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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Reimann, Georg: Unsere Rechtsanwälte, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0267

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17«

lilnsere J^editsanwälte

Von Georg Reimann.

„Millcr!“

„IierrBureauvor-
steher befehlen?“

„ Wann, sagten
Se, haben Se den
Steputat gesehen?“
„Vor ’ner halben
Stunde, Herr Bu-
reauvorsteher. “
„Und nu is all
meist Viertel! Un
den vvollen vvir mal
e bischen am Schla-
fittchen nehmen!
Wo war’s denn?“
„In der Junker-
strasse, Herr Bure-
auvorsteher.“

Der Angeredete
erhob sich alle drei
Mal ein wenig von
seinem Sitze, vvenn
er antwortete, und
jedesmal tauschten

dann die anderen Schreiber einen verständnissinnigen Blick mit einander. Sie
hielten es für servil, so zu antworten und sich so zu erheben; überhaupt galt
Miller unter ihnen fiir einen ausgemachten Streber; hatte er sich doch den Platz
gegenüber dem Bureauvorsteher ausgesucht, recht unter den Augen des Gestrengen,
wo er jedesmal von einem Sprühregen überschtittet wurde, wenn der Alte uieste.

„Miller“, tönte es nach fünf Minuten wieder, „was machte erdenn? Dusselte
er man blos so ’rum?“

„Verzeihcn — Herr Bureauvorsteher — ich giaube nein — er — er hatte
nämlich sozusagen ein Bouquet in der Hand.“

„Hm, hm!“ machte der Bureauvorsteber geräuschvoll, indem er mit seinen
eigenen und den Stuhlbeinen scharrte; das vvar das Zeichen, dass er bösester
Laune war. Alle bücktcn sich tief auf ihre Abschriften; man hörte jede Feder
kratzen.

Nach einer Weile liess sich ein leichter Schritt vernehmen; der Verspätete
trat herein. Noch ehe er ein Wort über die Lippen bringen konnte, fiel der
Alte über ihn her.

„Mensch, wo sind Se gevvesen? Wo treiben Se sich ’rum? Was verasen
Se fcr Zeit? Wissen Se, was de Uhr is?“

„Herr Bureauvorsteher — ich hatte — — ich musste — —

„Was hatten Se? Zahnschmerzen, nich wahr? Hi hi! Zahnschmerzen und
die mussten Se in der Junkerstrasse spazieren führen — mit’n Bouquetchen in
der Hand — vvas?“

„Das Bouquct, das war, — das liatte —

„Mannchen, nu machen Se tnan nich noch Fismantenten. Zeitig auf’s Berro
kommen i wo, is nich! aber mit's weibiiche Geschlecht ’rumflaniren —
Bouquetchen bringen! Ich werd' müssen Ihnen de Copialien reduciren, wenn Se
so’s Geld v'erquasen.“

„Das Bouquet war garnicht von mir,“ stolperte der Gescholtene heraus.

„Nich von Ihnen? So? Also gar von ’nem Andern! Wissen Se, was so’n
Kerl is — so'n Bruder mit Bouquetchens? ’n Liederjan — ’n Aff, ’n Ilanswurst —
nich 'n Dittchen würd' ich mer von so 'nem Keil schenken lassen und —“

Die Thür vvurde aufgerissen; der Rechtsanwalt fragte in's Zimmer hinein:
„Steputat, haben Sie mein Bouquet abgegeben? — Wem? Dem Fräulein selbst?
’s ist gut!“

Die Thür vvar wieder geschlossen. Der Bureauvorsteher rnachte ein langes
Gesicht — die Schreiber schienen jetzt sämmtlich mit der Nase zu schreiben.

