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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Wohlbrück, Olga: Der stille Compagnon
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312

MODERNE KUNST.

Alice erblickt ihn im Spiegel, sie nickt ihm lustig zu und nimmt den
Schleier von ihrem rosig angehauchten Gesicht fort. Aber Tandrup er-
widert den Gruss nicht lächelnd wie sonst. Er fasst seine Frau bei der
Hand und führt sie zu einem Stuhl, dann sagt er eindringlich, mit ge-
presster Stimme: „Liebe Alice, ich habe Dir eine ernste Mittheilung zu
machen und bitte Dich, mir aufmerksam zuzuhören.“

„Ja, ja, ich höre, Andreas, mach’ nur rasch, ich muss mich umkleiden
für das Diner von.“

„Was ich Dir zu sagen habe, ist nicht viel. Es lässt sich in wenigen
Worten zusammenfassen. Die Ausgaben müssen nun endlich bedeutend
eingeschränkt werden. Die Geschäfte gehen . . . nicht gut und ich habe
einen Compagnon nehrnen müssen.“

„Der bringt Dir doch Geld zu,“ meint Alice kleinlaut.

„Er bringt mir das Geld für mein Geschäft zu — allerdings, aber nur
unter der formellen Bedingung, dass ich die Ausgaben meines Privatlebens
in den Grenzen strikter Nothwendigkeit halte.“

„Was geht ihn denn das an?“ braust Alice auf.

„Es ist seine Bedingung“, erwidert Tandrup fest.

Alice zuckt die Achseln und zupft nervös an den Spitzen ihres
Taschentuchs.

„Wie heisst denn Dein Compagnon?“ fragt sie endlich mit zuckenden
Mundwinkeln.

„Seinen Namen darf ich nicht nennen, weder Dir noch anderen. Er
ist mein stiller Compagnon.“

„So? Und was nennt Dein stiller Compagnon die Grenzen des Noth-
wendigen?“ frägt sie nun in höchstem Grade aufgebracht.

„Das werde ich Dir alles allmählich sagen. Vor allem müssen wir
unser Logenabonnement in der Oper aufgeben, dann dürfen wir nicht
mehr als höchstens zwei Gesellschaften im Jahr geben, schliesslich —“
„Schliesslich wird mir noch jede Freude, jedes Vergnügen verboten
werden, nicht wahr? Sage doch lieber gleich, dass wir wie die Bauern
leben werden.“

„Oh nein, nur wie es vernünftigen Menschen ohne grosses Vermögen
ziemt.“

„Du verdienst doch aber so viel, Andreas . . . .“

„Dein Vater verdiente auch viel, mein Kind, hat das etwa gehindert,
dass er arm wie eine Kirchenmaus gestorben ist? Bedenke, wenn ich

stürbe, wenn Du und das Kind-“

„Ach, wer wird an so Schreckliches denken! Wenn das geschieht,
dann will ich auch nichts haben, hörst Du, gar nichts mehr!“

Sie schlingt die Arme um seinen Hals und drückt ihr thränenüber-
strömtes Gesicht an seine bärtige Wange.

* *

*

Ein neues Leben beginnt nun für Alice, wie es ihr dünkte, ein Leben

der härtesten Entbehrungen. Ihre Wünsche verhallen wie die Seufz er
• • • • • *
der Wüste. Selbst die übliche dreimonatliche Sommerreise hat sie

eine sechswöchentliche Badekur einschränken müssen. Ihre Toil ettt

werden allerdings bei einer guten Schneiderin, aber nicht mehr in ein eI

ersten Modesalon angefertigt. Die Kindercostüme müssen gar zu

mit Hülfe einer kleinen Nähterin gearbeitet werden. Die arme kleine F* a

kommt sich vor, wie eine entthronte Königin.

Wenn sie wenigstens nur wüsste, wer der Compagnon ihres Mann e
geworden? Dieser unausstehliche Mensch, der da gekommen ist, uffl *
ihr Leben zu verbittern. Ihr Mann nennt ihr den Namen nicht, utl
Fremde darf sie nicht danach fragen. Denn ihr Mann behauptet, es wm
ihm geschäftlich schaden, wenn man wüsste, dass er einen Socius S L

nommen.

hen.

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Vergebens beobachtet Alice alle Herren, die mit ihrem Mann sprec
keiner will dem Bild gleichen, das sie sich von dem Ungeheuer geffl aC
Manchmal wirft sie sich ihrem Mann um den Hals und bittet Ul1
bettelt um etwas, das, wie sie ja gut weiss, nur eine ganz überflüs sl=’
Luxusausgabe wäre. Ihr Mann redet ihr zu wie einem kleinen Kinde-
„Du weisst, Alice, wie gerne ich dir jeden Wunsch erfüllen möch tc'
aber mein stiller Compagnon hat mich ganz in der Hand. . Niemals wüf
er eine solche Ausgabe gestatten und wenn er erführe, dass ich eine solch
Thorheit begangen, es wäre aus zwischen ihm und mir.“

Alice ist bereits Mutter einer erwachsenen Tochter. Da plötzlich tr 1
die zwei Frauen ein harter, unerwarteter Schlag. Alice ist plötzlF 11
Wittwe geworden. In den ersten Tagen dumpfer Verzweiflung denkt sl
an nichts als an den ungeheuren Verlust, den sie erlitten.

