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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.6493#0079
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Obwohl aber, wie es scheint, gerade der
Ulm er Holzschnitt auch sonst zu Gemäldever-
gleichen ermutigt, heißt es auch hier immer
wieder verzichten und bald vor der allzu billigen
Feststellung oberflächlicher Zusammenhänge,
bald vor der vorschnellen oder allzu weitgehen-
den Deutung eines kompositionellen Gleich-
klanges warnen. Hat doch zum Beispiel Buchner
eine an sich glückliche Beobachtung sofort
wieder verwettet, indem er das »Sigismund«-
Täfelchen des »Meisters von Polling« im erz-
bischöflichen Klerikalseminar zu Freising als
die »unmittelbare Vorlage« des »Sigismunds-
Schnittes Sehr. 1636 im Germanischen
Nationalmuseum zu Nürnberg bezeichnet:1 man
stelle sich nur einen Holzschneider vor, der den
Oberkörper einer menschlichen Figur samt den
Armen im Spiegelsinn, den Unterkörper und die
Beine aber im gleichen Sinne kopierte! Ebenso-
wenig kann es sich empfehlen, das schöne Blatt
und all seine nächsten Stilgefährten — den von
Buchner richtig angereihten heiligen Corbinian
der Pariser Sammlung Rothschild (Sehr. 1382),
die heilige Helena zu Nürnberg (Sehr. 1495),
den heiligen Nicolaus da Tolentino in London
und Wien (Sehr. 1635) und die »Enthauptung
Johannis des Täufers« in Berlin und London
(Sehr. 1516) — nun in Bausch und Bogen aus Abb. 8. Die Heiligen Georg und Sebastian. Ölgemälde (75 : 69'5 cm) der Herlin-Schule,
dem von P. Kristeller in jahrelanger Aufbauarbeit New York. Metropolitan-Museum.

gefestigten Gefüge des Ulmer Holzschnitts zu lösen und einzig und allein deshalb in die Münchener Kunstzone, bisher
eine terra incognita des Inkunabel-Formschnitts, zu verlegen, weil der Pollinger Meister vermutlich dorthin zuständig und
der heilige Sigismund Schutzpatron von Freising ist: wäre es da nicht trotz des immerhin auffälligen Hinzutretens des
heiligen Corbinian methodisch richtiger, an einen eingewanderten Künstler oder eine auswärtige Bestellung des Bistums
zu denken? Um Buchner gewissermaßen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, sei endlich noch eine bescheidene An-
merkung zu einem Werk dieser Ulmer Gruppe gestattet. In seinem Herlin-Aufsatze (S. 6) findet sich die zutreffende
Äußerung, daß »die naive und einfache Bildfügung des frühen Herlin manches mit der Kompositionsweise primitiver
Holztafeldrucke gemeinsam hat«. In derTat scheint mir nun die »Enthauptung Johannis« Sehr. 1516,2 also eines der
Blätter, die Buchner mit Rücksicht auf den heiligen Sigismund aus Ulm verbannt hat, mit einem Bilde Herlins, nämlich
mit der »Enthauptung des heiligen Jakobus d. Ä.«an der Außenseite des Rothenburger Jakobs-Altars ddo. 1466,3 in der
Gesamtanordnung wie in dem Verhältnis der Figuren zur Landschaft zusammenzugehen. Wenn man dennoch wiederum
nur eine allgemeinere und mittelbare Berührung anzunehmen wagt — schon der auf die Hauptgruppe beschränkte
Gegensinn des (obendrein vielleicht etwas älteren) Einblattdrucks verbietet eine weitere Annäherung —, so erspart einem
die derart abgeschwächte Vermutung zumindest alle methodologischen Konflikte, da ja die beiden Vergleichsobjekte
schon an und für sich in örtlich zusammenlaufenden Entwicklungsreihen verankert sind.

Wo immer Inkunabel-Formschnitte und Tafelgemälde über kompositionelle Analogien hinaus zum Ansetzen von
Gleichungen verlocken, hat die »wechselseitige Erhellung der Künste« mit stets neuen Unbekannten zu rechnen.
_ Kurt Rathe.

1 Sitzungsbericht der Kunstwiss. Gesellschaft in München ddo. 19./II. 1023 im Münchener Jahrbuch f. bild. Kunst, Jahrg. XIII (1923), S. 170f.
Abbildungen der genannten Werke bei R. Hoffmann, Die Kunstdenkmäler im erzbischöflichen Klerikalseminar zu Freising, München 1907, Nr. 229,
bzw. W. Stengel, Holzschnitte des Kupferstichkabinetts im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg, Berlin 1913, T. XXUI= III. Außerordentliche
Veröffentlichung der Graphischen Gesellschaft.

- Abgeb. bei P. Kristeller, Holzschnitte im Kgl. Kupferstichkabinett zu Berlin, II. Reihe, Berlin 1915, Nr. 160, T. XXX = XXV. Veröffentlichung
d. Berliner Graphischen Gesellschaft und bei C. Dodgson, Woodcuts and metalcuts . . ., London 1914, No. 49, PI. XIV.

3 Abgeb. bei Baum a. a. O., T. 24, und Buchner, S. 12; vgl. auch H. Hupe, Friedrich Herlins Jakobslegenden (Zur Freilegung der äußeren
Flügelbilder des Rothenburger Jakobsaltars), »Cicerone« Jahrg. XIV (1922), S. 724—727 (mit Abb.).
 
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