Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Ompteda, Georg: Der Spiegel, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0164

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
69

ei< Spiegel.

Von Georg Freiherr von Ompteda.

i Schluss. j

er Spiegel ist trübe. Ich wische mit dem Aermel darüber, weil
es auf dem Glase liegt wie ein Hauch, wie ein Schleier.

Doch das Unklare bleibt . . . ich kann nichts mehr deutlich
" erkennen.

Ich denke an die Jahre meiner Ehe, an die Zeit, wo ich meine Frau
'iebte, an die Kämpfe der Seele, als ich mit dem Wahrheitszeugniss rang,
°t> ich es ihr sagen sollte, wie ich sie gewann.

„Muth“, Du schönste Mannestugend, Dich besass ich nicht! Ich hatte
nicht die Kraft, es ihr zu sagen. Ich habe gerungen mit mir selbst —
lch unterlag jedesmal und schwieg. Ich habe Nächte lang schlaflos ge-
^ egen und bin mit mir zu Rathe gegangen, ob ich es ihr nun endlich
eröffnen sollte. Ihren Athem behorchte ich dann, und ich fürchtete mich,
Sle möchte erwachen und mich sehen, ,wie ich über sie gebeugt war und
Xtieh dann fragen, was ich eigentlich von ihr wollte. Davor zitterte ich.

Ich war grenzenlos feige, kläglich, gemein, elend .... verächtlich — feige.

Oh, der physische Muth hat mir nicht gefehlt. Ich habe sogar ein
öuell bestanden, und habe mich brav geschlagen, so dass die Secundanten
nilr nachher, als sie abends zum Diner bei mir waren, ihre Ilochachtung
aussprachen.

Wenn ich mir jedoch genau überlege, wie ich das gethan, so finde
lch nichts dabei, was ich mir zu Gute rechnen dürfte, denn meine Nerven
' varen vortrefflich damals, ich hatte kein Gefühl einer Gefahr. Gegen den
üineren elenden Menschen brauchte ich nicht zu ringen. „Der inwendige
Schweinehund“, wie die Herren in meinem Kreise das nannten, musste
nicht erst überwunden werden. Dazu wusste ich, dass mein Gegner
Schlecht schoss, und hinter mir stand die „öffentliche Meinung“, die für
’uich lautete. Das hatte man mir erzählt. Und dann hob es das Ansehen
so ein gut bestandenes Duell, und ich sagte mir, dass ich schon still
halten musste, — musste, denn sonst stand meine gesellschaftliche Stellung
auf dem Spiel.

Aber den Tag darauf habe ich geschwiegen, als man unerhörte Ver-
leumdungen schleuderte gegen den, an dessen Tisch ich jahraus, jahrein
Gastfreundschaft genossen. Ja ich weiss noch, dass ich mein Scheit Holz
2unr Scheiterhaufen mit hinzugetragen, auf dem ihm die Ehre verbrannt
"'urde. Warum? — Ich beugte mich der Majorität.

Ist der Spiegel trübe, weil mir sonst aus ihm Niedrigkeit der Gesinnung

und Gemeinheit entgegengrinsen müssten?

* *

*

Er ist noch immer bewölkt. Ich kann es nun deuten. Die eine Ltige,
»ht der ich meine Ehe begonnen, zog neue nach sich, die unser Leben
verdunkelten. Ueberall dunkle Punkte, Geheimnisse, Schleier.

Mir ist Offenheit abhanden gekommen.

* *

*

Jener aufmerksame, misstrauische Zug an den Augen, wenn ich sie
2ukneife beobachtend, am Munde, wenn er sich wegwerfend herabzieht,
^as ist die Eifersucht, mit der ich mein armes Weib oft gequält habe bis
Zur Verzweiflung.

Darum in auflodernder Leidenschaftlichkeit jenes Duell, das ich ver-
Ul'sachte. Und ich fühlte nicht, dass es eine Beschmutzung der eigenen
Schwelle war, eine Beleidigung der eigenen Frau solches zu denken und
den Menschen zu zeigen.

,,Wo Eifersucht ist, da ist Liebe“ entschuldigte ich mich, weil ich
^rnrner Ufnwege suchen musste, weil ich nicht einmal ehrlich war gegen
arich selbst.

Ein ganzes, langes Menschenleben hindurch habe ich bis jetzt Comödie
§ espielt vor mir selbst .... Doch nun will ich mich ergründen. Zer-
i'asern will ich meine Seele bis in die letzten Theile. Schonen darf ich
Ullch nicht m'ehr. Alles muss aufgedeckt werden, bloss gelegt.

