Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1930

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6493#0087
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
In der Nummer S5 »Wirtshausszene« mit mehrfach sich unter-
haltenden Figurengruppen ist leider durch die allzu große Verkleinerung,
die wir auch ansonst vielfach in der Gesamtreproduktion augen-
schmerzend empfinden, das Interessante und Charakteristische der über-
dies noch unvollendeten Darstellung verlorengegangen. Das Kostümliche
weist auf die Rheingegend hin und auf die Zeit von 1500, während die
verständnisvolle perspektivische Anlage mit Einhaltung eines Augen-
punktes schon weiter herauf deutet. Sicher aber bleibt der überlieferte
Marne Schäufelein und das Jahr 1518 ausgeschlossen.

Ein historisch besonders wertvolles Blatt eines Tiroler Zeichners
um 1500 bringt Nummer 106, das einen kaiserlichen Jagdausflug ins
Hochgebirge darstellt. Auf der Jagdhütte und links von dem Reiterpaar
das rätselhafte, von Rock als: Kleiner gelesene Wort. Man möchte eher
an »Kamer« denken. Die Hütte zeigt das Reichs-, das Haus- und das
burgundische Wappen, so daß wir an Kaiser Max erinnert werden.
Ebenso unleserlich bleibt die an der Borde des Zeltes angebrachte Auf-
schrift in Majuskeln. Ein FVauenkopf mit großer Haube (105), deutsch
um 1470, führt wahrscheinlich auf den Hopfer-Kreis zurück.

Vom Standpunkt der heute schon auf einer erfahrungsreichen Stufe
stehenden Restaurierkunde mag gelegentlich einer Zeichnung, die zwei
sinnlos aueinandergeklebte Entwürfe zu zwei gotischen Altären aufweist
(110), die Frage gestellt werden, ob es nicht zweckentsprechender wäre,
noch rechtzeitig vor derartigen gründlichen Bearbeitungen, wie sie die
Direktion der Erlanger Universität unternahm, die notwendige Trennung
nicht zusammengehöriger Originale vornehmen zu lassen. Für fach-
kundige Hände bedeutet diese Loslösung keinerlei Schwierigkeit.

Der untere Teil dieser Zeichnung wurde mit Recht »Westdeutsch
um 1500« bezeichnet, worauf schon die Schreibweise des notierten
Heiligennamens: Sant Loy (Eligius) hinweist. Ikonographisch wohl
richtiger ist die Deutung: Augustinus mit segnender Hand als Skulptur in
der Mitte (nicht Nikolaus), links Eligius m i t dem Kugel bann er (nicht
Quirinus) und dazwischen. Nikolaus.

Nummer 1 12, Märiens Tod, rührt nicht von der Hand eines Malers,
sondern, wie die flache Komposition, die Faltenbehandlung und der leere
Hintergrund erkennen lassen, von einem Bildschnitzer her: ebenso 113«

Eine umfangreiche, leider nicht an Originalen reiche Gruppe gehört
N ürnberg und dessen Umkreis an, beginnend mit dem Ende des
XV. Jahrhunderts, zumal der weithin wirkenden Wolgemut-Schule
(Nr. 117—150), mit Passions-und Heiligendarstellungen, Sammelmotiven
und auch Naturstudien für Hintergründe (139—-142), die tatsächlich an
Gemälde Anschluß finden.1 In ihrem gemeinschaftlichen Charakter: ge-
röteltes Papier, gleiche Tinten und Wasserzeichen (in 117 bis 137), erkennt
man noch zusammengehörige Reste alter Skizzen- und Studienbücher
der Wolgemut-Schule, die sich meist auf der Reise füllten und daher
stilistisch differenzierende Formen enthalten. Wir haben heute kaumeine
andere deutsche Schule, die sowohl an Verbreitung als an Unklarheit in
der Zuschreibung und Verteilung der Gemälde ihresgleichen hat, ein
Umstand, der sich noch deutlicher im Gebiet dieser Zeichnungsgruppe
ausspricht und daher den Forscher vor immer neue Rätsel stellt. Indes
klärt das stets aufs neue in Angriff genommene Thema sich seit
Thodes Untersuchungen bis heute mehr und mehr. Die große Zweiteilung
Wolgemut-Pleydenwurf hat sich seit jener Zeit vielfach verästelt.

Mit dem Blatte des Hans Traut Sankt Sebastian (148), das durch
eine echte Handschrift Dürers bezeugt wird und schon durch seine
enorme Größe (55 : 30 cm) imponiert, setzt die festbeglaubigte Reihe der
Künstlernamen für das Nürnberger Gebiet ein. Dieses Ausmaß sowie
die Aquarclltechnik, die scharfen Umrisse weisen doch eher auf eine
Glasvisierung als auf ein plastisches Werk hin. An sie schließt sich ein
anderer, noch größerer Glasriß Sankt Leonhard (151) an, der wohl bei
seiner ganz hervorragenden plastischen Qualität kaum dem Benedikt-
meister zugeschrieben werden kann, so unsicher auch unsere Vorstel-
lungen von dessen Formengebung hin- und herschwanken. Ausdruck,
Modellierung der Hände und des Kopfes allein, die klaren, fast bild-
hauerisch gestalteten Falten überragen weit sein Können.

