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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [2]: Roman
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Schmidthässler, Walter: Die Nixe: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0341

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250

MODERNE KUNST.

tasche gesteckt hatte. Ein Zipfel hing aber verrätherisch aus der Tasche
herab.

„Nun, Marthelchen, was war mir denn'das? Das war ja wieder ein-
mal der Henneberg, der ist wohl ganz zufällig hier vorübergekommen?!“
frug Anna, indem sie erst die Schwester musterte und dann unten dem
Manne nachblickte, der eben urn die Ecke einer Weinbergsmaüer ver-
schwand.

„Ach ja, ganz zufällig!“ entgegnete Martha mit vollständiger Un-
befangenheit.

„So, so“, rneinte die Schwester, indem sie von der Seite den Zipfel
des Busentuches betrachtete. „Was habt Ihr denn gesprochen?!“

„Gott, was man so spricht, wenn man sich nicht weiter kennt. Er
hatte auch nicht viel Zeit, sondern war eben erst gekommen, wie Du
da warst.“

Anna verzog keine Miene, obwohl sie längst zu wissen glaubte, was
die Glocke geschlagen habe. Sie frug auch mit keinem Worte nach dem
Zipfel, der da aus der Tasche hing, sondern ging voran und lächelte
wehmüthig-'glücklich vor sich hin wie eine erfahrenere Frau, wenn sie
irgend wo ein heimliches Liebesglück spürt.

Martha stieg mit gesenktem Blicke hinter ihr drein. Sie fühlte, dass
dieser Tag einen Schicksalsanfang für sie und andere enthielt, und es
wurde ihr eigenthümlich schwer um’s Herz. Die Gestalten der beiden
Männer, die um sie geworben hatten, kamen ihr abwechselnd in den Sinn.
Sie sann, für welchen von Beiden sie sich wohl einmal entscheiden würde,
aber sie konnte nicht aus sich selber klug werden. Und doch war ihr
Herz so voll, und ihr Wesen stand in einem inneren Aufblühen und Duft,
wie die junge Weinblüthe im Juni, wenn sie an der Rebe sich aufthut
und ihre zarte Blume verhaucht. Und so kam sie sich wie verzaubert in
ihrern Inneren vor und wie verzaubert, träumerisch und traumbefangen
folgte sie der Schwester hinauf nach dem Hause.

Unterdessen war es dunkel geworden; ein kühlerer Wind blies über
die Berge, Martha ging in’s Haus, um in der Stube Licht zu machen, wo
Rüdig und die Kinder bereits in der Dämmerung sassen, alle drei neben-
einander auf dem Sopha, und auf das Abendessen warteten. Anna ging
in den Keller, um ihren Weinkrug dort abzustellen, mit dem sie morgen
von Neuem zu hausiren dachte. Dann machte sie schnell von dem Ein-
gekaüften das Essen zurecht und ging in’s Zimmer, beklommen über den
geringen Ertrag des 'l’ages und den allzubilligen Preis, den sie hatte
rnachen rnüssen. Nach einem Weilchen sassen alle arn Tische, assen ihr
Brod und ein Stück Käse dazu und waren still und einsilbig. Martha träumte
von ihren Erlebnissen, Anna war voll Sorge, Rüdig ermüdet und sorgen-
voll zugleich. Endlich frug der Winzer, weil seine Frau so wenig sagte:

„Ilast Du denn gute Geschäfte gemacht, Anna, heute den Tag über?“

Anna schluckte mühsam ihr Brod und sagte mit künstlicher Sorg-
losigkcit:

„Ach, ja, ganz leidlich. Ich muss morgen freilich noch einmal gehen,

aber für’s Erste reicht es ja wohl. In der Stadt hat sich ja auch Maü
geändert.“

„Wie viel hast Du denn eingenommen?!“ frug Rüdig.

„Ich hab’s noch gar nicht gezählt“, entgegnete rasch die Frau
„Was hast Du denn für den Liter bekommen?!“

„Nun, wie gewöhnlich — Du weisst ja —“

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Anna stockte im Reden. Sie wollte es verheimlichen, dass sie
zu billig und nur an arme Leute verkauft hatte. Sie wusste, wi©
ihr Mann auf seinen Wein war, wie er lieber gehungert, als sein

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edles Getränk verschleudert hätte, das die Kenner bewunderten, wen

auch nur wenig auf dem Berge der Schwestern bauen konnte.

Rüdig athmete" etwas erleichtert in dem Glauben, dass das Ges c
leidlich ging.