Ist das auch Eigensinn, wie ich ihn friiher besass, Verranntheit, Wider-
sPruchsgeist, wenn ich die Lippen auf einander presste und die Stirn in
f'alten zog? * ,x. *

[Nachdruck verboten.]

Zum ersten Male bin ich darauf aufmerksam geworden, dass sich in
den Flügeln rechts und links am Spiegel mein Profil scharf zeigt.

So hatte ich es noch nie gesehen!

Ich bin hässlich geworden, so schaut die Habgier darein mit ihrem
Raubvogelkopfe, so der Grössenwahn mit seiner erhobenen Haltung, als
ob ich mehr bedeutete wie Andere.

Bin ich . . . bin ich . . . denn schlechter?

Nein schlechter nicht. Ich weiss genau, dass es welche giebt, die
mich noch übertrumpfen. Mörder und Diebe stehen doch noch unter mir

auf der Stufenleiter der Menschheit. Mörder und Diebe.ja . . .

aber .... aber .... nein . . . zum Verbrecher bin ich nicht geworden ....
nein . . . nein . . .

Du lügst, Spiegel . . . Du lügst . . . wenn Du das zu meinen wagst.

* *

*

Mich quält der Gedanke, was geworden wäre, wenn ich damals nicht
mir die Frau erheuchelt, wenn ich arm geworden wäre, ganz arm.

Hätte ich niemals nach fremdem Eigenthume die Hand ausgestreckt?

Nein — das nie .... Das beschmutzt .... das ist zu niedrig . . .
zu gemein ....

Und doch . . . wollte ich denn nicht wahr sein vor mir selbst? Endlich
wahr? Also Spiegel, nun zeige es mir!

Hat mir das Leben in das Gesicht einen Zug gegraben, der Diebstahl
bedeutet?

Er schweigt.

heute habe ich Muth.
. So frage ich Dich

Ich nehme die Frage auf. Ich habe Muth .

Es sieht ja keiner. Ich stehe ja niemand Rede
denn, todtes Glas, das dennoch zu mir spricht, das mir die Geheimnisse
enthüllt, das mir mein ganzes Leben zersetzt, ich frage Dich:

Da keine Linie heute an mir ist, die mich zum Verbrecher macht:
wenn sich damals mein Geschick nicht gewendet hätte, dass ich reich
wurde, wie sähe ich dann heute aus?

Was ... was ist das .... mein . . . Bild verschwindet und der
Spiegel wird matt? Und . . . und . . nun erscheint ein neues .... Um-
risse .... Schatten . . . lichte Stellen . . . ein Kopf .... wer ist das? . . .

Ich . . . ich kenne ihn nicht.ich . . . Du lachst mich an aus dem

Glase? . . . Aber doch kenne ich Dich nicht .... Ich bin es nicht . . .
wer denn .... wer .... das Haar trage ich nicht so . . . nicht so

kurz .... wie rasirt . . . nein . . nein.unmöglich .... und die

graue Drillichjacke? .... Ich habe kein glattes Gesicht . . . nein . . ich

trage einen Bart . . . und Du hast keincn . . . und eine Nummer auf
der Brust?

Du lachst?

So lache ich auch.

Ich bin das? Du nickst? Nein . . . das ist eine Lüge . . . wir sind

zwei . . . ich vor dem Spiegel . . . und Du der Sträfling darin.ich

habe mit Dir nichts zu schaffen . . . verdammte Fratze.

•X- -X-

*

Ich verstehe es nicht, warum ich gestern so aufgeregt gewesen bin
Mein Gesicht war genau wie sonst, ganz ruhig, ohne Bewegung, als ich

heute am Spiegel vorüberging und einen Blick hineinwarf.

* *

Als meine Mutter starb, war ich selbst schon älter und gleichgültiger
geworden. Ich war unempfindlich gegen den Verlust. Ich bin nicht mehr
traurig gewesen, als ob ein alter Bekannter verlöscht wäre. Wir waren
so lange auf den Tod vorbereitet, dass er mir gar keinen Eindruck mehr
gemacht hat.

Die alte Frau hat mir in einem langen Leben nur Gutes erwiesen,
sie hat mich nur geliebt, mir nie ein böses Wort gesagt, immer für mich
mit eigener Aufopferung gesorgt, und an ihrem Todestage empfand ich ihr
Scheiden einen Augenblick wie eine unangenehme Last.

IX 5. II.
 
Annotationen