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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.6493#0075
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„Fi*

verlieren, sah sie obendrein deren Leitlinie nicht ohne Genugtuung in eben den Kunstkreis münden, von dem aus das
Sebastians-Gemälde der Barbarakirche den entscheidenden Anstoß und gelegentliche Nachschübe empfing. Insofern
jetzt endlich die künstlerische und zeitliche Priorität des der Jahrhundertmitte angehörenden Holzschnitts im induktiven
Verfahren nach allen Seiten gesichert ist, kommt ihr rückwirkend auch die Aussage der neuesten schlesischen Forschung
zugute, die durch H. Braune und E. Wiese dem nach wie vor auf seinen koloristischen Vorzügen beharrenden Bilde auf
Grund der örtlichen Entwicklungsreihe eine »absolute« Datierung in die sechziger Jahre zuspricht.1 Wenn nach alledem
der Spiegelsinn des Boerner'schen Holztafeldruckes mehr denn je einer Erklärung bedarf, gebe man sich getrost mit
der Annahme einer verlorenen Holzschnitt-Kopie zufrieden, deren ein »Pestblatt« mit lateinischen Schutzverheißungen
gegen jegliche Seuche, gegen jähen Tod, gegen die sichtbaren und unsichtbaren Feinde des Leibes und der Seele um so
weniger ermangelt haben wird, als der fremdsprachliche Gebetstext erfahrungsgemäß in der Regel eine volkstümlichere
Ausgabe herbeirief. Ohne nun mit einem einzigen Schlüssel — oder gar Nachschlüssel! — sämtliche Türen öffnen zu
wollen, glaubt der rückwärts gekehrte Prophet, durch ein glückliches Zusammentreffen günstiger Vorzeichen ermutigt,
zwar nichts über die künstlerische Beschaffenheit des hypothetischen Zwischenträgers, wohl aber einiges von den Wegen
verlautbaren zu können, auf denen die schlesischen Künstler die Komposition des Sebastian-Schnittes mühelos errafft
haben mochten.

Die Möglichkeit eines solchen Wagnisses ist namentlich den Arbeiten M. Weinbergers zu danken, die den überaus
regen Exportbetrieb der oberrheinischen Werkstätten in einem vordem kaum zu erahnenden Umfange aufdecken:
gelingt doch den am Oberrhein ansässigen Formschneidern innerhalb des kritischen Zeitraums eine so durchgreifende
Eroberung des Marktes, daß sie in ihren stärksten Absatzgebieten die einheimische Produktion wenn nicht vollständig
unterdrücken, so doch an einer eigentlich schöpferischen Betätigung hemmen. Während eine derartige Behauptung etwa
für Salzburg Weinberger selbst (»Mitteilungen« 1930, S. 44) noch nicht so ganz spruchreif erscheint, während sich die
vom Verfasser dieser Zeilen (»Mitteilungen« 1929, S.54) hervorgehobenen Einklebungen von Holzschnitten oberrheinischer
Schulung in »böhmischen« Handschriften einstweilen auf wenige Beispiele beschränken, war es dem erstgenannten
Gelehrten bereits in seinem grundlegenden Buche über »Die Formschnitte des Katharinenklosters zu Nürnberg«
(München 1924) vergönnt, an der Gesamtheit des aus den Jahren 1430—1450 erhaltenen Materials die durch die ober-
rheinische Invasion entfesselte Alleinherrschaft des Kopistenwesens für den Bereich des fränkischen Kunstzentrums auf
das schlagendste zu entlarven — also für jene Stadt, deren überragende Bedeutung und Geltung die an Aufnahms-
freudigkeit am ehesten der österreichischen vergleichbare schlesische Kunstzone so stark beschattet, daß sogar eine so
wuchtige Gestalt wie der große Meister des Barbara-Altars ddo. 1447 im Breslauer Kunstgewerbe-Museum noch in
jüngster Zeit von H. Landsberger mit dem subtilsten Rüstzeug der Stilanalyse gegen die Verfechter ihrer Nürnberger
Herkunft und rein nürnbergischen Prägung verteidigt werden muß.2 Ist es daher eine allzu kühne Vermutung, der Maler
der »Sebastians-Marter«, Kind eines allerorten von fränkischer Kunst befruchteten Landes, habe sein kompositionelles
Vorbild in einem jener massenhaft in Nürnberg hergestellten oder aus der schwäbischen Einflußsphäre des ober-
rheinischen Formschnittes dorthin eingeführten Nachschnitte kennengelernt, mit denen die Nachahmer der oberrheinischen
Originale dazumal die Nürnberger Jahrmärkte überschwemmten?3 Nicht genug aber damit, läßt sich vielleicht auch dem
der Bildstruktur ungeschickt genug aufgepfropften Wappen, das Braune und Wiese kommentarlos den »Scheurlin«
zuteilen — es zeigt einen nach rechts steigenden silbernen Greifen im roten Felde, im Kleinod dasselbe Tier wachsend4 —,
nach einer kurzen Umschau in den Handschriften, Urkunden und Regesten der Breslauer Archive sowie in der jüngeren
und jüngsten Literatur zur Breslauer Siedlungs- und Gesellschaftskunde5 eine ähnlich lautende Äußerung entlocken. Mit