•» ■»

In dem grossen Sitzungssaal herrscht eine schwebende Hitze. Auf den
riesigen Fenstern briitet die Sonne; die zusammengezogenen gelben Vorhänge
vermögen das Licht nur um ein weniges zu dämpfen. An dem erhöhten Richter-
tisch zeichnen sich die Silhouetten der drei schwarzen Roben in scharfen Um-
rissen gegen den Ilintergrund ab. Etvvas bei Seite beugt sich der Staatsanwalt,
der das Barett nicht abgelegt hat, über seine Acten und ihm zunäehst an der
Seitenvvand des Saales sitzen auf zwei Bänken hintereinander die Herren Ge-
schworenen. Es wlrd bereits seit Morgens neun Uhr verhandelt. Die Meineids-
sache, welche die ersten drei Stunden in Anspruch nahm, hat nicht viel Inter-
essantes gebracht. Jetzt ervvartet man Ersatz von der zwmiten; „contra Zielke

vvegen Mordes“ steht aut dem Terminszettel an der Eingangsthür. Zahlrei cie
noch als vorher hat sich das Publikum in den Saal gedrängt. und hinter d el
Schranken blickt eine vielköpfige Menge neugierig nach der Anklagebank hinübe'
Dort sitzt, halb verdeckt durch den breiten Rücken ihres Vertheidigers, el11
blasses, verhungertes Weib.' Sie sieht unschön aus; das Gesicht trägt die Spüi eI1
der erlittenen Untersuchungshaft — aber übcr den verhärmten Zügen liegt ein
nicht unsympathischer Ausdruck. Sie ist angeklagt, ihr achtjähriges Töchterche 1
vorsätzlich getödtet und an einem zweiten sechsjährigen einen Mordversuch be^
gangen zu haben. Die That soll durch ihr eigenes Geständniss und eine Anz a
v ron Zeugen, vvelche die näheren Umstände erläutern können. bevviesen vverde 11
Und die Verhandlung beginnt. Im Zuhörerraum ist nicht viel zu verstehen-
Die Angeklagte spricht mit leiser, oft unterdrückter Stimme; sie erzählt bruch
stückweise, mehr ausgefragt als berichtend. Ihre Vernehmung ist bald beeiid c ■
Dann hört man längere Zeit nur die eintönig fragende Stimme des Präsidente 1'
und die kurzen Antworten der Zeugcn: ein paar alte Frauen aus der Nach
barschaft der Angeklagten und zwei sachverständige Aerzte, darunter cl11
blutjunger Mensch, der seine Beobachtungen, den ersten Fall seiner eben übc>
nommenen Armenpraxis, mittheilt. Der wissenschaftliche Befund des Physik 11’
langweilt selbst die Geschworenen. Das Publikum fängt an unruhig zu vverdc 11'
es scheint zu befürchten, dass es auch bei diesem Falle seine Rechnung nic'' 1
finden werde. Plötzlich entsteht eine allgemeine Bewegung. Der Staatsanv'a' 1
hat sich erhoben. Die Sache sei klar, er könne sich kurz fassen. „. . . vch^’
wenn die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt, wegen Mordes mit dem Tod e
bestraft“ lautet das Resultat seiner Ausführungen. Er setzt sich. und alle Aug etl
schvveifen jetzt nach links, wo der Vertheidiger sein Playdoyer beginnt.

Eine traurige Aufgabe für den Rechtsanwalt, Jemand zu vertheidigen, d er
durcli ein unumwmndenes Geständniss sich selbst bereits das Urtheil gesprochc 11
hat. Aber doch; es gilt die mannigfachen kleinen Züge, welche die Verhandluür
ergeben hat, zu sammeln, die Aussagen der Angeklagten, Zeugen und Sach' cl
ständigen richtig zu einander zu gruppiren - die That zu erklären, begreifh 1-
zu machen, vielleicht zu entschuldigen. Es ist cin dunkles Bild, das da entrollt vvitd
Die Angeklagte ist seit zehn Jahren verheirathet, ilire Ehe von Anfang al1
unglücklich gewesen. Der Mann vvar Schneider und anfangs hatte er lohnend el
Verdienst; aber dann begann er zu trinken und vvollte niclit arbeiten. und vven 11
er Abends betrunken nach Hause kam, schlug er die Frau und die Ivind el
Lange Zeit liat sie es gcduldig ertragen — Jalire lang. Dann hat sie angefang 6* 1
sicli zu widersetzen; das hat ihn erst recht vvild gemacht: eines Tages — e”
sind jctzt etw'a vier Monate her — ist er oline Nachricht auf und davon gegang cl
und hat sie ohne Pfennig zurückgelassen. Sie hat sich nach Arbeit umgesehc 11

Der Staatsanwalt.
 
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