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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Krauss, Gustav Johannes: Im Blätterfallen
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92

Älättepf allen.


Von Gustav Johannes Krauss.

dürre Laub raschelte unter ihren Füssen, wie sie so den Baum-
mg' auf und nieder schritt. Ueber ihrem Haupte sah das
strahlende Tiefblau des Herbsthimmels durch die stark gelichteten
Wipfel. Da und dort schwankte ein braunes, sonnenmürbes Blatt nieder
und legte sicli sachte, Iantlos auf den Boden. Von der Erde herauf, von
den Wipfeln herab und aus allen Biischen strömte der starke, schwere,
krank-süsse Duft des welkenden Blattgrüns. Er drang mächtig auf sie ein.
Er zog mit dem Athem in ihre lebenswarme Brust und hing sich an ihr
Herz. Er umhüllte sie mit einem seltsam weichen, schwermüthigen Ge-
fühl, als trüge sie unter ihrem gefallstichtigen Gewand ein Hemd aus
uralter, modernder, zerfallender Seide.

Zum Bewusstsein kam ihr von alledem nichts, als ein allgemeines
Unbehagen, und dieses erklärte sie sich mit dem Wartenmiissen. Sie, die
Vielgefeierte, die Beaute, musste warten, warten, und auf wen? Auf einen
jungen Menschen, einen Studenten! Sie presste die kleinen, weissen
Zähne in die Unterlippe und zog mit ungeduldiger Bewegung die Uhr
aus dem Gürtel. Noch ftinf Minuten wollte sie warten. Vielleicht kam
er doch noch, und kam er, so konnte sie Revanche nehmen an ihm ftir
seine Rücksichtslosigkeit. Sie liess sich auf die Bank nieder, die in dem
Baumgange stand, und sttitzte den Kopf leicht auf die Hand. So war sie
das Sinnbild der beleidigten Liebe.

Ein leichtes Schauern geht durch ihren schlanken Leib. Kommt es
von der Ktihle hier im Schatten oder sind es die trtiben Gedanken an
Welken und Sterben, die sie mit dem süsskranken Dufte des fallenden
Laubes eingesogen? Sie kann es nicht unterscheiden, denn es sind
keine wachen Gedanken mehr, sondern die wirren Bilder des Halbschlafes.
In diesen Bildern predigt der duftende Tod ringsum sein schauriges
Evangelium in ihr hochmtithiges, selbsttrunkenes Weltdamenherz hinein.
Ihr eigener, schöner, zärtlich gepflegter Leib erscheint ihr wie ein sonnen-
mtides, gluthverzehrtes Blatt, das im Welken duftet . . .

___ [Xachdruck verboten ]

Da kommt Jemand mit langen Schritten, fast laufend, den Baumg aI1-
herab. Sein junges, vom ersten Bart umflaumtes Gesicht glüht, sein He lZ
ist voll Sehnsucht und bösem Gewissen. Eigentlich ist er unschuld'S
Der Professor hat ihn festgehalten mit einem langweiligen juristischen
Gespräch. Aber musste sie nicht trotzdem warten, sie, die HerrlichL
Göttliche, auf ihn?

Sie hat nicht gewartet, natürlich, wie wird sie . . . Der Baumg an&
ist leer! Aber dort auf der Bank . . .! Sie schläft!

Er steht wie festgewurzelt und sieht sie an. Wie schön sie ist, "' ie
wunderschön! Er presst die Hand auf sein ungestüm pochendes Hei z-
Sein Schlagen konnte sie wecken.

Und dann geht etwas wie Grauen durch sein Gemüth, wie Grauen
vor etwas Unbekanntem, Uebermächtigen, Feindseligen, das in der schönen
Gestalt dort auf ihn lauert, und dann etwas wie Ernüchterung.

Er geht auf den Zehenspitzen vorüber. —

Ein Windhauch weht durch die Krone eines Kastanienbaumes. GanZ
leise rührt er die Zweige, aber das ist genug, um etliche der glänzend
braunen, knolligen Früchte aus den geplatzten Stachelhüllen zu schütteln-
Sie prasseln durch die Blätter hinab und schlagen auf den Boden, während
das von ihnen abgeschlagene Laub noch in der Luft schwebt.

Sie fährt von dem Geräusch empor. Um Gott, sie hat doch nicht
geschlafen. Aber doch, ihre I.ippen sind so trocken, der Kopf s°
schwer . . .

Sie sieht wieder nach der Uhr. Nun kommt er wohl nicht mehr.