1 Unbegreiflicherweise hat Dehios »Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler* (Bd. II2 Nordostdeutschland, bearb. v. H. Kohte) — offenbar
in übel angebrachtem Vertrauen auf H. Lutsch (»Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Schlesien« I., Breslau 1886) — noch anno 1922 den
von A. Schultz i. J. 1866 (!) eingebürgerten, dem Kunsthistoriker neuerer Schulung längst indiskutablen Zeitansatz »Anfang des XVI. Jahrhunderts*
für die »Sebastiansmarter« der Barbarakirche übernommen. Ihrem Meister werden von Braune und Wiese a. a. O. mit vollem Recht die S.673 u.S. 691
erwähnten, qualitativ zumindest gleichwertigen Altarflügel des Schlesischen Museums d. bild. Künste zugeschrieben, die jene zweite Fassung der
»Sebastians«-Komposition enthalten. (Die Verwandtschaft erstreckt sich sogar auf das Laubstab-Ornament der spätgotischen Rahmen.)

2 Vgl. insbesondere »Ein Kapitel schlesischer Malerei« in dem Sammelwerke »Die Kunst in Schlesien«, Berlin 1927, S. 199—253, und die dort
angeführte Literatur; der letzte Vertreter der von H. Thode begründeten Nürnberger These ist H. Salomon (Breslauer Dissertation 1925).

3 Für einen an sich kaum erforderlichen persönlichen Aufenthalt des Malers in Nürnberg dürfte man die der Erlanger Zeichnung analoge
Figur eines Bogenschützen, der er an der Fassade des dortigen Rathauses hätte begegnen können, im Hinblick auf deren durch Musterbücher und
graphische Blätter erfolgte Verbreitung schwerlich ins Treffen führen. Da übrigens die Urkunden bei Baader, Beiträge II 18(52, und Mummenhoff,
»Rathauswerk« 1891, den Inhalt der anno 1424 von »Meister Berthold und seinen Söhnen« ausgeführten Malereien verschweigen, dürfte der ein-
schlägigen Mitteilung A. Goldschmidts an Bock eine chronikale Nachricht zugrunde liegen.

1 Die Deutung des Wappentiers in Übereinstimmung mit L. F. Paritius (»Monumenta Vratislaviensia . . . aufgenommen 1822—24«, T. I. Cod.
Ms. 2802 der Breslauer Stadtbibliothek, fol.47) und H. Luchs (»Schlesisches Wappenbuch«, Ms. des Breslauer Staatsarchivs Rep. 135 E. 69b) sowie
mit dem Volksmund, der das am Ring zu Breslau heute noch erhaltene Stadthaus der Scheurlin als das »Greifenhaus« bezeichnet, während Siebmachers
Wappenbuch II 1 (Der Adel des Königreichs Bayern, Nürnberg 1856), Text S. 10, T. 134, und die »Festschrift 1898« merkwürdigerweise von einem
»gehörnten Panther« sprechen.

^ Der Verfasser darf sich die Aufzählung der von ihm eingesehenen Belege ersparen, da er sie weiterhin in den hier ein für allemal zitierten
Schriften E. Fuhrmanns: »Die Bedeutung des oberdeutschen Elements in der Breslauer Bevölkerung des XV. und XVI. Jhdts.«, Inaug.-Diss. Breslau 1913,
(passim) und (neuestens) G.Pfeiffers: »Das Breslauer Patriziat im Mittelalter«, Breslau 1929, s. Register (= Darstellungen undQuellen zur schlesischen
Geschichte hgg. v. Ver. f. Gesch. Schlesiens, Bd. XXX) erschöpfend verarbeitet fand.

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