Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0378
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
374

Hans Kauffmann. Berninis Hl. Longinus

So kam denn auch Berninis Ringen um das Longinusthema in einer Verkörperung vom Charakter der
Endgültigkeit ans Ziel. Das den Heiligen auszeichnende und umgestaltende Erlebnis32 zwingt ihm eine
Gebärde auf, die seine persönliche geschichtliche Berufung ausschöpft. Es übermannt ihn gänzlich,
hingerissen bis an die Grenze seiner Reichweite steht er da. Die Ekstase läßt ihm keine Freiheit, die
Spannung läßt keine Lösung erwarten. So entschieden, determiniert, erscheint seine Bewegung aus dem
Geschehensfluß herausgehoben, und das Bildwerk verewigt den Augenblick der Entscheidung im Zenith
seines Daseins.
Gleich dem Longinus lebt sich jede der Berninifiguren in ihrer eigenen Sphäre aus, vom Beschauer ent-
rückt, dessen sie nicht achtet33. Unserem Bereich sind sie enthoben und übersteigen ihn - wie Theresa
im Himmelslicht ihrer Kapellennische von den im Tageslicht verweilenden Cornaroherren sich scheidet.
In seinem Streben, Wesensverkörperungen in einem Inbegriff zu bannen, ist Bernini dahin gelangt,
jede seiner Figuren ganz aus sich heraus zu erdenken und jede in einen sprechenden Erlebnisakt zu. ver-
setzen, der Persönlichstes sub specie aeternitatis aufleuchten läßt. Aus der Verschiedenheit der Aufgaben
erwuchs die Vielfalt seiner Gestaltenwelt: jedes Thema hat ihn zu neuer Erfindung herausgefordert,
jede Gebärde kommt in seinem Schaffen nur einmal vor, sogar jedem Bildnis eignet sein besonderes
Gehaben. Soviele Aufgaben, soviele Formgefüge - ließ er doch auch deutlicher als seine Vorgänger die
Werkgattungen Altäre, Grabmäler, Brunnen, Freifiguren auseinandertreten. Sein Vermögen, in die
sachlichen Bedingtheiten einzudringen und ihrer Herr zu werden, wurzelte in seinem empirischen
Verstand, der ihn auch befähigte, vorgegebene Ordnungen zu verarbeiten und in einem neuen von ihm
erfundenen Zusammenhang aufgehen zu lassen, etwa in das alte Gehäuse seine „Scala Regia“ so einzu-
bauen, daß die Beengungen der Situation vergessen gemacht und in gesteigerte Pracht Wirkungen gewen-
det worden sind. Seinem geschärften Sinn für die Besonderheit und seinem Drang zur Individualisierung
konnte es gelingen, Erstlinge wie die Daphnegruppe, den Vierströmebrunnen, die Cornarokapelle mit
dem Theresa-Altar erstehen zu lassen, Schöpfungen, die in der Bewältigung des Themas nachher nicht
überboten worden sind. Und doch hat sich seine Schaffensgabe vielleicht nie überzeugender erwiesen
als vor so einzigartigen und unwiederholbaren Aufgaben, die das päpstliche Rom zu stellen hatte, die
in ältester Vergangenheit verwurzelt waren und für die trotzdem jedes Beispiel fehlte, wie Kathedra
Petri oder Engelsbrücke. Wie bei allen seinen größeren Schöpfungen hat Bernini auf den Longinus seine
ganze Gestaltungskraft vereinigt.
Lessing erinnert werden (Vorlesungen, Stuttgart 1884, 141 f.): Skulptur könne und dürfe den Moment verewigen, „wenn er dessen
würdig ist . . . Es kommt nur darauf an, daß die Bewegung frei und durch sich selbst bestimmt, aus dem Innern hervorgehe.
So darf Apollo ewig schreiten . . .“
32 Die Bekehrung, durch die Longinus verwandelt worden ist, gibt auch das Leitmotiv der Verse her, die I. M. Silos (Pinacotheca
sive Romana Pictura et Sculptura. Romae 1679, 177f.) auf Berninis Statue verfaßt hat:
„Non hic dedidicit miles vel saxeus hastam
vulnificam dira fronte vibrare suam.
Vibrat: sed crudo, proh! quam mutatus ab illo
Longino: nempe est idem, aliusque simul.
Improbitas olim movit truculenta lacertos
trajecitque Dei pectora nuda chalybs:
Nunc pietas vultu est: ferro ceu vellet eodem
pro Christo pectus dilacerare suum.
Saxa animas, Bernine, manu: hoc sed pulchrius esse
nempe pium, exuto marmore, marmor idem.“
33 Die so oft wiederkehrenden Äußerungen über Kommunikation mit dem Beschauerraum bedürfen deshalb einer gewissen
Einschränkung. Auch durch ihre bildmäßige Frontalität (Vorherrschaft einer Hauptansicht, der freilich viele Reproduktionen
nicht gerecht werden) werden die Figuren in eine objektivierende Ebene abgerückt. Dafür ist auch an die Merkmale der Architek-
tur Berninis gegenüber Borromini zu erinnern, die E. Panofsky : Die Scala Regia im Vatikan und die Kunstanschauungen Ber-
ninis. Jahrb. d. Preuß, Kunstsammlungen, 40. Bd„ 1919, 241 ff., herausgearbeitet hat,
 
Annotationen