Kaum eine Stunde vor dem Tode hatte ihr Mann, aus dem Tod e5
kampf erwachend, die Augen geöffnet und gemurmelt: „sei ruhig •
der stille Compagnon . . . dort, im Schreibtisch ein Brief ..."

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Es ist arn Vorabend des Begräbnisses. Alice sitzt am Sarge, eU

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Brief in der zitternden Hand; sie liest ihn beim Licht der flackerno
Todtenkerze.

„Meine liebeAlice! Wenn ich gestorben bin, dann ist es an der

2eit.

Dir den Namen meines stillen Compagnons zu nennen, dem Du bei meiü
Lebzeiten so bitter Unrecht gethan. Wenn Du jetzt keine Sorgen keffl 1'

eV

lernst, wenn Du mit unserem Kinde, freundlichen Tagen, behaglicher W 0^
habenheit entgegensiehst, dann dankst Du es ihm — meinem stiH cl
Compagnon. Er steigt mit mir in’s Grab, mein stiller Compagnon,
über das Grab hinaus wirst Du seine segensreiche Wirkung fühlen, d e|1'
er war: Der Gedanke an Deine Zukunft! — —“

Der Brief entgleitet ihrer Hand, und sie selbst sinkt in überströmen
Schmerz und heissem Dankgefühl am offenen Sarge auf die Kniee nie

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nsere

Bas moderne Genre ist arm in der Erfindung im Gegensatz zu der ent-
sprechenden Malerei der fünfziger Jahre. Es legt grösseres Gewicht auf
die naturgetreue Wiedergabe einer Situation, als auf die versprechende Lebendig-
keit der Handlung. Selten mit voller Frische in das pulsirende Leben hinein-
greifend, schildert es statt zu erzählen. Der Volkstypus erscheint ihm interessanter
als die Volksaction. E. v. Blaas’ „Mosetto“ unterscheidet sich wesentlich von
ähnlichen Studienköpfen italienischer Knaben, wie etwa Gustav Richter’s berühmter,
auf Chocolade-Enveloppes und Elfenbeintäfelchen verewigter Neapolitaner. Er
kommt der Natur näher, ohne sie doch mit urtheilsloser Treue wiederzugeben.
A. Ferraguti’s „Ermüdet“ in den weiten Grasflächen der Campagna ausruhende
italienische Mädchen sind in Erfindung und Ausführung gleich realistisch gehalten.
Mit dunklen Augen, die Lippen über den blitzenden Zähnen geöffnet, blickt das
eine halbwüchsige Kind zu der matt zusammengekauerten Gefährtin empor.
Ueber der Gruppe ruht die schwere, sonnendurchglühte Campagna-Luft. Sonnige
Licht- und Luftstimmung .liegt auch auf P. Simm’s „Froher Botschaft“. Ein
Pärchen aus der Zeit des Directoire hat sich soeben vom Kaffeetisch erhoben,
um gemeinschaftlich einen wichtigen, offenbar angenehme Nachrichten enthalten-
den Brief zu lesen. Ein alter Diener entfernt-sich mit einem Tablett, während ein
treuer Hund mit aufmerksam gehobenem Kopf an den Empfindungen seiner Herr-
schaft Theil zu nehmen scheint.

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Am meisten entfernt von der Stilsicherheit ist zur Zeit die Monumentalk 1' 11^

Besonders die Sculptur tastet unsicher zwischen den überkommenen Idealfo* 11^ c

und dem zu erstrebenden engeren Anschluss an dieNaturhin und her. BenH lU ^

ist einer der wenigen Meister, dessen starke Individualität treffsicher ihre eig cU

Wege geht. Sein „Grabmal“ ist ein originelles, in der Erfindung wie im A a

gleich vollendetes Kunstwerk. An einem reich ornamentirten Sarkophag i st e*

weibliche Gestalt trauernd niedergesunken, während leicht aufschwebende G cUl .

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die Auferstehung andeutend, den schweren Sargdeckel emportragen. Die 1

malerei Herm. Hendrich’s sucht ihre stärksten Mittel im Gebiete der P
tastischen Romantik, in das sie sich mit düsterem Farbenreiz vertieft. Scha

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tte* 1’

haft wird die Leiche des erschlagenen Siegfried auf einen gewaltigen SchiM
einem Flusse vorübergetragen, aus dessen, von Felsen eingeengten Ufern klag eU g
Nixen emportauchen. Mit gesenktem Haupte schreitet Gunther hinter der L el
des um seinetwillen Ermordeten einher, während der grimme Hagen halb
wärts gewendet gleichmüthig der Klage der schönen Stromweiber lauscht- g

Als interessante Bildgabe bringen wir unseren Lesern noch die Victory

Flaggenschiff Nelsons, auf dem er schwer verwundet in der Seeschlacht bei Traf 3^^,

zusammensank. Bis vor Kurzem lag der alte Dreidecker im Hafen von Portsffl .

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als Casematt- und Hospitalschiff gelegentlich benutzt und vielfach besucht. D ie
gültige Ausrangirung des Colosses rief seiner Zeit in England Entrüstung

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