zur Erstausgabe
^ ' mit * der »Apokalypse«, die Bisterfarbe des Abdrucks, die
Häufung der widerhakigen Falten, die Gesichtstypen und
nebenher die frei sichtbaren Baumwurzeln ausreichend
verbürgen? Hätte er dann nicht vielmehr schon aus all-
gemeinen kunstgeschichtlichen Erwägungen die Möglich-
keit preisgegeben, einem niederländischen Werke der vervielfältigenden
Kunst, das obendrein auch nach Jahns sehr plausibler Hypothese alles Inhalt-
liche samt der Jahreszahl einer verschollenen Holzschnitt-Vorlage schuldet
und selbst in seiner heutigen, sekundären Überlieferung wohl nicht
später als um 1440 anzusetzen ist.i der Bewegungsrichtung der herr-
schenden Stilwelle entgegen die Anregung durch ein in einem deutschen
Tafelgemälde des dritten Jahrzehnts verkörpertes Bildschema zuzumuten?
Waren die bisherigen Einwendungen den immanenten Gefahren einer
von Haus aus fruchtbaren Fragestellung entsprungen, deren Einseitig-
keit zu den Fehlern ihrer Vorzüge gehört, fordert schließlich das dem Mün-
chener hl. Sebastian Sehr. 1677 gewidmete Kapitel, das ein immerhin
ertragreiches Buch aufs ärgerlichste verunziert, durch die urtümliche Ver-
kettung sachlicher und methodologischer Unzukömmlichkeiten zu ein-
gehender Widerlegung heraus. Der Verfasser macht drei Merkmale: »die
Kopfbedeckung, die Haartracht, das Verhältnis der Füße zum Postament«
als ebenso viele Besonderheiten für die Einordnung des bedeutenden
Blattes in den böhmischen Kunstkreis verantwortlich. Je weniger es dem
Referenten darum zu tun ist, mit den Irrtümern dieses Gedankengangs
auch das kaum mit Sicherheit lösbare Lokalisierungs-Problem zu berei-
nigen, um so leichter verschmerzt er vorweg die unvermeidliche Erkennt-
nis, daß das einzige Kennzeichen, das sich unter sonst günstigen
i E. Rosenthals allerdings nur vorläufige Datierung: »nach der Jahrhunderthälfte« (s. Mitt. d. Ges. f. verv. Kst.. Jhg. 1916, S. 28) scheint mir
wegen des naheliegenden Vergleichs mit der Berliner »Madonna im Strahlenkranze« Sehr. 110S um einiges zu hoch gegriffen.
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