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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0136
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Renate Wagner-Rieger

Arbeiten durchgeführt. Seit 1882 ist eine neuerliche Restaurierung im Gange, die nunmehr vor ihrem
Abschluß steht; dabei wird fast durchwegs der Bauzustand vor den Veränderungen des 16. Jahrhunderts
wiederhergestellt.
Das wichtigste Problem, welches bei einer Untersuchung von S. Lorenzo auftaucht, besteht darin, daß
die Kirche offensichtlich nicht nach einem einheitlichen Plan ausgeführt wurde (Abb. 83). Der Umgangs-
chor mit Radialkapellen muß von einem anderen Entwurf stammen als das einschiffige Langhaus mit
seitlichen Kapellenreihen. Nachdem die alten Zuschreibungen durch Vasari6 an Maglione und durch
Bernardo de’ Dominici7 an Masuccio I nicht beweisbar sind, wird meist die Ansicht vertreten, daß der
Chor von S. Lorenzo, den Burckhardt in seinem Cicerone an die Spitze der gotischen Architektur Italiens
stellt, von der südfranzösischen Architektur, insbesondere von den Chören der Kathedralen von Narbonne
und Rodez abhängig sei, unter Karli, errichtet wurde und 1284 bereits vor der Vollendung stand.
Das einschiffige Langhaus mit Seitenkapellen sei dagegen unter Karl II. entstanden; hier wird zwar auch
auf Südfrankreich verwiesen8, jedoch der italienische Charakter betont9. Eine eingehende Begründung
dieser Annahme wurde allerdings bisher nicht gegeben.
Ich habe an anderer Stelle10 nachzuweisen versucht, daß der Grundriß des Chores von S. Lorenzo Mag-
giore von französischen Zisterzienserkirchen der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts abhängig ist, ins-
besondere von Royaumont, einer Stiftung Ludwigs des Heiligen und zugleich Mutterkloster der von Karl I.
bei Scafati gegründeten Abtei Real Valle. Letzterer kommt daher möglicherweise eine wichtige Ver-
mittlerrolle zu. Im zweigeschossigen Aufriß des Chores von S. Lorenzo (Abb. 79) hingegen verbinden
sich offenbar Einflüsse der späteren französischen Zisterzienserarchitektur der zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts (etwa Valmagne) mit lokalen süditalienischen Bautraditionen, die besonders bei den
Pfeilern mit vier Halbsäulenvorlagen erkennbar sind.
Es kann kaum bezweifelt werden, daß dieser kathedrale Umgangschor nach dem ursprünglichen Entwurf
mit einem dreischiffigen Langhaus verbunden werden sollte und daß somit die heutige Verbindung mit
dem weiten einschiffigen Langhausraum erst einer späteren Planänderung zu verdanken ist11. Trotzdem
entstand hier eine bedeutende künstlerische Leistung von sehr einheitlicher Wirkung, die für die weitere
Zukunft bedeutsam wurde12.
Da dem Bau eine Schlüsselstellung innerhalb der süditalienischen Architektur unter den Anjou zukommt,
ist sowohl die Form des ursprünglich zu diesem Chor geplanten Langhauses wie auch die Ableitung des
ausgeführten einschiffigen Langhauses mit Seitenkapellen von Bedeutung.
Zunächst soll versucht werden, am Bau selbst die Spuren des Plan Wechsels eindeutig festzustellen. Geht
man dabei vom Grundriß (Abb. 83) aus, so zeigt sich, daß bereits das Querhaus mit seinen seitlich ver-
schieden weit herausragenden Armen nicht mehr ganz dem System des Chorgrundrisses entspricht.
Noch deutlicher ist der Planwechsel im Aufriß, vor allem im Vorjoch vor dem Chorpolygon (Abb. 79).
Dieses wurde in Abweichung von den französischen Vorbildern höher gewölbt als die Apsis, so daß die über
dem Gurtbogen des Polygons aufwachsende Wand noch von einem Rundfenster durchbrochen werden
konnte. Bei gleichbleibender Höhe der Arkadenbogen und der Sohlbank der Lichtgadenfenster sind
letztere im Vorjoch wesentlich höher als in der Apsis und drei- statt zweiteilig. Der Gurtbogenträger
der Apsiswölbung, der ebenso wie die Pfeiler zwischen den Radialkapellen aus einem viereckigen Pfeiler -
6 Milanesi I, p. 303.
7 Vite dei pittori, scultori ed architetti napoletani, Napoli 1742, Nachdruck von 1840, S. 80ff.
8 Bertaux, a. a. O., S. 324, erinnert auch an deutsche Hallenkirchen.
9 So Bertaux und Chierici, ferner M. Salmi, L’arte italiana, Firenze 1953, I, p. 348. - P. Toesca, Storia dell’arte italiana, I,
Torino 1927, p. 733, Anm. 21; Bd. II, II Trecento, 1951, p. 68, Anm. 58, bringt die Vermutung, daß Chor und Langhaus vom
gleichen Architekten stammen könnten. — C. Enlart, Origines f'rancaises de l’architecture gothique en Italie, Paris 1894, p. 303ff.,
erkennt in den Details des Chores die Hand italienischer Werkleute. — P. Amodio, Ricerche e studi sui monumenti gotici Napo-
litani, Pompei 1941, p. 101, hebt dagegen hervor, daß sich die Überlieferung von 1284 auf die Vollendung der ganzen Kirche
beziehe.
10 Vortrag und Resümee XIXe Congr. Int. d’Histoire de l’art, Paris 1958.
11 Im Zuge einer verwandten Baugeschichte erhielt die Kathedrale von Gerona einen ähnlichen Charakter (Umgangs-
chor 1292 bis 1347, einschiffiges Langhaus 15. Jh.). L. Torres-Balbäs, Arquitectura götica, Madrid 1952, p. 197 (Ars
Hispaniae VII).
12 M. Salmi, Una precisazione su Arnolfo Architetto, Palladio 1957, p. 92f., sieht in dem Bau wohl mit Recht eine künstlerische
Anregung für florentinische Lösungen des Arnolfo di Cambio, besonders für S. Croce.
 
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