57. DER PARTHENON NACH 16S7. 58. WEITERE VERWÜSTUNGEN. DALTON. 67
ganz, die nördliche und südliehe Wand grossentheils verschont blieben. Gegen Osten
brach sich die Gewalt an der Apsis und ihrer Umgebung, so dass die Säulen der
Fronte nicht nachgaben. Jene ganze Ostwand aber und die Säulen des Pronaos
stürzten ein, nur die südliche Ecksäule blieb stehen. Am schlimmsten ergieng es den
Langwänden, welche die Spuren der Erschütterung in den abgesplitterten Ecken
und Kanten ihrer Blöcke noch heute aufweisen272). Nur je elf Platten des Frieses
am westlichen Ende, gegen 15 M. lang, blieben auf der Mauer (so dass mit Ein-
schluss des Westfrieses noch 36 Meter Fries unversehrt am Platze waren), der
ganze Rest brach mit den Quadern der Mauer zusammen. In diesen Einsturz wur-
den weiter eine Anzahl der äusseren Säulen verwickelt, mit ihrem Gebälk, ihren
Triglyphen und Metopen. Gegen Westen blieben auf jeder Seite mit Kinschluss der
Ecksäule sechs, gegen Osten an der Südseite fünf, an der Nordseite nur drei Säulen
mit dem vollständigen Gebälk stehen; hier fehlten also acht, dort sechs Säulen ganz
oder theilweise, hier zwanzig, dort fünfzehn Metopen273). Wie ein grosser gähnen-
der Spalt klaffte die Lücke des in zwei ungleiche Hälften zerrissenen Tempels, um-
ringt und angefüllt von ungeheuren Schutthaufen. Es ist das Bild welches für den
Anblick der Akropolis eben so charakteristisch geworden ist, wie es der stumpfe Thurm
mit dem Krahn für die Stadt Köln war. Aber hier war es bloss Uufertigkeit,
welche erst unsere Zeit zum Ende führt, dort rohe Zerstörung des vollendetsten
griechischen, wo nicht überhaupt menschlichen Baues! Und doch müssen wir
wiederum, trotz aller Verwüstung, dem Schicksal dankbar sein, dass der Schlag
mehr die östliche als die westliche Seite traf. Carrey hatte ja die östliche Hälfte
des Frieses zum weitaus grössten Theil, die westliche fast gar nicht gezeichnet, so
dass nur die äussersten östlichen Platten des Südfrieses uns bei der Wiederherstellung
des Zusammenhanges eine Schwierigkeit darbieten. Und das muste ja fortan die Auf-
gabe des wissenschaftlichen und künstlerischen Europa sein, die Glieder des zer-
rissenen Dichters wieder zu sammeln: nur so konnte Heilung von dem kommen der
die Wunde geschlagen hatte.
Aber es dauerte lange ehe Hand an diese Aufgabe gelegt ward; zunächst 58
machte nur die Zerstörung weitere Fortschritte. Ein halbes Jahrhundert lang nach
der Katastrophe ist der Parthenon wie verschollen. Die Türken besetzten ohne
Zweifel die geräumte Akropolis sofort wieder und steckten aus Rache die untere
Stadt in Brand. Erst drei Jahre später gewährte der Sultan den weit zerstreuten
ehemaligen Bewohnern Athens Amnestie und die Erlaubnis zur Rückkehr274). Oben
auf der Burg war eine neue Moschee, in bescheidenen Verhältnissen, mit einer
kleinen Vorhalle, mitten in die ehemalige Cella hinein gebaut worden (Taf. I, 4) 275) ;
aber nicht einmal die Trümmerhaufen ringsum in nächster Nähe hatte die türkische
<ni) Ziller in Erbkams Zeitschr. 1865, 48.
273) Ausser dem heutigen Zustande kommen für diese ganze Ermittelung namentlich Stuart und
Pars in Betracht, s. u. § 59. Gl.
*") So nach der vielbesprochenen, in diesem Punkte zuverlässigen Chronik des Pseudo-Anthy-
Dios. Bekanntlich ist diese Auswanderung die faktische Grundlage zu Fallmerayers Roman von der
vierhundertjährigen Verödung Athens. Es genügt jetzt auf Hopf in der allg. Enc. I, i.xxxv, 108 ff.,
besonders S. 111, zu verweisen, wodurch auch Ross Beziehung auf das Jahr 1G5I (arch. Aufs. II,
147) hinfällig geworden ist!
m) Vgl. die Abbildung bei Stuart unt. of Ath. II, 1 Taf. 1 und den Plan der Akropolis ebda.