„Du kannst mir einmal Dein Geld geben, Anna. Ich brauche
morgen Geld. Ich muss hinuntef in die Weinbauschule und amerikaiä s
Reben kaufen. Es glückt mir damit. Ich habe heute gesehen, dass

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die

vori’ährigen Stecklinge, die ich veredelt habe, gute Augen treiben-
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will nun mehr anpflanzen, urn den Berg zu schützen. Drüben hintei ^

alten ausgerodeten Staatsweinbergen haben sie neue Rebläuse entd eC

Damit sind auch wir nicht rnehr gefahrlos. Man kann nicht wissen,

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aus unsern Bergeti wird. Bei Spurmann’s geht auch nicht Alles meh 1
ordentlich zu; der Horst ist leichtsinnig, der alte Büttner will nichts v
Neuerungen wissen und hegt die alten Stöcke. Man rnuss vorbauen,
einrichten und bei Zeiten für amerikanische Stöcke sorgen, welche

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Reblaus widerstehen, um für den Nothiall die alten Gerinne und WuU C
heraus zu werfen. Also gieb mir nur, was Du hast.“

Anna war über diese Rede ganz bleich geworden. Sie sah, dass


nichts mehr verheimlichen konnte. Sie feichte ihr Geldtäschchen


einem traurigen Ausdrucke dem Winzer über den Tisch und sagte, 1111

sie sich die plötzlieh thränenden Augen wisclite: :! |

„Ich muss Dir’s nur sagen, Gotthelf, ich habe nur noch ein P a

Pfennige darin. Ich habe nur ein paar Liter verkauft, dass es gerade

Essen für morgen Mittag noch zureicht. Ich habe auch den Wein bilMr’

geben müssen, als ob’s irgend ein leichter Hauswein wäre, sechzig Pfenn 1»

Es haben nur die armen Leute gekauft. “

Da Rüdig diese Worte hörte, legte er, als sei ihm auf eiiunal ^ ^

Lust am Essen vergangen, sein Brod und das Taschenmesser auf L
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Tisch, womit er sich die Brodstückehen abschnitt. Er blieb eine ™

stumm; dann erhob er sich und ging im Zimmer auf und ab.

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„Meinen Wein!“ stammelte er endlich. „Und an arme Leute!
zu so einern Preise! Und darum schindet man sich den ganzen li ebj;
Tag und das ganze lange Jahr, pfählt und schneidet und räumt und b ,lt
und muss jede Stunde hinter der Arbeit sein, und wenn die eine vot

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ist, gleich fängt die andere an, class man sein Rückgrat noch im
spüren muss, wenn man längst der Länge lang daliegt! Einen S'
Wein, wo jeder Tropfen kostbar ist! Ach, mein Gott!“ [Forfsetzung tot

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1X0,

Noyellette von Schmidt-Hässler.

«Ifeber den Feldern gltiht die Sonne. Blcndend und in fast' verletzender
''yi Weisse streckt sich die stolze Front des Iierrenhauses dahin, träge und
schläfrig scheinen die sandsteinernen Löwen atn Eingangsthor auf ihren
Sockeln zu liegen, die grtinen Jalousien sind herabgelassen, die Fenster verhüllt.

Mit festgeschlossenen Augen träumt ein grosser Bernhardiner auf den breiten
Stufen, nur zuweilen wedelt leise im Schlaf der zottige Schweif, ocler halb öffnet sich
se:n Auge, um für einen Moinent einer vorübersummenden Biene nachzuschauen.
Nur der dichte Buchenwald spcndet Schatten!

Ein Fenster im ersten Stock hinter Epheü und wildenr Wein öffnet sieh
langsam, uncl im Rahmen erscheint eine blühende Mädchengestalt. Giosse blaue
Augen, ein kleiner Kindermund mit anmuthig geschwungenen Lippen, hinter
denen die weissen Zähne hervorbhtzen, eine Fluth goldigrother, leicht gewellter
llaare und ein blendender Ilals und Nacken vollenden das Bild bestrickender
weiblichcr Reize.

[Nachdruck vcrbot 1'

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ieh*

Nur im leichtesten Negligee hat sie sich vom Lager erhoben. Es z ie“
in’s I’reie, hinaus in den schattigen Wald, in’s sanirnetne Moos. ^ j]L]t

Eine halbe Stunde später wandert sie langsam dem Forste zu, den Sü° ^
über den Rücken, unter dem Arm ein grosses, leinengebundenes Skiz ze,!. jp

Drei lange Wochen schon lebt sie auf dem väterlichen Gute, durchsti' el


Forsten zu Fuss und zu Ross. Ileut’ aber langweilt sie sich und. zwar bes el

■ kW

in dem Gedanken, in drei Wochen schon als Gattin eines Mannes, den W e ^e[(i
kennt, eine Hochzeitsreise antreten zu müssen in ein Land. das für s,e

besonderes Interesse hat.


Sie hat sich vorgenommen, diese letzten drei Wochen auszugeniess e11
hat die unbestimmte Ahnung, dass der Wald ihr noch ein Geheimniss cli!‘
müsse, bevor sie von ihm Abschied nimmt. ^

Sie schlägt den schmalen Fusspfad ein, weiter und immer weiter e[ii
sie in die grünen Buchengruppen hinein, bis auf einer einsamen Licb tul1"
 
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