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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Malkowsky, Georg: Lourdes
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Ompteda, Georg: Der Spiegel, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0155

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6o

MODERNE KUNST.

Man muss ein Dichter vom Range Zola's sein, um diese drei poetischen
Auffassungen der Wunder von Lourdes zu einem packenden Gesammtbilde zu-
sammen zu schliessen. Das descriptive Genie des Dichters verleitet ihn sonst,
mosaikartig neben einander zu setzen, statt kiinstlerisch zu componiren; in
seinem neuesten Roman hat er sich weise Beschränkung auferlegt und sich selbst
einen Rahmen geschaffen, über den die Fülle der Schilderungen nicht hinaus-
quellen durfte. In 5 Tagen spielt sich die ganze Handlung ab, die in ihrer con-
flictlosen Einfachheit eigentlich nur als Hintergrund dient für eine grandiose
Schilderung des' glaubensseligen, hoffnungsstarken Wunderlandes dort unten in
den Pyrenäen. Zola sieht mit den Augen eines zweifelsüchtigen jungen Priesters.
Ohne an die Möglichkeit einer Heilung zu glauben, schliesst dieser sich mit einer
kranken Jugendgespielin dem Pilgerzuge an. Die Eisenbahnfahrt in dem mit
Bresthaften aller Art gefüllten Coupe ist ein unübertroffenes Muster ergreifender
Schilderung. Sie bietet Gelegenheit zur Darstellung der Vorgeschichte von
Lourdes. Um die Pausen zwischen Singen und Beten auszufüllen, soll der junge
Priester die Legcnde von Bernardette Soubirous vorlesen. Er beginnt seinen Vor-
trag, aber bald entsinkt das Buch seinen Händen, vor seinem geistigen Auge taucht
das arme Hirtenrnädchen auf, er lässt die Visionen aus ihrcm eigenen erregten
Seelenleben entspringen, und ohne dass seine andächtigen Zuhörer es merken,
giebt er nicht eine Geschichte, sondern eine Physiologie der Wundererschei-
nungen. Der Zug rollt in die Station Lourdes ein, und nun beginnt die Epopoe
des Glaubens, des hoffnungssicheren Glaubens, der in gewaltiger Willensan-
spannung Heilung wirkt. Hinter Weihrauchwolken und Kerzensschimmer aber
laucrt der Zweifel. Unstät irrt der junge Priester in den Strassen der Wunder-
stadt umher, während seine Gefährtin in verzückter Andacht in der Grotte
betet, und findet auch hier den leidenschaftlichcn Kampf uni das Dasein, die
Concurreuz in der Ausnützung des Wunders zu selbstsüchtigen Zwecken, das
Satirspiel zum Drama. Die Jugendgespielin wird geheilt, aber die Wunder-
wirkung in der Seele des Priesters bleibt aus. Nicht eine höhere Macht hat

Urn diese rührende Geschichte zweier weltfremder Kinder ranken S1
Episoden voll packender Charakteristik, die Haupthandlung erläuternd und

hier eingegriffen, sondern der durch die Einbildungskraft gewaltig erregte
nismus hat sich selbst geholfen. Von ergreifender Schönheit ist dann die Sc
derung der Rückkehr der jungen Pilger. Er weiss, dass er die Freundin verl° re^
nachdem das gesunde Iiebeheischende Weib in ihr erwacht. Sie aber schnu o
sich an ihn und flüstert ihm leise, erröthend, die tröstenden Worte der ^

sagungzu; „Höre mich, niein Freund , . . zwischen mir und der heiligen Jung

giebt es ein grosses Geheimniss. Ich habe geschworen, es Niemand zu san

aber Du bist zu unglücklich, Du leidest zu sehr, ich will es Dir anvertraU eI

Während jener Nacht voll Liebe und glühender Andacht, die ich in der Gr°

zubrachte, habe ich der heiligen Jungfrau gelobt, ihr meine Jungfräulichkeit .

zubringen, wenn sie mich heilte . . . Sie-hat mich geheilt, und niemals -—

mich, Pierre — niemals werde ich einem Manne gehören!“ ,

sich

er -

gänzend. Da ist vor Allem der materialistische Arzt, der zweifelt und sam llie^
zur natürlichen Erklärung der wunderbaren Heilungen. bis ihm Frau und
gerade in Lourdes sterben. Er hat sie nicht retten können mit allen Mitteln
Wissenschaft, und seine Hülflosigkeit lässt ihn den verlorenen Glauben vvi e
finden. Da ist ein alter Soldat, der sich täglich auf dem Bahnhofe eind 11
um kopfschüttelnd den endlosen Zug der Kranken und Elenden zu erwai teP
die um das bischen Leben betteln, als sei das etwas wünschenswerthes. Er st
noch immer kopfschüttelnd ob dieses nicht zu ertödtenden Willens zum
auf dem Perron, zufrieden, endlich die lange ersehnte Ruhe gefunden zu

Wenn der Papst Zola’s neuestes Wcrk auf den Index setzen lässt, übt
sein gutes Recht aus, wenn es gleichzeitig der Eintragung in das goldene &
wahrer Dichtung werth ist, so sind das zwei Thatsachen, die eigentlich m
mit einander zu thun haben. Das Urtheil der Curie verdammt den KathoIik ß"
Zola, ohne den Dichter Zola zu schädigen. Vor dem literarischen Richtersff-
hat er glänzend bestanden als der Besten Einer.