Es folgen dann acht wohlbekannte Dürer-Zeichnungen, dar-
unter sein Selbstbildnis aus den ersten Wanderjahren, das weniger des
Antlitzes halber als vielmehr der Handhaltung wegen für eine zweite
Zeichnung gleicher Zeit (Heilige Familie, Berlin) geplant wurde und auf
welche Verwendung schon Bock seinerzeit aufmerksam gemacht hatte.

Ein Apostelkopf aus der Zeit seiner niederländischen Reise zeigt,
leider durch eine spätere blaue Kolorierung des Hintergrundes für die
Gesamtwirkung eine große Schädigung. Die unten sinnlos auf die Brust
gesetzte Zahl 1521 bedeutet sicher nur eine Übertragung aus dem Hinter-
grunde, als derselbe grob überstrichen wurde. Eine Entfernung dieser
aufdringlichen Schichte würde sich auch von diesem Standpunkte aus
lohnen.

Nummer 160 wurde als Apparat zur Konstruktion der »Muschel-
linie« bezeichnet, wie sie in der »Underweysung« Nummer 38 (Figur) und
39 (Werkzeug) Erwähnung findet. Die Zeichnung sowie jene einer
gewundenen Säule zur Abbildung auf Hjj (b) und Hjjj (a) in der Unter-
weisung sind echt. Doch erfahren wir durch freundlichen Hinweis des
Professors Wirtinger (Wien) auf eine Stelle in Cantors Geschichte der
Mathematik, Band II, p. 461, daß Dürers »Muschellinie« nicht die Con-
choide der Alten, sondern etwas ganz anderes sei. Auch stimmt Dürers
Instrument mit dem bei Sturm abgebildeten (S.77, Fig. 18) nicht überein.2

Die Federzeichnung zu einem Sebastian (163), wiewohl aus der
Zeit, wird sich, auch abgesehen von der Überarbeitung, kaum für Dürer
retten lassen; um so mehr aber die beiden leider schon verdorbenen
Paradiesvogel-Darstellungen (164). Hans Hoffmann wäre ein zu grober
Patron für eine derartige feine stoffliche Behandlung.

Aus dem immerhin der Forschung dienlichen Kopienmaterial nach
Dürer erscheinen mir der Knabenkopf (177) und die das Dresdner
Originalfragment: Scipio Africanus ergänzende Gesamtdarstellung (186)
aller Beachtung wert. Kopien haben schon so manchen Ersatz geboten.

Eine höchst rätselhafte Hand bietet ein energisch sich postierender
Mann mit Stab vom Jahre 1523, der mit seinen überlangen Füßen eher
an die Regensburger Schule gemahnt (187).

Ein Rätsel bilden auch die mit H) bezeichneten vier Blätter, die
Bock Hans Dürer mit Fragezeichen zuschreibt, eine Vorsicht, die bei der
zur Zeit noch ungeklärten Frage über diese schwankende Gestalt guten
Grund hat. Sicher ist, daß das mehrfach erscheinende H D verschiedene
Hände einschließt. Selbst die zwei auf Tafel 8S reproduzierten Darstel-
lungen: »Kämpfende Landsknechte« und »Eine Audienz« weichen trotz
der Signatur formal voneinander ab. Noch mehr die Nummern 404 bis 409
aus dem Jahre 1548.

Von den der Familie Vischer meist fraglich zugeschriebenen und
vielfach erörterten Zeichnungen seien nur die sechs Originale mytho-
logischen und allegorisch schwer deutbaren Inhaltes des Peter Vischer
d.j. hervorgehoben, die aber S. Möller in seiner trefflichen Monographie
unberücksichtigt ließ (218—222, 224).

Es folgen Wolf Traut, Kulmbach, vom letzteren charakteri-
stische, heute allgemein anerkannte Blätter mit Ausnahme von Nummer
241, das sicher ein Kopistenstück. Dann eine Reihe Erhard Schön,
mythologische und allegorische Figuren, meist aus den vierziger Jahren.
Nummer 264, eine schwierige Allegorie, möchte ich nicht bezweifeln,
ebensowenig die Proportionsstudien.

Hinsichtlich der heute noch schwebenden Frage der Werke I B
und Georg Pencz, das ist in unserem Fall einer Serie von Planeten und
Tugenden (282—287) und Scheibenrissen, erklärte sich Bock mehr für
die Identität beider, wenngleich die Erklärung des Monogramm- und
Stilwechsels noch aussteht. Daß die 1525 erfolgte, wenn auch vorüber-
gehende Verurteilung und Verbannung des Künstlers aus Nürnberg und
der damit eingetretene Wandel seines Lebens nicht ohne Einfluß auf
seine Tätigkeit geblieben war, müssen wir mit Sicherheit annehmen.

Die größte Ausbeute gesicherter Zeichnungen bietet Peter
Flötner, vor allem mit der 32 Stück zählenden Folge von Illu-
strationen zu der 1523 bei Lotter in Wittenberg erschienenen Bibel.
Äußerst geschickte, oft zierliche Entwürfe in Tuschfeder auf die breiten

1 Auf die nahe Beziehung des längs der I. Felsen gehenden Wanderers in 140 mit der Dürerzeichnung der Albertina (L. 449) wurde bereits
von Tietze: Der junge Dürer, hingewiesen. — 2 Ambros Sturm, Das Delische Problem, S. 74, Die Lösung des Nikomedes. Linz 1896.

- 83 -
 
Annotationen