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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [7]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0218

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MODERNE KUNST.

127

reischte nicht mehr, ebensowenig wie die Lade knallte. Der Sturm hatte

Sle nun wirklich in Stücke zerschlagen.

* *

*

),Mia!“ dröhnte am folgenden Morgen Herrn von Rocholl’s Stimme
^ Urch das Haus. „Komm’ einmal zu mir!“

Mia machte sich in der Küche angstbebend von Leo los.

»Ja, Onkel!“

»Dass Du Dich nicht verblüffen lässest!“ zischelte Leo ihr nach. „Er
' Veiss gar nichts von Dir! Vergiss nicht, dass Du mir vorhin Schweigen
^ eMbt hast, hörst Du?“

„Ich habe eine l'rage an Dich zu stellen, Mia!“ sagte Herr von Rocholl
111 seinem Zimmer, indem er wie geistesabwesend das lockige Haar der
'° r ihm Stehenden streichelte. „Hab’ ich Dich nicht gehalten wie ein
Cl§enes Kind? habe ich es Dir je an etwas fehlen lassen?“

„Oh, Onkel!“ brach Mia sofort in Thränen aus. „Du bist so gut,

ich ..."

„Weine nicht, Kind!“ unterbrach er sie nervös. „Du weisst, ich
^nn’s nicht ausstehen. Ich meine nur, . . nicht wahr, Du hast rnich ein
' Venig Heb? Und Du fühlst ein bischen Dankbarkeit gegen mich?

Mia faltete ihre Hände über der Brust und sah durch das salzige Nass
'hrer Augen treuherzig zu ihm auf.

„Ja, Onkel! Ich . . ich . .“

Herr von Rocholl nickte befriedigt.

„Schön! Ich möchte Dich nur bitten . . wenn Du mir helfen wolltest. . .
^ eine Tante kann das nicht . . . Leo hat auch bei ihrer Verschlossenheit
' e°hl wenig Vertrauen zu ihr . . . Ich glaube nämlich, dass Leo etwas mit
^ ern Phildoctor hat! Du verstehst mich? Etwas, das nicht sein darf! Ich
^ätte ja den Kerl —“ er fuhr wüthend in die Höhe; — „gleich vom Fleck
' Veg hinausgeworfen, wenn . . . na ja, wenn die Ernte nicht vor der Thür
stände. So kann ich ihn jetzt noch nicht entbehren. •— Und ich selbst
^be alle Hände voll zu thun, ich kann nicht hinter ihnen herlaufen und
4ufpassen. Möchtest Du dies für mich besorgen? Möchtest Du achtgeben,
^ss sie niemals mit einander allein sind?“

Er sah ihr forschend in’s Gesicht. Und unter der Macht dieses
^lancholischen Blickes schnürte sich Mia’s Herz angstvoll zusammen, dass
Sle das Furchtbare, das Geständniss der Wahrheit, nicht über die Lippen
* u bringen vermochte.

„Ja, Onkel!“ stammelte sie tonlos.

Wieder nickte er befriedigt.

„Du bist ein gutes Kind!“ schloss er sanft. „Du wirst mir also Alles
s°fort mittheilen. Und nun geh’ und lass’ Dir Leo gegenüber nichts
Derken!“

Er schob sie aus der Thür. Dann athmete er unwillkürlich auf.

„Es wäre das eigentlich Sache der Mutter gewesen!“ murmelte er
s* unend. „Aber, da sie’s nicht that, musste ich es thun! Konnte ich
^ehr thun?“

Sechstes Capitel.

„Gerichtliche Toterklärung Ihres verschollenen Stiefbruders gestern
erfolgt!“ las Herr von Rocholl sich mühsam beherrschend. „Baldige Be-
sprechung des Weiteren erwünscht. Dr. Bayer, Rechtsanwalt.“

„Um Gotteswillen, Winand“, rief Frau Amalie erschreckt, „was ist Dir?
Du bist so blass und Deine Hände zittern!“

Mit einem seltsam dunklen Blicke schaute er von dem Telegramm
auf, das sie ihm eben gebracht hatte, und auch der Ton seiner Stimme
klang seltsam dunkel.

„Was mir ist? . . Die Frühbirnen hinter dem Hause sind schon über-
reif. Der nächste Windstoss wird sie herabfegen. Ich wollte sie heute
abnehmen, aber nun — ich muss sogleich zur Stadt!“

Er zerriss das Telegramm sorgfältig in kleine Stücke und liess sie
durch das offene Fenster auf den Hof hinabfallen. Der leichte Morgen-
wind jagte sie in lustigem Spiel umher und zerstreute sie, über den Boden,
hinauf in die Lüfte, in den Entenpfuhl, zwischen die Ackergeräthschaften.
Herr von Rocholl sah in tiefes Sinnen versunken zu; bis Frau Amaliens
sanfte, schüchterne Stimme an sein Ohr schlug.

„Oh Winand, hast Du eine unangenehme Nachricht erhalten?“

Er wandte sich langsam um.

