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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [1]: humoristischer Roman
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Reimann, Georg: Unsere Rechtsanwälte, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0107

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8

MODERNE KUNST.

gleich, dass der Schwachmatikus ihn nicht aushalten würde. Na, so
geht’s auch!“

Sie hob die Peitsche von Neuem, doch Otti fiel ihr in den Arm.

,,Oh Leo, nicht! Bedenke, Erich ist Amtsrichter. Amtsrichter dürfen
keine Kutscher prügeln. Auch Verwandte von Amtsrichtern nicht. Wenn
der Kutscher Dich'verklagte und Erich Dich verurtheilen müsste — Leo,
zu Gefängniss! Sitzen, Leo, .!“

„Den Deibel auch werde ich thun! Damit mich die ganze Stadt aus-
lacht und meine Frau das bischen Respect vor mir auch noch verliert?“

Der Kutscher hatte es gesagt. Er hatte sich aufgerappelt und stand
nun, sich verwundert den Hinterkopf krauend, verlegen vor Leo.

„Und Sie, Fräulein“, fuhr er bittend fort, „entschuldigen Sie, dass ich
Sie so vermolestirt habe. Sie wissen ja, hier ein Schnaps und da ein
Schnaps, unsereins nimmt’s nicht so genau. — Und nun, Fräulein“, er
wandte sich zögernd um, indem er auf den Sand deutete, der noch den
Abdruck einesTheils seiner Persönlichkeit trug, „nicht wahr, Sie erzählen’s
nicht weiter! Donnerwetter, es war ein hübsches Stückchen; alle Hoch-
achtung! Und ich bitt’ gar schön, geben Sie mir meine Peitsche zurück.
Die Gäule gehen nicht ohne sie. Und wenn das mit den drei Mark viel-
leicht auch ginge . . ich will Sie aber beileibe nicht drängen . . .“

Leo wandte sich achselzuckend zu dem Kutscher.

„Können Sie noch eine halbe Stunde warten?“

Er legte seine Hand betheuernd auf seine Brust.

„Für Sie, Fräulein, einen halben Tag!“

Leo nickte.

Sie machte ein paar schnelle Schritte nach dem Pferdestall.

„Was hast Du vor, Leo?“ rief Mia ihr ängstlich nach.

„Ich reite nach Templin, um vielleicht Mama abzufangen. Undwenn s
nicht anders geht, so bitte ich Papa um das Geld!“

Papa! Es war, als habe die Meduse Otti und Mia zugegrinst. S> e
standen noch in starrem Staunen, als Leo in tollem Jagen an ihn e°
vorüberritt, das zweite Reitpferd ihres Vaters mit ihren Absätzen b e'
arbeitend.

Auf der Anhöhe vor dem Hofthor machte sie einen Augenblick
Ihr finsterer Blick schweifte ringsum in weite Ferne über üppige Getreid e'
felder, saftige Wiesen und holzreiche Waldungen. Ueber den Besitz de s
Herrn von Rocholl auf Rochollshof, Templin und Amalienruh.

Und seine Kinder hatten nicht drei Mark, um einen Kutscher zu bezahle 11'
Das Fräulein Leonore von Rocholl biss die Zähne auf einander ufld
jagte weiter. [Fortsetzung foigt.]

nsere ^Mechtsanwälte.

Von Georg Reimann.

I.

Hm! — Ja-!-Jawohl-?

Es ist kein besonderer Genuss, plötzlich aus seinem schönsten Morgen-
schlummer aufzufahren und halbaufgerichtet im Bette sitzend mit ver-
schlafenen Augen sich darauf besinnen zu müssen, ob man nur geträumt
oder ob da wirklich eben Jemand an der Thüre geklopft hat. Aber nein —
es ist Wirklichkeit: da klopft es wieder. „Herr Rechtsanwalt!“

Jawohl! Wer ist da?

„Ich bin’s! Posius! Es ist höchste Zeit! Um neun ein halb steht die
Schöffensache an!“

Ach so! Posius! Dieser gute Posius, der in seinen jungen Jahren auch
einmal Rechtsanwalt war, aber, als er seinen ersten Process verlor, nicht
den Muth fand, von seinen Mandanten auch noch Gebühren zu verlangen,
und der — so sagt man — sich infolgedessen entschloss, umzusatteln
und lieber Schreiber und Bureauvorsteher zu werden! Ein wunderlicher
Kauz, mit seinem grauen struppigen Haar und dem alten ewig gleichen
Rock, dessen rechte Klappe als Tintenwischer herhalten muss.

