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76. SCHUTZLOSIGKEIT DER RESTE IN ATHEN. 77. GE8AMMTEINDRÜCK. 91

Originalen in einer ehemaligen Moschee der Unterstadt aufgespeichert lagen ? so lange
die Söhne der Athener an festlichen Tagen nngeahndet ihre Flinten gegen Iktinos
Bau abschössen? — Seitdem ist dort vieles besser geworden. Ein einsichtiger und
vorurtheilsfreier Mann führt jetzt die Aufsicht über die Alterthümer; die Keller und
C'isternen sind nach und nach geleert worden und haben ihre vergrabenen Schätze
zum zweitenmal ans Licht der Sonne auferstehen lassen ; die Benutzung und Unter-
suchung der Kunstwerke wird in liberalerer Weise freigestellt und erleichtert; die
kleineren Gegenstände sind auf den Stufen des Parthenon und an anderen passenden
Orten, wenn auch nicht zur Erhöhung des malerischen Eindrucks, bequemer ange-
ordnet. Aber, fast vierzig Jahre nachdem die Ausgrabungen begonnen wurden, sind
die Funde noch immer nicht unter Dach gebracht! Im Jahre 1865 hat man wohl
den Grund zu einem Museum auf der Burg gegraben100) : dass es aber auch gebaut
und vollendet worden sei, davon verlautet nichts. —

Und doch ist und bleibt Athens Burg das höchste Ziel, nach dem jeder Freund 7 7
der alten Kunst strebt. Selbst die Schätze des britischen Museums, so reich sie
auch sind, können jenen unmittelbaren Eindruck nicht ersetzen, den der Anblick
der zerstörten Akropolis gewährt. Denn hier steht alles mit einander im engsten
Zusammenhange: hier ist vor allem die Natur, aus welcher diese Kunst hervorge-
wachsen ist. Der Parthenon schliesst sich in seiner Grundform wie in seinem Auf-
bau aufs engste dem Burgfelsen an, den er krönt. Von seinem Giebel schweift
unwillkürlich der Blick zu dem Giebelfelde des pentelischen Berges, aus dessen
Klüften das Material des Tempels gewonnen ward. Die Einfachheit der Gesammt-
verhältnisse ebenso sehr wie die äusserste Feinheit aller Einzelformen, und dazu der
Farbenschmuck der über den Tempel gebreitet war — das alles ist der umgebenden
Natur abgelauscht. Die Kunst setzt eben nur fort und vollendet was jene angelegt
und vorgebildet hat, als eine gelehrige Schülerin, aber auch als 'der schönen Mutter
schönere Tochter': der Künstler ist eingegangen in die Absicht des Schöpfers und
hat in dessen Sinne der Schöpfung die Krone aufgesetzt. Und wenn im blendenden
Tageslicht es weh thut alle die Verwüstung anzuschauen, welche Menschenhand und
Menschenunverstand in diesem göttlichen Menschenwerk angerichtet haben, wenn es
unmöglich scheint in dem vereinzelten, zerrissenen. zerstörten noch das ganze
wiederzuerkennen, da warte man die Nacht ab! Wer könnte den Eindruck ver-
gessen , der je beim Mondenschimmer aus der Halle der Propyläen herausgetreten
ist! Da wirken nur die grossen Verhältnisse, die erregte Phantasie ergänzt alle
Lücken und überdeckt alle Entstellungen: das kleine stille Heiligthum der Polias
zeigt noch seine alte vollendete Zierlichkeit, und darüber thront der majestätische
Säulenwald des grossen Tempels. Man vergisst die Christen und die Türken, die
Venetianer und Lord Elgin, und beugt sich in stummer Bewunderung vor dem
Künstlergeist der dies eine, ganze erschuf, der 'die Burg mit den Denkmalen
dieser Bauwerke schmückte und ihrer natürlichen Schönheit die Schönheit reichster
Kunst im Wetteifer hinzugesellte, so dass sie ganz und gar wie ein Weihgeschenk
oder vielmehr wie ein grosses Kunstwerk dasteht'401).

4"°) Arch. Anz. 1866, 168*.
*"J Aristirt. 13 p. 149 (269)
 
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