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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [11]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0486

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40i

ep

em.

Roman von Wolfgang Kirchbach.


2— Elftes Kapitel. [Schiuss.] ,' s—-

rosses Aufsehen erregte es bei allen Weinbauern des Stromthals und
weit in der Welt der Weintrinker und Geschäftsleute, als die Zeitungen
die Nachricht brachten, gegen das altberühmte Weinhandlungshaus von
Anton Spurmann sei die Anklage wegen Weinfälscherei im grössten
Maassstabe erhoben worden. Sämmtliche Kellereien der Handlung seien
mit gerichtlichem Siegel belegt worden, aller Geschäftsverkehr sei unter-
brochen und jedenfalls werde das Urtheil, neben einer empfindlichen Strafe
für die Fälscher, eine Confiscation und Unschädlichmachung der Wein-
vorräthe der Handlung verhängen.

Auch Marianne las die Zeitung, in welcher diese Nachricht stand.
Sie hatte wohl vorher schon allerhand dunkle Gertichte vernommen, dass
eine Gerichtscommission gekommen sei und die Kellereien versiegelt habe,
auch hätte man Herrn Spurmann in seinem Comptoir verhaften wollen.
Gegen eine hohe Sicherstellung dagegen habe man davon abgesehen, ihn
in Untersuchungshaft zu nehrnen. Dies Alles verliielt sich auch so, aber
Marianne wusste nichts Sicheres, da sich der Vater, seitdem Anzeige erstattet
war, fast vor Niemandem mehr sehen liess. Er vermied, seine Tochter zu
sehen, sie vermied ihn zu fragen.

Eines Tages brachte der Postbote einen Brief an Fräulein Marianne
Spurmann. Marianne erkannte die Handschrift ihres Bräutigams.

„Liebe Marianne! Gleichzeitig mit
diesem Briefe erhält Dein Vater von
mir die Nachricht, dass ich aus seinem
Dienste scheiden muss. Ich habe eine
neue Stelle bei einer grossen Cham-
pagnerfirma angenommen. Ich wollte
es erst nicht glauben, was die Zeitun-
gen meldeii, aber nachdem ich mir
selber Gewissheit verschafft, dass alles
so ist, wirst Du begreifen, dass meine
Geschäftsehre mir nicht länger ge-
stattet, für Euer Haus zu reisen. Ich
muss zugleich bemerken, dass ich jede
Verantwortlichkeit für die Handlungen
Deines Vaters weit von mir weisen
darf. Ich habe zwar immer dafür
geredet, dass der Geschäftsbetrieb auf
eine mehr kaufmännische Grundlage
gestellt werden rnüsse, und bin auch
nicht gegen erlaubte Beschleunigung
der Gährung gewesen, aber dass man
gleich fälschen würde und mir, Deinem
Bräutigam, auch noch zumuthete, für
diese Fälschereien zu reisen und Stim-
mung zu machen, das hätte ich Euch,
ich will sagen Deinem Vater, nie zu-
getraut, denn ich weiss ja nicht, in
wie weit Du in diese schlimmen Ver-
hältnisse eingeweiht warst. Du be-
greifst aber, dass meine Ehre, meine
geschäftliche Zukunft unter solchen
Umständen, wenn auch mit blutendem
Herzen — (das Wort „blutend“ war
doppelt unterstrichen) mir gebietet,
jede Verbindung mit dem Spurmann-
schen Hause abzubrechen. Lebe wohl,
meine theure Marianne, ich weiss,
was Du mir warst, aber Du wirst
selbst von mir nicht verlangen, was
ich von Dir auch nicht verlangen
würde.“

*■—~ [Nachdruck verboten.]

Diesem Schreiben lag ein Zeitungsausschnitt bei, worin auf der An-
zeigeseite eines Blattes, das in der Umgegend viel verbreitet war, zu
lesen stand:

„Meine Verlobung mit Fräulein Marianne Spurmann erkläre ich hiermit
für aufgehoben. Desire Miiller.“

„Also so einer ist das gewesen!“ dachte Marianne geringschätzig. Sie
ging auf ihr Zimmer und begann sofort, nachdem sie sich vom Boden
Koffer und Ivörbe hatte herunterholen lassen, zu packen, als habe sie
eine weite Reise vor. Mit grosser Vorsicht suchte sie die beste und
feinste Wäsche, ihre schönsten Kleider und kostbarsten Spitzen zusammen
und packte sie in die Koffer und Körbe, als habe sie viel Aufwand zu
machen vor. Schmuck und Ketten, Armbänder und Ringe wurden gleich-
falls sorgsam ausgewählt, alles Geringwerthigere blieb liegen. Sie konnte
ja selbstständig leben, sie packte sorgsam ihr mütterliches Vermögen ein,
von dem sie wenigstens einige Jahre recht gut auf eigene Weise bestehen
konnte. Dann liess sie anspannen, aufladen und oltne ihr.em Vater ein
Wort des Abschiedes zu sagen, stieg sie in den Wagen und befahl, nach
dem Bahnhof zu fahren.

Spurmann sah von seinen Fenstern aus, wie seine einzige Tochter
von dannen fuhr. Er hatte nicht die Kraft, sie zurückzuhalten. Sie fuhr
wohl zu Verwandten, vielleicht zu ihrem Bräutigam, sie hatte ja
Recht, nicht bei dem alten Weinfälscher zu bleiben. Und doch
musste er weinend ihr nachblicken, und eine schwere Thräne fiel
in seinen Bart. Eine Staubwolke erhob sicli hinter dem davon-

rollendenWagen her,
denn ein schweres
Gewitter wälzte sich
in das Thal herein
und fegte über die
schwankendenBaum-
wipfel hin. —

Der Herbst brach
über die kahlen
Berge herein.
Martha Leiser
und Gotthelf
Rüdig hatten
den ganzen

L = -

Brautwagen. Originälzeichnung von A. Äckermark.

IX. 20. II.
 
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