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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0438
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434

Karl Noehles

die erlernte Formel „richtig“ zu treffen. Der Strich Cortonas ist weitaus herber, sogar grob (man ver-
gleiche die Hände, die Füße, die kurzen andeutenden Linien, mit denen Augen, Münder, Nasen gegeben
sind); oft genug macht er sich von der plastischen Form los, wird autonom und verleiht gerade in dieser
Selbständigkeit den Dingen gesteigertes malerisches Leben (etwa an den Rändern der Gewänder). Hier
wird die Form mit jedem Strich spontan geschaffen; das verrät sich in dem ganzen Tempo der Zeichnung.
Daher eignet ihr auch vitale Kraft und Spannung (so zum Beispiel in den Flügeln). Bei Ferri wird man sie
vergebens suchen. Sein Stift scheint die Form schon zu kennen, ehe er sie niederschreibt. Sie wird aus
dem erlernbaren Repertoire ausgewählt und mit Geschmack und Geschick variiert. Niemals ist der Fluß
der Linien stürmisch, heftig, wie in dem Strudel der Gewänder Cortonas, vielmehr ist er weich und
kraftlos. Die Schattengebung erfolgt durch pedantische Strichlagen; sie ist blaß und verläuft in weich-
lichen Übergängen, ohne den Gestalten intensives Volumen zu geben, obgleich es sich um einen Plastik-
entwurf handelt.
Gleichwohl darf man das Blatt Ferris - wenn man es nur als Zeichnung wertet - in seiner harmonischen
Geschlossenheit und flächig dekorativen Wirkung als eine gute Leistung seiner Zeit gelten lassen, zumal
die genialen Würfe in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer seltener werden. Die wenigsten
Künstler der Generation Ferris kommen ohne eklektische Anleihen bei den großen Drei der voraus-
gehenden Jahrhunderthälfte, Bernini, Borromini und Cortona, aus.
Das Tabernakel der Chiesa Nuova verdankt auch Bernini-Borromini eine Anregung. Die Volutenhaube
(Abb. 305), die das ausgeführte Tabernakel gewöhnlich bedeckt (von ihm besitzen wir keinen zeichneri-
schen Entwurf), ist offenkundig an der Bekrönung des Baldachins von S. Pietro in Vaticano inspiriert26.
Dort sind es vier, hier drei Voluten, die haubenartig miteinander verbunden sind und über sich die
Kreuzkugel tragen. Die Autorschaft Ciros steht auch für sie außer Zweifel. Das lockere, additive Vor-
blenden einer prächtigen Schmuckmuschel spricht ebenso dafür wie der dekorative Formenschatz.
Diese Haube bekrönt den Tabernakelaufsatz, solange das Sakrament nicht aufgestellt ist. Während der
Quarantore wird sie auch heute noch durch eine Monstranz ersetzt. Die Windsorzeichnung gibt also
keine Entwurfsvariante, vielmehr stellt sie das Tabernakel in seiner wichtigsten Funktion dar: festliche
„mostra“ für das Sakrament zu sein. Die Aufgabe, das Allerheiligste und die Meßgeräte in seinem
Sockel zu verwahren, erscheint dagegen von sekundärer Bedeutung. Erst bei der Aufstellung des Sakra-
ments erhält die Engelsglorie, die sonst die Haube umschwebt, ihren rechten Sinn; nur unter Zuhilfe-
nahme der Vorstellung, daß unter ihr die Hostie geborgen sei, erscheint diese Haube gerechtfertigt.
Das ist freilich in Wahrheit nicht der Fall. Sinnvoller wäre die Ausführung nach der Skizze der Corsiniana
(Abb. 306) gewesen, wenn nämlich statt der Haube ein Agnus Dei gegen die Monstranz hätte ausgewech-
selt werden können. So wäre auch dann im Bilde des Lammes und des Pelikans das Opfer Christi in
doppelter Weise vergegenwärtigt worden und die Engelsglorie hätte in diesen Sinnbildern den ange-
messenen Gegenstand für ihre verehrende Haltung gefunden27. Der Grund für die Aufgabe dieses ikono-
graphisch wesentlich sinnvolleren Motivs und die Wahl der Haube ist wohl ein rein technischer gewesen.
Die unsichtbare Anbringung des Halteeisens für die Puttengruppe hätte bei Verwendung des Agnus Dei
nur innerhalb des Bildes von Rubens erfolgen können. Dazu hatte man sich offenbar nicht entschließen
können. Wenn aber die Haltevorrichtung von unterhalb des Bilderrahmens hinaufgeführt werden mußte,
war man genötigt, dieses unschöne technische Hilfsmittel von vornher ornamental zu verdecken. Ferri
wählte statt des Lammes die Haube mit dem Kreuz, um das sich nun die Puttengruppe eng schart und
in dem sie einen neuen Gegenstand der Verehrung gefunden hat. Diese engere Zusammenfassung der
Putten war außerdem notwendig, wenn nicht jeder von ihnen einzeln befestigt werden sollte.
Diese technischen Schwierigkeiten hatten noch weitere schwerwiegende Folgen für die Gesamtkompo-
sition des Tabernakels. Durch die Umgruppierung der Putten riß die Verbindung zu den großen Engeln
26 Nach Ansicht von H. Thelen (geäußert in einem Vortrag in der Bibi. Hertziana) kommt Borromini ein entscheidender Einfluß
auf die Gestaltung der Bekrönung des Ziboriums von St. Peter zu.
27 In dieses ikonographische Programm gehören auch zwei Weintrauben, die seitlich (weder in der Zeichnung noch im Foto
sichtbar) am Tabernakelaufsatz angebracht sind. Wenig später hat Carlo Rainaldi in S. Maria della Scala in Rom ein Tabernakel
geschaffen, in dem die Monstranz durch ein Agnus Dei ersetzt werden kann. Auch Piranesi hat in seinem Hochaltar von S. Maria
del Priorato in Rom ein Agnus Dei auf dem Tabernakel angebracht, jedoch ohne die Möglichkeit, an seine Stelle das Sakrament
zu setzen.
 
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