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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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B., P.: Laferme
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0390

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300

MODERNE KUNST.

Die Fabrik der Compagnie Laferme in Dresden.

iaferme.


'xaf Leo Tolstoi erzählt in einer seiner unvergleichlichen Schilderungen
aus dem russischen Kleinbauern-Leben von einem Manne, der auf nächt-
licher Fahrt durch den Wald von furchtbaren Schneewehen überfallen wird.
Schon sind ihm die Beine bis hinauf zum Unterleib erstarrt, nur eine Hand noch
vermag er zu rühren. Er fühlt es, weiss es: er ist dem Tode nahe. Und fatalistisch,
gottergeben, bereitet er sich zum Sterben. Da ertasten seine verkrümmten
Finger in der Tiefe der Pelztasche noch eine Cigarette ... Ja — gewiss —
sterben muss er — Gott will es so . . . Schade, dass er nicht noch einmal
ausspucken kann vor dem Hund von einem Verwalter, der ihn um einer Laune
willen hinausgejagt hat in diese todbringende Winternacht! Aber einen anderen,
höheren Genuss noch vermag er sich zu bereiten —• einen letzten! Mit Mühe
und Schmerzen zerren die steifen Glieder jene kleine, dicke Papiros hervor; es
gelingt ihm, sie zum Munde zu führen — ja, auch Feuer kann er noch machen
und nun brennt sie, dampft sie — nun steigt ihm der süsse Duft berauschend
zu Kopfe. Zwar der eisige Sturm raucht mehr an des armen Mannes Cigarrette,
wie er selbst, aber ein Paar volle kräftige Züge kommen ihm doch noch zu
Gute — ihm, dem Sterbenden, den man am anderen Morgen ausgräbt und
auf dessen hartgefrorenem Angesichte noch ein Schimmer stillen Behagens,
seligen Geniessens ruht . . .

Nur der Raucher, ja vielleicht nur der Cigarrettenraucher ist im Stande, dem
grossen russischen Dichter nachzufühlen, was er hier so erschütternd darstellt.

Die moderne Wissenschaft hat es uns längst verrathen, weshalb wir den
Rauchgenuss so sehr lieben, weshalb wir ihn so schwer entbehren. Es ist ein
süsses, leicht berauschendes Gift, das wir aus dem Tabak saugen. Wir wissen
auch, dass dieses Gift, mässig genossen, Verdauung befördernd und Nerven
anregend wirkt. Und endlich (ist sich Jedermann darüber klar, dass der leichte,
in geruchlos verbrennendes Papier gewickelte Tabak zuträglicher, appetitlicher,
sauberer ist als die leicht nässende Cigarre. Diese Erkenntniss hat denn auch
der Cigarrette in unverhältnissmässig kurzer Zeit eine ganz enorme Verbreitung
gesichert. Heute werden in Deutschland jährlich mehr als vier Millionen
Cigarretten geraucht, wovon allerdings nahezu 40 pCt. als „ägyptische“
Cigarretten importirt werden.

Merkwürdiger Weise jedoch giebt es wirkliche „ägyptische Cigarretten“,
das heisst aus ägyptischem Tabak gemachte Cigarretten, gar nicht.

Der Anbau von Tabak, welcher in Folge ungeeigneter Bodenverhältnisse
niemals grosse Bedeutung hatte, ist in Aegypten seit einigen Jahren gänzlich


verboten, weil die dortige Regierung das Blutenlassen des Tabaks aut die de* 1'
bar einfachste Weise, durch Erhebung hohen Einfuhrzolls, zu besorgen vorzi e''*
Alle von Kairo und Alexandrien verschifften Cigarretten sind zwar im Laf 1^
der Pharaonen fabricirt, enthalten jedoch lediglich türkischen Tabak v
genau denselben Qualitäten, welche fast allen deutschen Cigarrettenfabriken
gänglich sind und auch bei ihnen für die besseren Sorten Cigarretten
türkischen Rauchtabake Verwendung finden.

"hCr

Der neue Gesetzentwurf zur Tabakbesteuerung giebt uns heute Anlass, n®‘
auf die „ägyptischen“ Cigarretten einzugehen. Es scheint, als ob auch di e-
Gesetz, wie so viele andere bei uns zu Lande, am grünen Tisch ersonnen
Sonst wäre es kaum möglich, dass man ein Besteuerungssystem einfi'k" (
wollte, welches den Cigarren- und Cigarretten-Import thatsächlich (und 2 ^
ganz erheblich) begünstigt gegenüber den inländischen, wie wir soeben erfa' 11

haben, aus durchaus demselben Rohmaterial hergestellten Fabrikaten.

Die Compagnie Laferme, Deutschlands älteste und wohl auch g r
Cigarrettenfabrik, hat sich mit einer wohlbegründeten Protest-Denkschrift a n

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ei 1

Deutschen Reichstag gewendet. Wenn sich die Väter unserer Gesetzge

diesmal davon überzeugen Iassen. wie hier wieder einmal dem rechtschaff etI

deutschen Erzeugnisse schwere Hindernisse in den Weg gelegt werde 11

Gunsten des Auslandes, so wird die Compagnie Laferme hierzu reichlie* 1

Ihre beigetragen haben. Und damit allein rechtfertigt es sich, dass auch

nch 11,

„Moderne Kunst“, in derem Leserkreis ja das Cigarrettenrauchen — man n 10
fast sagen; obligatorisch ist — sich in Wort und Bild mit dem grossar 11*
Dresdener Etablissernent befasst. . ^

Geschildert wurde die gewaltige Fabrikanlage schon häufig. Man
dass es dort eine ganze Reihe grosser Maschinen giebt. welche täglich 1 ^
100000 Cigarretten liefern. Daneben fungirt eine Arrnee von Wicklerinnen,
jede wöchentlich 6—10000 Stiick fertig bringt. Sehr sehenswerth ist u. A- ,,
höchst complicirte Maschine, die man nur mit dem sorgfältig gemischten ^
zu füllen braucht, damit sie am anderen Ende fertig gerollte, bedruckte Cig arl" e ^
liefert. Der Tabak wird zunächst in schmale, bandartige Streifen gedrückt, d ie ge
sodann in eine endlose Papierhülse schieben. Ein Messerchen zerschneidet
Tabakswurst zu manierlichen Stücken und die rauchbare Cigarrette liegt v° r^jp
Schreiber dieser Zeilen meint sogar, es habe ihm niemals eine Cigarrette so vo
lich gemundet, wie jene „Barbarossa“ — die neueste und beliebteste Maike^ ^
Compagnie Laferme — die er sich frisch von derMaschine weg anzünden durft e
 
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