„Da sind ein Paar Leute gekommen, die Sie noch sprechen möchten.“

Wer denn?

„Der Trödler und ein Frauenzimmer“.

Ist gut — sie sollen einen Augenblick warten.

Und nun mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett. Da! Natürlich!
Gestern wieder vergessen, die Uhr aufzuziehen! Das kommt von den
langen Sitzungen! Der Landgerichtsrath ist wirklich ein Verführer! Schon
deswegen sollte man heirathen, damit dies ewige Bummeln aufhört.

Zehn Minuten sind vergangen; die Toilette ist beendet; ein Druck auf
die Klingel am Arbeitstisch und lautlos erscheint Posius in der Thürspalte.
Lassen Sie ’mal die Leute hereinkommen!

Und während man in den Ueberzieher schlüpft, schiebt sich ein kleiner
rothhaariger Kerl und dahinter ein knallgelb mit lila aufgeputzter Hut
in’s Zimmer.

„Ach Gott, Herr Rechtsanwaltchen, ich wart’ auf Ihnen schon wie .auf
Schmerzen“ sagt der Erstere.

Die können Sie auf dem Gericht billig genug haben. Was wollen Sie
denn noch, Lehmann?

„Ich wollt’ nur fragen, ob ich nicht könnt’ zum Eid kommen, Herr
Rechtsanwaltchen ?“

Nein — es sind ja Zeugen da!

„Oder, was meinen Sie, ob ich sollt’ noch ein Paar Zeugen dagegen
aufstellen?“

[Nachdruck verboten.]

Wozu? Was sollen die beschwören?

„Dass ich die Stiebel überhaupt nicht geseh’n hab’.“

Lehmann — Das glauben Sie doch selbst nicht! Seien Sie doch ehrlid 1
und gesteh’n Sie ’s ruhig ein, wenn Sie —

„Herr Rechtsanwaltchen — Gott soll mich strafen, wie ich hier steh »
wenn ich schon je in meinem Leben die Unwahrheit gesagt hab’.“

Na na na na! Dann also geh’n Sie nurLUm elf ist Termin! Adie u'
Er geht; aber an der Thür kehrt er noch einmal um.

„Herr Rechtsanwaltchen, was meinen Sie wohl, dass mich die Sach
kosten wird?“

Drei — vier Tage Gefängniss — so was!

„Gott Du gerechter! — Und wenn ich die Stiebel noch genomm erl

hätt’! — aber wo ich so unschuldig bin an der ganzen Sache-!“

Zweifelnd an der Gerechtigkeit in der Welt schüttelt er das HaUpL
dann grinst er freundlich: „Na Adje, Herr Rechtsanwaltchen, seh’n Si e
man zu, dass ich mit zwei Tagen abkomm’!“

Und Sie, was wünschen Sie?

Der angeredete gelb-lila Hut scheint sich zu einer längeren EntgegnuH?
zu rüsten.

Aber ein bischen kurz, bitte! Ich muss gleich auf’s Gericht! also
„Nämlich —er hat sich doch mit der Anna Müller verlobt, und d u
wollt’ ich nur wissen, ob ich ihm nicht könnt’ die Trau legen?“

Nein —■ die Heirath können Sie nicht hindern. Aber da — fragen $i e
den Herrn Bureauvorsteher: Der wird Ihnen rathen, was Sie thun soll eU'
Währenddessen hat uns Posius einen Haufen Acten unter den Ar 01
geschoben, den Hut in die Hand gedrückt, und drängt uns fast zur Thü re
hinaus.

Im Vorzimmer haben die Schreiberjungen den Augenblick von Posi uS
Abwesenheit dazu benutzt, um eine allgemeine Holzerei zu beginnen
fahren jetzt entsetzt auf ihre Stühle zurück: aber Dank unserer Eile wt
ihnen der Rüffel diesmal erspart; denn jetzt heisst es, Beine machen- ""
Auf dem Gericht im Rechtsanwaltszimmer herrscht um die frühe Stund e
noch völlige Stille. In Reih und Glied steh’n zu beiden Seiten der g rürr
behangenen Tische die Stühle — mit peinlichster Sorgfalt sind auf d er
Mittellinie der langen Tafeln die Tinten- und Sandfässer zurechtgerückh
und auf jedweder derselben liegen rechts und links. ein Häuflein Fed er'
halter und haarscharfer Bleistifte. Auch die Bücherschränke mit den dich t
gefüllten Reihen erwecken den Eindruck der grössten Ordnung — freili^
nur um nachher jeden Suchenden durch Fehlen der Bücher am richtig efl

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