So geht sie denn fort. Ihr Schritt ist müde, ihre Gedanken traung-
Alt werden! Pfui, ein altes Mädchen! Und sie denkt, zum ersten MaL
mit ernster Erwägung, an den rüstigen Wittwer, der sie so lange schon
umwirbt.

Und rings um sie fallen die Blätter und verhauchen kranken, süssen
Duft . . .

nöere

.rauenköpfe Sichels haben Stets einen gewissen malerischen Reiz.
Der Künstler hat die Gabe, durch Mischung typischer Schönheit mit
individucllem, nicht allzu tief gefasstem Charakter zu gefallen. Seine
„Neapolitanerin“, braucht niemals den Golf von Neapel gesehen zu haben
und dort gestorben zu sein, sie hat dunkles Haar und dunkle Augen, ihr
Mieder ist ein wenig nachlässig geöffnet, und sie gefällt, weil sie gefallen
will. Wirkt hier der Reiz der Schönheit an sich, so bietet Barbudo alle
malerischen Mittel eines prunkenden Milieus auf, um für weibliche Anmuth,
wie sie die Geselligkeit beherrscht, einen kostbaren Rahmen zu schaffen.
Es muss sich da auf der Soiree doch noch um ernstere Dinge gehandelt
haben, vielleicht gar um ein Hochzeitsmahl. Die festlich gekleideten
Gäste steigen über blumenbestreute Stufen herab. Das voranschreitende
Paar macht den Eindruck, als gäbe es zwischen ihnen kein Herzens-
geheimniss mehr, sondern eine bereits gelöste Lebensfrage, und die im
Vordergrunde harrenden Diener recken ihre Hälse mit Hintansetzung
aller Discretion, verständnissinnig lächelnd den nahenden Herrschaften
entgegen.

Um einen intimeren Vorgang handelt es sich in Dagnan-Bouverets
„Elternsegen“. Es wird da ein alter Normännischer Brauch geübt, nacli
dem die Neuvermählten nach der kirchlichen Ceremonie vor dem Hoch-
zeitsmahl niederknieen, und von den Eltern der Braut Verzeihung erbitten
für die Losreissung vom Vaterhause.

Ein ähnliches Motiv voll entzückender Anmuth hat Hermann Kaul-
bach gewählt. Eine römische Jungfrau der Kaiserzeit ist mit einem
Blumenkörbchen zum Grabmal des Dichters der Liebe Catullus hinab-

^ilder.

gestiegen. Das Oellämpchen hat sie auf einem Sai’kophag niedergesetzt
und nun neigt sie das zierliche Köpfchen der Büste des Poeten entgegen
und driickt ihren weichen Mund aui die Marmorlippen, um ihnen ihren
Dank zu bezeugen für all' das Schöne, das sie von Liebesfreud und LeM
gesungen. Glücklicher Dichter, dessen „Unsterblichkeit“ solcher GestaF
besiegelt wird! In den Schulen wird er nicht gelesen, weil er allzu viM
Herzensgeheimnisse ausplaudert. Aber die Rosen am Fusse seines Grab-
mals wiegen tausend Commentatoren auf.

J. Rosen’s Fächermalerei beschwert das Werkzeug weiblicher Ko-
ketterie mit einem historischen Genrebilde. Ein Recognoscirungsritt des
grossen Corsen mit Generalstab und Husarenpatrouille ist in dem graziös
geschwungenen Bogen geschickt hineincomponirt, und wenn man durchaus
will, mag man den Welteroberer mit der siegreichen Macht der Frauen-
schönheit in ideellen Zusammenhang bringen.

Auch dem alten Alchymisten auf Benlliure’s „Hexensabbath“ mus s
die Erinnerung an Jugendthorheiten aufgestiegen sein, ihm spuckte d l£
Walpurgisnacht in allen Gliedern, als er diesen grotesken „Hexensabbath
heraufbeschwor. Um ihn kauern all’ seine Getreuen, alte Hexen ul1(^
junge Hexchen. Aus dem brodelnden Kessel aber schweben bacchantische
I luldgestalten, zu denen seine Gäste lüstern-erstaunt emporschauen. Hm
antike Welt hat von jeher einö'n geheimnissvollen Zauber ausgeübt aut
Alle, die sich mit der „schwarzen“ Wissenschaft beschäftigt. Die hohcn
und niederen Gottheiten des Olymp und der Erde waren im Mittelalte'
zu bösen Geistern geworden, die man erzürnen und besänftigen, g eS en
sich einnehmen und sich dienstbar machen konnte.
 
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