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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Ompteda, Georg: Der Spiegel, [3]
DOI Heft:
Roderich, Albert: Gedankensplitter
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0166

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72

MODERNE KUNST

Hundert Lichter habe ich angezündet. Die Flügelthüren des Spiegels
brach ich ab. Sie werfen mir Schatten und ich brauche Licht.

Nichts.

■K* *

*

Jetzt habe ich es endlich gefunden: nicht Licht soll der Spiegel spiegeln,
er soll aus sich den Schein herauswerfen. Nein: hinter mir muss ich einen
zweiten aufstellen, der das Licht in meinen Spiegel wirft.

Endlich!

Der Spiegel ist hell nun. Ganz hell. Aber . . . aber . . .

Noch will ich es lieber nicht sagen, denn erst muss ich rneiner Sache

ganz sicher sein. Aber wenn es wäre . . . wenn es wäre . . .

* *

Um mich zu überzeugen, habe ich lange vor dem Spiegel gesessen
und aufmerksam hineingeschaut. Er war ganz hell, sodass ich alles hätte
sehen müssen, aber es geschah nichts aussergewöhnliches.

Ich muss mich geirrt haben . . .

Und doch! Doch geht etwas vor sich im Spiegel. Aber ich bin ganz
ruhig dabei . . .

Was hat mir der Arzt gesagt? Ich solle mir nicht unnütze Gedanken
machen über mich selbst. Solch ein Unsinn! Ich . . . ich soll nicht über
mich selbst nachdenken? Das einzige, wozu ich noch Lust und Be-
fähigung habe! Denn was gehen uns andere an? Am Ende aller Enden
ftihlen wir nicht fremden Schmerz mit und empfinden nicht fremde Freude.
Wir stecken in uns, wir können nicht heraus, und nur das interessirt uns
wirklich, was uns selbst angeht . . .

Nun will ich es auch sagen: ich bin nicht mehr allein.

•X* -x-

Wenn die Beleuchtung sehr günstig ist und wenn ich lange Zeit in
den Spiegel gesehen habe, dann fange ich an, es zu unterscheiden. Da
drüben ist einer gerade mir gegenüber und der schaut mich an. Immer
wenn ich nach ihm suche — schaut er mich an.

Zuerst war ich erschrocken und ich wandte den Blick ab — dann
sah ich ihn auch nicht mehr. Es war alles vorbei. Wenn ich aber wieder
hinsah, war er auch wieder da.

Jetzt schon vermag ich ihn ruhig anzublicken.

•X* X-

•X*

Ich zweifelte ja nicht mehr, aber wenn ich den geringsten Unglauben
gehabt hätte: heute habe ich den Beweis.

Ich sass ganz ruhig vor dem Spiegel. Hinter mir stand der andere.
Lichter brannten überall. Ich hatte es so hell gemacht wie nur möglich.
Ohne Ungeduld wartete ich regungslos. Ich wusste, dass er kommen
musste.

Und er kam.

Als ich mich einen Augenblick nur abwandte und dann wieder in den
Spiegel sah, war er da.

Wie ich, still sass er mir gegenüber und sah mich an.

Bis dahin hatte ich es doch nicht gewagt, eine Bewegung zu machen.
Wie ich zuerst vom Schreck gelähmt war, so war ich sitzen geblieben
und so blieb ich jedesmal.

Heute zum ersten Mal fiel es mir ein, mich zu rühren. Ich hatte gar
keineFurcht, ich hatte ihn ja erwartet. Und um ihn näher zu betrachten,
neigte ich mich gegen den Spiegel.

Und er mit . . .

Und . . . mir gerann das Blut in den Adern . . . er musterte mich
ganz genau . . . er kam mir immer näher, wie ich ihm näher kam . . .

Und . . . mir schlagen noch alle Pulse . . . er fuhr mit demselben
Ruck zurück, mit dem ich mich im Schrecken zurückbeugte.

Schreiend bin ich aufgesprungen . . . nur fort . . . fort . . von dem
Spiegel . . .

Da war er auch verschwunden.

Aber eines weiss ich nun: er lebt.

*

Ich muss mir Muth einreden. Was ist dabei . . . er wird mir nichts thun • • ■

Wieder setzte ich mich vor den Spiegel. Ich rücke ihn zurecht. Die
Lichter schiebe ich noch so, dass sie mich gut beleuchten. Und nun hin-
eingeblickt.

Er ist da. Er sieht mich an.

Eine Verbeugung ....

Er erwidert sie . . . .

Fort . . . fort . . . genug für heute . . .

* •»

Der im Spiegel hat gelacht, als ich ihn verhöhnen wollte, um mir
Muth einzureden.

Das ist unerträglich.

* *

*

Ich kann nicht mehr schlafen, immer muss ich an den im Spiegel denken-

* *

*

Nachts bin ich aufgestanden, habe die Lichter entzündet und habe
mich vor den Spiegel gesetzt. Und er war da. Er ist immer da. Wo
ich bin ist er. Er verlässt mich nicht.

•»

Neue Erkenntniss: er trägt genau meine Züge.

» •»

’Y:

Jede Falte ist wie bei mir. Alles. Und da ich aus den Furchen
meines Gesichtes gelernt habe meine Geschichte zu lesen, kenne ich auch
seine. Nun ist er ich, und ich bin er.

Als ich das entdeckte, blieb ich vor dem Spiegel sitzen die ganze Nacht.

* *

•X-

Es giebt nur eine Rettung: ich werde ihn tödten.

■x •»

•»

Sorgsam habe ich heute alles verschlossen. Niemand kann herein-
Die Fenster sind geschlossen und verhängt. Die Portieren an den Thüren
liess ich herab. Man wird den Schuss nicht hören.

Nun vor den Spiegel.

Alle Lichter zünde ich an. Es muss taghell werden, damit iPh ihn
nicht fehlen kann. Auf den ersten Schuss muss er todt sein.

Ich hole meine alten Duellpistolen aus dem Kasten . . . nein die nicht,
sie sind nicht gezogen.

Mein Revolver ist geladen. Ich nehme ihn fest in die rechte Hand.
Den Finger am Abzug, gespannt ist er schon.

Langsam trete ich an den Spiegel heran. Noch halte ich die Waffe
verborgen.

Haha! Da bist Du ja auch schon:

— Guten Abend!

Ich mache ihm eine Verbeugung und er erwidert sie förmlich.

Nur schnell die Hand gehoben und eins — zwei —

Himmel und Hölle, auch er . . . er zielt . . . zielt auf mich.

Der Schuss geht los.Noch einer . . .

Der Spiegel fliegt zerschmettert in Scherben . . .

Ich fühle nach meiner Brust. Seine Revolvermündung stand mir ja
gerade auf dem Herzen. Ich fühle . . . fühle . . . nichts . . . nichts . • •

Bin ich wahnsinnig?

f

iel Unruh’ holt sich leicht heran,

Wer stets auf andere Leute hört;

Ist man ein wenig taub, wird man
Nicht gar so leicht im Schlaf gestört.

an kenspl itter.

Von Alb. Roderich.

ag’ nicht, scheint kleine That
Des Nutzens zu entbehren;
Wächst nicht aus Körnersaat
Ein ganzes Feld voll Aehren?

_j>

Und wer da glaubt, er bot
Ein Grosses, lass’ sich lehren:
Zu einem einz'gen Brot
Gehören viele Aehren.
 
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