Le Roy mon. de la Grice Taf. 3—5. Dodwell class. tour I zu S. 339.
5*
ganz, die nördliche und südliehe Wand grossentheils verschont blieben. Gegen Osten
brach sich die Gewalt an der Apsis und ihrer Umgebung, so dass die Säulen der
Fronte nicht nachgaben. Jene ganze Ostwand aber und die Säulen des Pronaos
stürzten ein, nur die südliche Ecksäule blieb stehen. Am schlimmsten ergieng es den
Langwänden, welche die Spuren der Erschütterung in den abgesplitterten Ecken
und Kanten ihrer Blöcke noch heute aufweisen272). Nur je elf Platten des Frieses
am westlichen Ende, gegen 15 M. lang, blieben auf der Mauer (so dass mit Ein-
schluss des Westfrieses noch 36 Meter Fries unversehrt am Platze waren), der
ganze Rest brach mit den Quadern der Mauer zusammen. In diesen Einsturz wur-
den weiter eine Anzahl der äusseren Säulen verwickelt, mit ihrem Gebälk, ihren
Triglyphen und Metopen. Gegen Westen blieben auf jeder Seite mit Kinschluss der
Ecksäule sechs, gegen Osten an der Südseite fünf, an der Nordseite nur drei Säulen
mit dem vollständigen Gebälk stehen; hier fehlten also acht, dort sechs Säulen ganz
oder theilweise, hier zwanzig, dort fünfzehn Metopen273). Wie ein grosser gähnen-
der Spalt klaffte die Lücke des in zwei ungleiche Hälften zerrissenen Tempels, um-
ringt und angefüllt von ungeheuren Schutthaufen. Es ist das Bild welches für den
Anblick der Akropolis eben so charakteristisch geworden ist, wie es der stumpfe Thurm
mit dem Krahn für die Stadt Köln war. Aber hier war es bloss Uufertigkeit,
welche erst unsere Zeit zum Ende führt, dort rohe Zerstörung des vollendetsten
griechischen, wo nicht überhaupt menschlichen Baues! Und doch müssen wir
wiederum, trotz aller Verwüstung, dem Schicksal dankbar sein, dass der Schlag
mehr die östliche als die westliche Seite traf. Carrey hatte ja die östliche Hälfte
des Frieses zum weitaus grössten Theil, die westliche fast gar nicht gezeichnet, so
dass nur die äussersten östlichen Platten des Südfrieses uns bei der Wiederherstellung
des Zusammenhanges eine Schwierigkeit darbieten. Und das muste ja fortan die Auf-
gabe des wissenschaftlichen und künstlerischen Europa sein, die Glieder des zer-
rissenen Dichters wieder zu sammeln: nur so konnte Heilung von dem kommen der
die Wunde geschlagen hatte.
Aber es dauerte lange ehe Hand an diese Aufgabe gelegt ward; zunächst 58
machte nur die Zerstörung weitere Fortschritte. Ein halbes Jahrhundert lang nach
der Katastrophe ist der Parthenon wie verschollen. Die Türken besetzten ohne
Zweifel die geräumte Akropolis sofort wieder und steckten aus Rache die untere
Stadt in Brand. Erst drei Jahre später gewährte der Sultan den weit zerstreuten
ehemaligen Bewohnern Athens Amnestie und die Erlaubnis zur Rückkehr274). Oben
auf der Burg war eine neue Moschee, in bescheidenen Verhältnissen, mit einer
kleinen Vorhalle, mitten in die ehemalige Cella hinein gebaut worden (Taf. I, 4) 275) ;
aber nicht einmal die Trümmerhaufen ringsum in nächster Nähe hatte die türkische
<ni) Ziller in Erbkams Zeitschr. 1865, 48.
273) Ausser dem heutigen Zustande kommen für diese ganze Ermittelung namentlich Stuart und
Pars in Betracht, s. u. § 59. Gl.
*") So nach der vielbesprochenen, in diesem Punkte zuverlässigen Chronik des Pseudo-Anthy-
Dios. Bekanntlich ist diese Auswanderung die faktische Grundlage zu Fallmerayers Roman von der
vierhundertjährigen Verödung Athens. Es genügt jetzt auf Hopf in der allg. Enc. I, i.xxxv, 108 ff.,
besonders S. 111, zu verweisen, wodurch auch Ross Beziehung auf das Jahr 1G5I (arch. Aufs. II,
147) hinfällig geworden ist!
m) Vgl. die Abbildung bei Stuart unt. of Ath. II, 1 Taf. 1 und den Plan der Akropolis ebda.
Le Roy mon. de la Grice Taf. 3—5. Dodwell class. tour I zu S. 339.
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