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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.6520#0016
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9, Hans Baidung, Die Passion des Herrn.

Zeiehnung.

statt gegangen war, wahrscheinlich aus den Jahren vor seiner Ansiedlung in Straßburg (1507 bis 1509). In den gleichen
Zusammenhang gehört die große Schlacht am Bodenseeufer (8 a) im Berliner Kabinett, Inv. 3140 (421 X 545 mm), die
Bock (Katalog S. 35) dem Kreise Dürers zuteilt, da sie den frühen Dürer-Stil zeige, aber eine gewisse Lahmheit die Zu-
weisung an den Meister selbst nicht zulasse. Die Gegenüberstellung der Abbildungen spricht von selbst für die Gleich-
heit der Hand und den geschichtlichen Zusammenhang. Sogar eine Ortsbezeichnung — Konstanz — findet sich in der
gleichen Art auf dem kleinen Wasserkastell am rechten Rand.

9. Hans Baidung, Die Passion des Herrn. Helldunkelzeichnung mit Feder und Pinsel auf braun grundiertem
Papier. 306 : 424 mm. Brünn, Mährisches Landesmuseum.

Das umfangreiche Blatt ist eine der großartigsten zeichnerischen Schöpfungen des reifen Baidung, die wie die
beiden unten besprochenen Apostelköpfe unerkannt in der Handzeichnungensammlung des Brünner Museums lag.1 Die
figurenreiche Komposition vereinigt drei Szenen aus der Passion (Kreuztragung, Kreuzigung und Kreuzabnahme) in
kontinuierender Erzählung. Die in machtvollen Gestalten aufstrebende Darstellung wird zum geistlichen Spiel. Die
dramatischen Akzente der sonst isolierten Stationen vereinigen sich zu rauschendem Einklang. Bewegung von links nach
rechts durchströmt das Blatt. Die dichte Schar des Trosses drängt aus der Tiefe über den linken Bildrand die Gruppe
des stürzenden Heilands nach vorne. Anklänge an die Dürerschen Schnittwerke finden sich da und dort bei völliger
Freiheit und Ursprünglichkeit der Erfindung. Hoch sprengt ein Lanzenreiter über der Schar — ein Gedanke, den Baidung
später in der Aschaffenburger Kreuzigung ausgewertet hat. Zwischen dem oben schwebenden Gekreuzigten und der
unten wogenden Menge wird so ein kompositionelles Zwischenglied, das den Höhendrang veranschaulicht, eingeschaltet.
Die Gruppe der Leidtragenden leitet zur zentralen Darstellung über. Der Blick Mariä haftet an dem Stürzenden, zugleich
wendet er sich schmerzerfüllt vom Gekreuzigten ab, dem sich der weinende Johannes zukehrt. Die Gruppe gilt sowohl
für Kreuztragung wie für Kreuzigung. Das Kreuz ragt als ruhige zentrale Achse der Komposition. Nur zwei symbolhafte
Assistenzfiguren begleiten es: der Mann mit dem Ysop und der Würfler, dieser breit wie Jesse zu Füßen des Kreuzes
hingelagert, eine Verkörperung der Welt. Der Strom der Bewegung, in dem das Kreuz ein kurzer Halt war, geht weiter.
Auch die Kreuzabnahme wird von ihm ergriffen. Der Wind, der über die Höhe von Golgatha streicht, der schon drüben
in den Gewändern der Leidtragenden spielt, wühlt die Mäntel der Männer, die den Leichnam Christi vom Kreuz herab-
nehmen, zu mächtigem Flattern auf wie Fahnen. In der gleichen Richtung schwankt der tote Körper im Bindengehänge
— fast sieht es so aus, als ob der Sturm den Heiland vom Kreuz herabwehe. — Das von tiefem Atem geschwellte Werk

1 Photographien und Erlaubnis der Veröffentlichung verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Museumsdirektors Helfert.

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