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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schnitzer, Manuel: Ein chinesisches Fest: Capriccio
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0282
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Von Manuel Schnitzer.

m zwanzigsten Tage jenes Monats,
welcher das chinesische Jahr be-
schliesst, veröffentlichten die Tageszeitungen der allzeit getreuen Haupt-
stadt im Reiche der Mitte eine Nachricht, welche die Herzen der guten
Bürger von Peking höher schlagen liess. Diese Nachricht war in allen
Blättern gleichen Wortlauts und in so entzückender Sprache abgefasst,
wie sie den aus dem officiösen Pressbureau der Regierung hervorgehenden
Mittheilungen eigenthümlich ist. Zur unsäglichen Genugthuung des Volkes
hatte der durch sein schneidiges Auftreten bekannte oberste Strafrichter,
Mandarin Hap-Tschi, dem einzigen oppositionellen Redacteur, von dem man
vermuthen konnte, dass er die halbamtliche Notiz, ehe er sie veröffentlichte,
erst in ein geradezu hochverrätherisch-klares Chinesisch übersetzen würde,
rechtzeitig den Kopf abschlagen lassen und auf diese Weise verhindert,
dass die allgemeine Freude und Zufriedenheit irgendwie gestört wurde.

Die Nachricht aber hatte den folgenden Inhalt:

„Der Sohn des Himmels, der Herr des Weltall's, vor dem die Sterne
in den Staub sinken uncl der Mond sich beugt, Pink-Pink, die Sonne der
Weisheit, das Paradies der Vernunft, der Garten der Wohlgerüche und
das Glockenspiel unermesslicher Klugheit haben am gestrigen Tage zu
beschliessen geruht, dass demnächst dieses Jahr zu Ende gehe. Die Krone
der Gerechtigkeit will auch dem laufenden Jahre nicht mehr Tage zu-
sprechen, als ihm weisem Herkommen gemäss ziemen.

„Volk von China, du wirst demnach in zehn Tagen das Fest des
neuen Jahres feiern und glücklich sein! Da der Gipfelpunkt der Giite,
wenn sein Herz sich ergötzt, es nicht ertragen kann, dass Jemand in
seinem Reiche lebe, der nicht glücklich sei, so wird der Mandarin Hap-
Tschi Jeden, der durch Traurigkeit oder wehmüthige Empfindungen öffent-
liches Aergerniss erregt, unverzüglich enthaupten lassen.

„Er selbst, Pink-Pink, das Balsamfläschchen der Gnade, wird geruhen,
in der Neujahrsnacht mit seiner Gemahlin Pank-Pank, dem lächelnden
Mondschein, und den Grossen des Reiches dem Feste beizuwohnen, welches
der Mandarin Hap-Tschi in seinem Palaste an der Strasse der Alten Pagode
veranstaltet. Viel Gauklervolk ist zu diesem Zwecke in Peking eingetroffen
und harrt der Gnade, auf das Hei'z der Pfauenfeder, auf Pink-Pink’s Lippen,
ein Lächeln hervorrufen zu dürfen. Es wird das herrlichste Fest sein,
dass das Reich der Mitte gesehen hat!“

Diese Mittheilung war in der That nicht übertrieben. Wenn auch
rnehr als ein Jahrhundert verflossen ist, seitdem Hap-Tschi in der an-
gekündigten glanzvollen Weise das „Tjo Ni En“ (Neujahrsfest) gefeiert,
sö wissen wir doch aus der Chronik, dass die Vorhersagung der officiösen
Notiz sich erfüllt hat, noch mehr aber aus eigener Anschauung: denn wir
haben im Circus Renz“ eine phantastische Wiedergabe jener Feste ge-

David und Goliath in China.

IX. 13. I.
 
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