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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Reimann, Georg: Unsere Rechtsanwälte, [3]
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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [11]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0268

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MODKRNE KUNST.

179

Im Anwalts-Büreau.

nach Brod für sich und
die beiden Kleinen.
Aber von Woche zu
Woche ist's schwerer
geworden; wie oft hat sie
vergebiich angeklopftl
achselzuckend hat man
■sie fortgewiesen —; ja, wenn man ihr cine Kleinigkeit schenken könnte . . .
Aber betteln wollte 'sie nicht. Nun hat sie gehungert, zuerst allein, dann mit
den Kindern zusammen, und allmählich ist die Verzweiflung über sie gekommen.
Am Weihnachts-Heiligabend ist's gewesen, da hat sie’s nicht rnehr mitansehen
können. Die Kinder baten um Essen und weinten, als die Mutter sagte, dass
sie nichts geben könne. Und da ist sie plötzlich aufgesprungen, zur Nachbarin
gegangen und hat sich 60 Pfennig geliehen. Dafür hat sie Kohlen gekauft und
Kaffee und Zucker und ein paar alte Semmeln. Dann hat sie zu Hause tiichtig den
Ofen geheizt und während es recht mollig warm wurde in der Stube, haben die
Kleinen sich's wohlschmecken lassen. Nachdem auch das letzte Krümchen verputzt
■War, hat die Mutter sie sauber angezogen. gekämmt und ihneri ein paar alte rothe
Bändchen in’s Haar gebunden. Dann hat sie die Ofenthüre geöffnet und in Kleidern
sich selbst auf’s Bett gelegt, rcchts und links eins von den Kindern im Arm. —

Der Rechtsanwalt hat mit sichtlicher seelischer Betheiligung gesprochen;
manchem sind die Thränen in’s Auge getreten unter den Geschworenen und im
Publikum. Und wenn er auch für keine andere Strafe hat plaidiren können.
als das Gesetz sie vorschreibt, so weiss doch Jedermann im Saal, dass sein
Wunsch, es möge der Gnadenweg beschritten werden, nicht ungehört ver-
hallen wird. Als die Geschworenen sich zuriickgezogen haben, läuft auch schon
das Gerücht durch die Reihen des Publikums, der Staatsanwalt selbst wolle ein
Gnadengesuch einreichen.

Eine bange Viertelstunde vergeht. Dann treten die Geschworenen wieder
ein und sprechen ihr „Schuldig“. Die Richter schreiten in’s Berathungszimmer.
Schon nach drei Minuten komrnen sie zurück, treten an ihre Plätze und setzen
die Baretts auf. Staatsanwalt und Vertheidiger sehen finster drein. Der Präsident
verkündet das Urtheil: „mit dem Tode bestraft“. Die Angeklagte jammert laut
auf — hinter den Schranken entsteht Murren und Bewegung. Der Vertheidiger
bcugt sich über dic Verurtheilte und spricht zu ihr. Es vergehen ein paar Minuten:
man hört nur das unterdrückte Schluchzen. Dann führt der graubärtige Schliesser
sie leise hinaus. Der Rechtsanwalt packt seine Acten zusammen und will eben
den Saal verlassen; da tritt einer der Boten zu ihm und händigt ihm ein Couvert
ein; ein Zettel daneben besagt: 300 Mark als Ertrag einer soeben unter den Ge-
schworenen veranstalteten Sammlung für Ihre Mandantin“.

Warum so spiit?


^unserloos.

Humoristischer Rornan von Heinrich Vollrat Schumacher.

[Fortsetzung.]

G\

jßt,ie sind nieht in meiner Schuld! Haben Sie die saftigen Birnen vcr-
tr gessen? Wir sind quittl“

Sein J Iohn bi'aelite sie fast von Sinnen.

„Unsinn!“ stiess. sie wüthend heraus und fuclitelte mit der Gerte wild
Vor seinem Gesicht umlier. „Das lässt sich gar nicht mit einander ver-
gleichen. Wollen Sie’s mir nun sagen oder nicht, womit ich mich bei
Ihnen revanchiren kann?“

Er trat einen Schritt zurück und sah ihr mit eincm seltsamen, fast
^ärtlichen Blick gerade in die Augen.

[Machdruck verboten.]

„Nun denn“, sagte er langsam, „wenn Sie’s absolut wollen — mit
einem Kuss!“

Leo zuckle auf und wui’de kreidebleich. Und die Reitgerte in ihrer
Hand schnellte empor, wie zum Schlage. Dann sank sie langsam herab,
und Leo wendcte um und ritt wortlos davon.

„Vielleicht das nächste Mal?“ tönte es hinter ihr her.

Sie knirschte mit den Zähnen.

„Nie!“

„Wetten?“
 
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