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Bibliotheca Hertziana [Editor]; Bruhns, Leo [Honoree]; Wolff Metternich, Franz [Honoree]; Schudt, Ludwig [Honoree]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0472
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468

Rudolf Witiko wer

Wie selbstverständlich es damals war, Karl den Großen als Symbol zeitgenössischen französischen
Königtums anzusehen, geht daraus hervor, daß im Jahre 1729 zur Geburt des Dauphins im Theater des
Kardinals Ottoboni eine Oper „Carlo Magno“ mit Text von Kardinal Ottoboni selbst, Musik von Costanzi
und Szenerie von Nicolo Michetti zur Aufführung gelangte18. Bei dieser Gelegenheit fand eine getreue
Kopie von Cornacchinis Reiterstandbild auf der Bühne Verwendung. Diese Tatsache - das darf wohl
nach allem bisher Gesagten ausgesprochen werden - berechtigt, auch Rückschlüsse auf die ursprüngliche
Sinngebung des Standbildes zu ziehen.
Für die Gesamtanlage seines Monuments nahm sich Cornacchini Berninis Konstantin zum Vorbild
(Abb. 334): Die Richtung, in der sich der Reiter bewegt, das Einpassen des Standbilds in den großen
Bogen, die Form des Sockels, der große Vorhang - diese und andere Übereinstimmungen sind so evident,
daß sie keiner weiteren Besprechung bedürfen. Dagegen muß auf die Bedeutung verschiedener Ver-
änderungen ausdrücklich hingewiesen werden.
Vor allem kehrte Cornacchini zu der trabenden Gangart des Marc Aurel-Pferdes zurück19. Er wählte
jedoch nicht den kurzen Trab des letzteren, sondern ein Traben auf der Stelle, für das der Terminus
technicus „passagieren“ existiert. Otto Grossmann hat beobachtet, daß diese Gangart in Werken des
18. Jahrhunderts häufig vorkommt. Da das „Passagieren“ damals in Mode kam, muß angenommen
werden, daß vielen Beschauern die Gangart des Cornacchini-Pferdes ohne weiteres verständlich war. Die
Zeitgenossen wußten also, daß das Pferd Karls des Großen am Ort tritt, gleichsam um nicht aus dem
Sehfeld des Beschauers hinauszureiten. Dies verleiht dem Standbild etwas Theatermäßiges in einem ganz
präzisen Sinn.
Die Beziehung zum Theater ist auch zum Greifen deutlich in der großen Draperie, die, oben gerafft, nur
rechts hinter der Statue fällt: Ein Vorhang ist zurückgezogen worden und macht die Bühne mit dem
Reiter und der realistischen Kulisse sichtbar. Berninis Konstantin dagegen ist ganz der wunderbaren
Erscheinung des Kreuzes hingegeben; das Wunder erklärt die Haltung von Reiter und Pferd, und dem
dramatischen Ereignis ist Nachdruck verliehen durch die psycho-physische Rolle des Vorhangmotivs20.
Alle Schöpfungen Berninis haben ihr Zentrum in der irrealen Welt poetisch-dramatischer Imagination;
der Phantasie des Beschauers wird niemals im Ernst zugemutet, das Abbild mit der Wirklichkeit gleich-
zusetzen. An die Stelle der Magie und des Wunders der berninesken Welt tritt nun die fast aufklärerische
Gesinnung einer realistischen Theaterszene. Es ist nicht verwunderlich, daß man schon bei der Besich-
tigung des großen Modells das Gefühl hatte, „ehe si alzasse la tenda d’un sontuoso Teatro“21, noch daß,
wie wir sahen, das Standbild mit Hintergrund und Vorhang bald auf der Bühne erschien, wo es ja seiner
inneren Ordnung nach hingehörte.
Die folgenden Dokumente geben interessanten Aufschluß über alle Phasen der Entstehung des Reiter-
standbildes. Sie entstammen zum weitaus größten Teil dem Band 417 des Archivio della Fabbrica mit
der Beschriftung: „Uscito della Rev. fabrica. Dalli 24 lug0 1718 ä tti li 17 Decre 1727“. Sie wurden von
mir unter verschiedenen Leitgedanken geordnet und erscheinen ohne Quellenangabe, so weit sie diesem
Band entnommen sind. Die Quellen für andere Dokumente werden in Klammern angegeben.
18 Carlo Magno festa teatrale in occasione della nascita del Delfino offerta . . . dal cardinale Ottoboni. Roma 1729. Siehe Hans
Tintelnot, Barocktheater und barocke Kunst. Berlin 1939, p. 133 und Tafel 43, und Arnaldo Rava, I teatri di Roma. Roma
1953, p. 83 und Tafel 15.
19 Für das Folgende siehe die aufschlußreichen Bemerkungen in Otto Grossmann, Das Reiterbild. Berlin 1931, p. 19ff.
Das Interesse an Cornacchinis Pferd entsprach der Bedeutung, die man im Barock Pferden als Symbol des ,,Über-Ich“ beimaß,
um mich einer Prägung in der geistvollen Arbeit H. Lützelers zu bedienen (Zur Ikonologie des Pferdes in der barocken Kunst.
In: Festschrift für Karl Lohmeyer, 1954, p. 118ff.). Der „Relazione“ zufolge besitzt das Pferd Karls des Großen die vier Grund-
tugenden seiner Gattung: es ist forte, leggiero, di buon cuore e sensitivo.
20 Zum Konstantin und dem dort verwendeten Vorhang vgl. meine Ausführungen in: Gian Lorenzo Bernini. London, 1955,
pp. 27f., 233, und in: Art and Architecture in Italy, 1958, pp. 105, 109.
21 Siehe unten, S. 469, den Cracas-Bericht vom 28. Oktober 1720.
 
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