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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schnitzer, Manuel: Ein chinesisches Fest: Capriccio
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0283

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Blumenballct. Originalzeichnung von A. Ackermark.

sehen und damit eines der prächtigsten
Ballets, die jemals vergessen liessen, dass
auf der Manege auch holdere Künste zu
erblühen vermögen, als nur jene edler Voll-
bluthengste und ihrer Meister . . .

Bald, nachdem die Nacht hereingebro-
chen war — damit beginne ich wieder aus den
Berichten der Pekinger Blätter zu citiren — be-
gann der Thurm der Pagode, welche zu dem
Palaste des edlen Mandarin’s gehört, von hunder-
ten bunter Lichtei' zu erglühen, die auch die für
den Kaiser und sein Gefolge bestimmte Galerie
beleuchteten. Auf dem mit kostbaren Teppichen
belegten Hofe, der sich unterhalb der Galerie aus-
dehnt, flammte es auf von magischem Schein. Zu-
gleich eröffneten sich die weiten Thore und herein
traten, angethan in die kostbarsten Gewänder,
Hap-Tschi und seine Gäste, geführt von einer
Reiterschaar und begleitet von einem Dienerheere,
dass sich zu Boden wirft umjl den Staub der Erde
mit der Stirn berührt, als jetzt der Sohn des Him-
mels, in goldstrotzender Sänfte sitzend, herein-
getragen wird und seine in Ehrfurcht ersterbenden
Knechte mit einem leichten Neigen des Kopfes
begrüsst, das für Vornehm und Gering das Zeichen
ist, sich zu erheben und Raum zu schaffen für
das bereits ungeduldig harrende Volk der Gaukler.
Der Sohri des Himmels geruht dann persönlich die
Galerie zu erklettern und dasclbst neben der hold-

-seligen Pank-Pank Platz zu

nehmen, während die Grossen
des Reiches sich an der Zopf-
seite des mächtigen Herrschers
gruppiren, den im Anbliek des
Schauspiels nichts mehr stört,

es sei denn der lang herabwallende Schnurrbart, diese Freudc der Götter.
Freundlich wendet sich, ehe das Spiel beginnt — so wird erzählt —->
Pink-Pink an Hap-Tschi und bemerkt mit dem blühenden Witze seines
Geistes: „Wahrlicii, Du Blume der Mandarinen, fast so gern seh' ich nui'
solchen Ulk an wie eine Hinrichtung, bei der Du selbst in so spasshafter,
selbst den Gerichteten erfreulicher Weise den Streich führst!“ Und Hap-
Tschi, hingerissen von solcher Gnade, verbeugt sich und denkt in seinem
Innern: „Wenn nicht Alles trügt, so bekomme ich sie diesmal, die gelbe
Jacke Pink-Pink’s, die letzte Auszeichnung, die mir fehlt!“

Während dieses Gespräch geführt wurde, sind die Gaukler herein-
gestürmt. Freilich haben sie einen seltsamen Weg wählen müssen, denn
vor dem Thore harrt ein Riese von unheimlicher Grösse, durch dessen
Stelzenbeine aie bezopfte Schaar hindurchschlüpfen muss, um den Hol
zu erreichen. Hier aber entwickelt sich nun ein lustiges Treiben. Was
das Auge sonst einzeln schaut an Künsten des Turners, des Athleten,
des Jongleurs, Seiltänzers und Equilibristen, das bietet sich hier dem Blick
gleichzeitig in verblüffender Fülle. Da rollt ein auf dem Riicken liegender
Mann unermüdlich und mit unglaublicher Schnelligkeit ein Fass mit seinen
behenden Fiissen in der Luft herum, dort benutzt ein Tollscheinendei'
seinen rasirten Kopf dazu, um einen ungeheuren Gummiball in die Höhe
springen zu lassen, an senkrecht getragenen Stangen klettern kühne Spazier-
gänger vergnügt ernpor, als wüssten sie, dass Hap-Tschi ihnen wirklich
den bedungenen Lohn auszahlen würde, während ein niedliches Fräulein
auf dem Seile tanzt und zwei noch niedlichere hoch oben auf schweben-
dem Trapez nur dazu vorhanden zu sein scheinen, damit die Blüthe des
Weltalls, wenn er emporsähe, auch dort sein Auge erfreuendes Tricot
gewahre. Und der grosse Pink-Pink, der den Blick erhebt, so oft er nach-
denkt, denkt heute viel und anhaltend nach. Aber ehe ihn die ungewohnte
Beschäftigung ermüdet hat, sind die Künstler wie der Blitz verschwunden
und andere Gestalten trippeln zwischen den Beinen des possirlichen Riesen
hervor, lustigere und zierlichere, von kurzen, ganz kurzen Gazeröckchen
umflatterte Mädchen, die Pink-Pink veranlassen, seine tiefen Gedanken
wiederum der Erde zuzuwenden. Wie die Schmetterlinge iflattern sie da-
hin, so leicht und buntfarbig wie diese, huschen in graziösem Tänzeln
durcheinander, kopfnickend und ihre Zeigefinger gleich dünnen Stöckchen
hebend und senkend, um dann in Gruppen zu erstarren, tiber welche
bengalische Flammen ihre Lichtfluthen ergiessen. Der allmächtige Herrschei'

Gaukler und Tänzerinnen.
 
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