Leb et1,

hab e°'
ef


eP ^piegel

Von Georg Freiherr von Ompteda.

[Fortsetzung.] * *' * '


un war ich reich. Aber was meine Züge tiefer gegraben, dass
ich sie heute im Spiegel sehe wie ein Buch, in dem ich nun
schon fast zu lesen vermag, wenn auch einzelnes mir noch
dunkel bleibt, was meine Züge tiefer gegraben, sage ich, das
ist die Reue. Sie frass an mir, sie zehrte an mir, leise zuerst, kaum
merklich, stärker immer mit den Wochen und Monaten und Jahren, und
nachträglich am Ende, zum wahnsinnig werden!

Ganz im Anfang empfand ich nichts. Ich überwand das Pharisäer-
thum leicht. Ja ich kam mir wie ein.Märtyrer vor, denn ich bildete mir
ein, meiner Mutter wegen hätte ich mich geopfert. Ich hätte noch leben
können, ich hätte mich durchzuschlagen vermocht mit Thatkraft und ein
wenig gutem Willen. Und ich wäre einer gewesen, ich für mich allein.
Aber die Mutter? Verwöhnt und kränklich dazu. Das ging nicht. Die
Mutter musste ich l-etten, und für sie nur, redete ich mir vor, that ich
cs endlich.

In dieser ersten Zeit, wo ich meiner Braut gegeniiber qualvoll litt,
weil ich ihre Liebe erwidern musste, und so thun nur immer, da kam das
Gähnen und die Langeweile grauenhaft über mich.

Ich meine die müden Furchen der Blasirtheit, die sich im scharfen
Bilde des Spiegels verrathen, sie kommen von damals unverwischbar her.

Aber die wirkliche Qual, die mir Jahre des Daseins verbittert hat,
folgte in meiner Ehe.

Nicht weil ich meine Frau nicht liebte . . ., das wäre kein Zwiespalt
gewesen. Mein Heuchlerdasein hätte ich weiter geführt, ganz ruhig ohne
Unterbrechung, ohne Verschärfung. Nein weil ich sie liebte! Denn lang-
sam stieg in mir das Bewusstsein ihres Werthes auf, ihrer Güte, ihrer
Geduld, ihrer Demuth, ihrer Ergebenheit, ihrer Sanftmuth und Nachsicht,
ihrer Liebe zu mir. Und wie ich immer deutlicher erkannte, was sie für
mich war, wie wir uns immer näher kamen und eine Schranke vor ihr
fiel nach der anderen, da blieb dennoch als letztes das Geheimniss stehen,
wie ich um sie geworben, wie ich sie gewann!

Es hat mich zermartert und zerquält ihr das zu sagen.

Doch ich durfte nicht, ich wagte es nicht, denn dann wäre es wohl
mit einem Male aus gewesen. Das hätte sie nie verwunden, darüber

[Nachdruck verboten.J

wäre sie niemals hinweggekommen. Mit diesem Geständniss wäre 3

Unbefangenheit davon gegangen
gegangen — unüberbrückbar.

Und an diesem Geheimniss bin ich verwundet
Menschenalter hindurch. Der Spiegel

wäre eine Kluft zwischen uns

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vergiftet gewesen

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dass es kein Wahn 1

Jene kleine Rinne an der Schläfe aber flüstert mir zu, dass ich el1

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Schalk gewesen dann und wann. Ich kenne ihren Ursprung wohl.
Lächeln stammt sie her, wenn ich mein Töchterchen auf den Knieen n ie
und ihm Geschichten weiss machte, die nie gewesen, um es zu unterhalt fitl
um es über die langen Abende hinwegzutäuschen. Denn das Kind "
viel krank, imrner krank. Es ist auf der Erde nicht gesund geworT’G
darum ging es von uns.

Der einzige Mensch, dessen ich ungetrübt, ganz rein gedenke. ^ e"'
Kind!

Ist es ein Räthsel, wenn mir damals, als ich Nächte lang an sein et"
Bettchen sass mit der Bitte, es sollte bei uns bleiben, die Schläfe schl° 3

Jgt

senweiss geworden ist? Auch sie versteht zu erzählen, auch sie re
ihre Sprache, und diese Sprache klingt für mich grausam und traurig-

Mir ist, als schwiege der Spiegel heute. Ich sehe nur das gebleicl 111,
Haar in ihm schimmern, und ich spüre es, warum er nicht redet.

Ich lege ihn aus der Hand. An mein todtes Kind will ich denk e‘

Ein Wort Christi lautet; ,,Ich aber sage Euch, wer nur ein Weib a‘

jrl

sieht ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen
seinem Herzen.“

Das Wort fällt mir ein und mit ihm das andere: „Die Sünde ' st
Gedanken.“

im

Und dachte ich nicht an andere Frauen? Habe ich nicht mit gem e111'

Auge ihre Reize betrachtet und dabei liebte ich sie doch,

die mir

epi

r ZÜ r

Lebensgenossin gegeben?

Aber ich war jünger
nicht so . . . .

es war im Anfang

ich liebte
 
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