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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [1]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0320

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229

ein.

Roman von Wolfgang Kirchbach.

Erstes Capitel.

i.n einer stillen Strasse der Vorstadt, wo die Häuser in der warmen
Nachmittagssonne lange, schräge Schatten auf das steinerne Pflaster
Warfen, schleppte sich eine Frau mit einem Tragkorb auf dem Rücken
ermüdet hin. Auf ihrem Antlitz lagerte ein sorgenvoller Ausdruck, als sei
dle Last nicht nur eine körperliche, sondern Etwas, das sie überhaupt
^ ern losgeworden wäre.

Sie bog nach einigen wei-
teren Schritten in den Flur
eitles hohen Hauses ein; hier

l -

hielt

ver;

die junge Frau etwas
2agt an, als sei sie un-
schlüssig, ob sie weiter gehen
s°llte. Dann stieg sie langsam
^ leTreppe hinauf, bis sie er-
Schöpft das erste Stockwerk
erreicht hatte. Hier setzte sie
Sleh auf die Treppenstufen
üle<Ier, so dass der schwere
^°fb auf den Steinflur zu
stehen kam. Sie löste das
ragband vom Korbfusse ab
ünd machte sich aufathmend
^ etl Rücken frei. Nachdem
s' e stehend den Korb bis an
1516 Thüre einer Miethwohnung
Serückt hatte, so dass er auf
^ ettl Strohdeckel fusste, legte

ih:

Unwillkürlich die Hand aul
re Brust und athmete noch
ltlmal beklommen auf.

Dann klingelte sie.

Sie lauschte auf die Ge-
raUsche, die sie drinnen ver-
neh

nien würde. Nach einem
Glchen hörte sie mehrere

Uren gehen und eine leise

W,

Th

^ evvegung jm Vorsaal. End-
h öffnete man, und das Ge-
lcht einer alten Jungfer mit
CtIler krummen Nase und
ültlem Klemmer über den
^ ugen schielte um die Thür-
aute heraus.

Die junge Landfrau nahm
^ Tuch fort, welches über dem Tragkorbe lag, und sprach, indem sie
ü^ einen grossen steinernen Krug wies, der, von Lappen umwickelt,
arinnen stand:

»Kaufen Sie keinen guten Landwein?! Ich lasse Ihnen den Liter für
^ ehtzig Pfennige. Der Krug ist so schwer; ich weiss kaum, wie ich ihn
rtbringen soll. Ach, wenn Sie mir doch ein paar Liter abnehmen wollten!“
j _ Sie sprach das in einem Tone ehrlicher Einfachheit, aus dem eine
ülSe Sorge zitterte. Die Herausgeklingelte machte ein missmuthiges Ge-

Eine Btemarckschwärmerin.

Sleht ü

über die Störung und wollte sich wieder zurückziehen. Sie rümpfte

e Nase und sagte spitz:

»Das saure Zeug, wer soll denn das trinken? Man kann's ja nicht
ntllal als Essig brauchen.“

^ »Ach, nein, Fräulein, es ist ein guter, reiner Wein und von sehr gutern
eschmack!“ erwiderte die junge Frau rasch und ängstlich. „Wollen Sie
c Wenigstens einmal kosten?!“

Sie hob bei diesen Worten die Weinkruke mit beiden Händen aus

dem Korbe herauf und blickte das ältliche Fräulein erwartungsvoll an.
Dieses machte auf einmal ein lüstetnes Gesicht und nickte herablassend
der Händlerin zu.

Aus dem Grunde des Korbes holte diese sofort einen kleinen Becher
und bat das Fräulein, ihn unterzuhalten, worauf sie aus der Kruke einen
rothen Wein eingoss. Sie machte es reichlich und sah dann mit gespannter

Aufmerksamkeit dem Mienen-
spiele des Fräuleins zu. Dieses
/ nippte erst, verzog den Mund

ungläubig, trank dann aber
den Becher rasch leer und
hielt ihn noch einmal hin.
Bereitwillig goss dieHändlerin
rasch noch einige Schlucke
nach und ihr Herz klopfte
stark, in der Hoffnung, dass
der Wein nun doch noch einen
Käufer finden werde. Das alte
Fräulein trank langsam, als
prüfe sie jetzt erst jeden
Tropfen, dann aber reichte
sie den Becher zurück und
sagte:

„Der Wein scheint nicht
schlecht, aber er ist mir zu
theuer und ausserdem trinke
ich überhaupt keinen Wein.
Vielleicht probiren Sie es ein-
mal oben, einen Stock höher.“
Damit zog sie sich hinter
ihre Thüre zurück und schloss
sie lautlos und listig zu, als
fürchte sie wegen der getrun-
kenen Tropfen zu einer Be-
zahlung verpflichtet zu sein.
Die junge Landfrau schaute
enttäuscht die kahle Thür-
wand an und faltete die
Hände über ihrem Schoosse
mit einem wehmüthigen Aus-
drucke. Dann kauerte sie wie-
der auf der Treppenstufe nie-
der und belud sich von Neuem
mit dem Korbe.

Sie schritt in das obere
Stockwerk hinauf, klingelte und bot ihren Wein einem würdigen Ober-
postsecretär an, der mit halboffener Uniform heraustrat und nach ihrem
Begehr fragte. Er schien ein Weintrinker zu sein, denn um seine Nase
waren einige röthliche Aederchen sichtbar.

„Was haben Sie denn für einen Wein?!“ frug er gemüthlich.

„Echten, guten Landwein, selbst gebaut, und ich garantire vollständige
Reinheit. Wenn der Herr einmal kosten wollten?!“

Sie füllte den Becher und der Beamte kostete, indem er kunstgerecht
schlürfte, den Wein auf verschiedenen Stellen der Zunge ruhen liess und
dann ihn verschluckte. Er zuckte aber zweifelnd mit den Achseln und sagte:

„Das ist nichts Sicheres, mein gutes Frauchen. Das könnte man ja
für einen Bordeaux oder Burgunder halten.“

„Es sind auch Burgundertrauben,“ sagte Jene mit Genugthuung.

„Aber wie wollen Sie mir denn einreden, dass das hiesiger Wein sei?
So einen guten Schluck können Sie hier doch gar nicht erzeugen. Ich
traue der Sache nicht. Es ist wohl irgend ein Kunstwein?“

K. 15. II.
 
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