„Unangenehm?“ wiederholte er wie geistesabwesend. „Unangenehm?“

Wieder sah er sie mit dem seltsam dunklen Blicke an, wie sie vor
ihm stand mit ihrem feinen, bekiimmerten Gesichtchen, mit den grossen,
zaghaften Augen, -— denselben Augen, die ihr sein Herz gewonnen hatten
damals, als sie noch Malchen Lehnhardt’s Augen gewesen waren; — und
mit den weichen Lippen, die heute noch eben so frisch und rosig waren,
wie da Winand von Rocholl sie zum ersten Mal geküsst.

Und es war ihm, als seien die letzten langen achtzehn Jahre der Sorge
und Entfremdung plötzlich aus seinem Leben hinweggewischt, nun, da der
Wind draussen mit den kleinen Papierfetzen sein Spiel trieb, und als
stehe er, Winand von Rocholl, wieder unter der blühenden, duftenden
Linde vor ihr, vor Malchen Lehnhardt, und beuge sicli herab zu ihr und
frage sie . . . .

Und dann trat er schnell von ihr zurück und war selir roth und sehr
verwirrt. Wie damals unter der blühenden Linde.

Und auch Frau Amalie war sehr roth und sehr verwirrt. Und sie
setzte sich auf einen Stuhl und brach in Schluchzen aus. Wie damals
unter der blühenden Linde. Nur, dass es da eine Bank gewesen war.

Denn wie damals hatte Winand von Rocholl Frau Amalie eben geküsst.

Und es war ihr so schwer um’s Herz. Er war so merkwürdig. Vor-
hin hatte er beinahe gelächelt. Und nun lächelte er wirklich und kam
langsam zu ihr hin und kniete vor ihr nieder und küsste ihre Hände, ihre
furchtsam zitternden, abgearbeiteten Hände. Und plötzlich legte er seinen
grauen Kopf in ihren Schooss und schluchzte.

Sie schluchzten nun Beide und sprachen kein Wort.

[Fortsetzung folgt.]


n^crc

Glanz schöner Frauenaugen hat von jeher die Phantasie der Dichter
und Künstler beschäftigt. Farben und Worte versagen gleicher Weise
in der Schilderung wechselvoll bewegten Seelenlebens, wie es sich im
Auge spiegelt. Blaue Augen sind nicht immer treue, graue nicht immer
Mu§e, schwarze nicht immer leidenschaftliche Augen. Vielleicht ist gerade das
^ uge mit seinem vom Moment abhängigen Ausdruck am wenigsten geeignet, das
at>ile im Frauencharakter zu bestimmen. Wenn Benjamin Constant seinen
eiblichen Studienkopf „Schwarze Diamanten“ nennt, so will er mit dieser Be-
* eichnung sicher mehr andeuten, als den dunklen Glanz, der von den Augen

Ö

nes Modells ausgeht. Es liegt etwas seltsam Anziehendes und doch Gefahr
r°hendes in diesem kräftig gerundeten Gesicht mit dem sinnlichen Munde, den

jbrirenden Nasenflügeln und den schräg gestellten Brauen. Das Haargewirr
*• tief in die Stirn und beschattet die „schwarzen Diamanten“. Es ist ein
ächtigeg Leuchten in ihnen, räthselhafte Wonnen verheissend oder endlose Sehn-
Uchtsqual. Glück bringend sind die dunklen Strahlen weder für den, den sie
Uen, noch für die, die sie entsendet.

■A-uch bei dem „Abschied“, den Herrmann Pleuer schildert, mag es sich

ubl

heferes Leid handeln, als um eine vorübergehende Trennung. Das junge

> •.

ilder.

Paar, das da Lippe auf Lippe presst, dessen Hände sich zu letztem Drucke
suchen, hat wohl kaum auf den Segen der Eltern zu rechnen, der den Kindern
nach beglaubigten Nachrichten Häuser bauen soll. Der ärmliche, auf dem Fuss-
boden stehende Leuchter mit der erloschenen Kerze, das fahl durch die Flügelthür
hereindringende Morgenlicht, weisen auf ein verstohlenes Zusammensein hin,
das dem Scheiden für immer vorausgeht, wie es Familienrücksichten zu gebieten
pflegen, wenn auch ein paar junge Herzen darüber brechen wollen, um doch
schliesslich weiter zu pochen anderem, grösseren Lebensleid entgegen.

So ernsthaft nahmen es Männlein und Weiblein des classischen Alterthums
nicht mit der Liebe. Sie erschien ihnen nur als ein schätzenswerther Theil des
Daseinsrausches, mit dem man sich forttäuschte über Sterben und Vergehen. Die
antike Welt versinkt im bacchantischen Sinnentaumel in wahllose Genusssucht. In
einem „Römischen Bacchanale“, wie es Kotarbinski darstellt, fanden alle Leiden-
schaften Befriedigung. Rosen umkränzten die Stirnen der Zecher, um deren
Nacken sich die Arme schöner Weiber schlangen, während die Hand gleichzeitig
den Würfelbecher schüttelte. Und wenn die ersten Gäste todtmüde in die Polster
zurücksanken, führte die Barke unter Cimbelklang und jubelndem Zuruf neue
Schwelger herbei zur Theilnahme am endlosen Gastmahl.
 
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