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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Gustav Freitag
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G-g., X.: Der Graf von Cilli
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0389

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MODERNE KUNST.

299

Schaffens — auf allen Wegen, so der Nation einen Spiegel ihres Werthes
° rhaltend und sie durch die Erkenntniss der deutschen I üchtigkeit aus
Jer,em Zustande schlaffer Selbsterniedrigung reissend, bis es endlich in dem
&0ssen Kriege von 1870/71 durch die eigene Kraft das hohe Ziel sich erstritt.

du

Arb

So ist Gustav Freytag einer der Schöpfer dieses Zieles gewesen, nicht
rch Waffengewalt, noch durch die Kunst des Diplomaten; — durch die stille

schi

e,t des ackerbereitenden Säemannes, des unterweisenden Lehrers, des

4

a°enden Dichters, ohne die das Grosse niemals erreicht worden wäre.
^ Aber noch glaubte er das Ende seiner nationalen Arbeit nicht ge-
° nirr>en. Zwar stand die Nation auf der Höhe des Zieles, aber vorläufig
' Var nur das Aeussere gelungen, der innnere Sieg stand noch aus. Da

* ein Riickblick not. War's doch von je des Deutschen Art, sich
^üblerisch in das Vergangene zu vertiefen und aus dem wirren Zickzack

Cs durchlaufenen Pfades die Regel des Aufstiegs zu enträthseln. Diesen

* Uckblick auf das eigene Geschick eröffnete Freytag der Nation in seinem
| Cchsbändigen Romancyclus: „Die Ahnen“. Die Absicht, welche ihn
^‘ tete, spricht er selbst am Schlusse aus. „Je länger das Leben einer
, atl°n in den Jahrhunderten läuft, um so geringer wird die zwingende

acht, welche durch die Thaten der Ahnen auf das Schicksal der Enkel
^ sgeübt wird, desto stärker aber die Einwirkung des ganzen Volkes auf
Cn Einzelnen und desto grösser die Freiheit, mit welcher der Mann sich
Mbst Glück und Unglück- zu bereiten vermag.“ Dass der Dichter die
Cl°ische Reihe der Ahnen mit einem Journalisten endigen lässt, dürfte
keineswegs rein äusserlich als aus seiner Verehrung für die Presse
^ Vorgegangen anzunehmen sein, vielmehr liegt auch dieser Wahl ein
Crechtigtes, völkerpsychologisches Motiv zu Grunde. Es ist die Ge-

*I«o

tchi,

lchte einer „Königs“familie, die Freytag erzählt und deren Geschicke

1. aus der jedesmaligen Entwickelungsphase der Nation herauswachsen
hSst ... ...


Sst- In ihren Uranfängen von der brutalen Gewalt des Stärkeren, des

öni

Allo,

'gs, ausgehend, endigt sie im Siege des reinen Geistes, in der Herrschaft

Cr über Alle: in dem Journalisten Victor, dem Sprecher der öffent-

lichen Mei-
nung, dem Re-
präsentanten
des durch
Selbstzucht
selbstherrlich
gewordenen
Volkes.

Einfach,
wie er selbst,
war auch sein
Landhaus zu
Siebleben, in
dem einst Karl
August von
Weimar und
Goethe oft ein-
gekehrt wa-
ren. „Die gute
Schmiede“ hat-
ten sie es ge-
nannt. Hier
dichtete Frey-
tag seine gros-
senWerke,hier
wirdauchseine
letzte Ruhe-

stätte sein, in „Graf von Cilli.“ III. Akt.

Die Ritter des Cilli und die aufriihrerischen Bürger Wiens.

der Stille des

Gartens, in den er auszog „so oft der Frühling kam, die Obstbäume
blühten, Fink und Staar ihre Stimmchen erhoben“. —

|,m Raimund-Theater in Wien hatte vor Kurzem ein Schauspiel aus
der Feder des Grafen Markus Bombelles „Der Graf von Cilli“ so
ty. grössen Erfolg, dass es — trotz der divergirenden Urtheile in den
Ctler Blättern — angemessen erscheint, denselben auch in Ansehung der

dl!'. S° hn

rei t

. Jahren verstorbenen Grafen Carl Bombelles, welcher der treue Begleiter des
jjr- 1Ser Max von Mexiko und spätere Obersthofmeister des verblichenen Kron-
n;!en Rudolf gewesen, ist ein in der Wiener Gesellschaft hochgeschätzter

von

>raf

v°n Cilli.“ II. Akt. König Ladislaus empfängt die Deputation der Ungarn.

Cavalier, der auf dem Gebiete des Drama sich schon wiederholt bethätigt, aber
noch nie öffentlich gezeigt hatte. Man sah der Aufführung des Stückes, welchein
Director Müller-Guttenbrunn eine sorgsame Ausstattung zu Theil werden liess,
sonach mit einiger Spannung entgegen, und wenn auch bei den oberen Zehn-
tausend das Interesse für das historische Schauspiel kein allzugrosses ist, so
hatte sich doch am 23. April im Raimünd-Theater eine Gesellschaft Rendez-vous
gegeben, wie sie sonst nur bei Premieren erster Ordnung zu sehen ist.

„Der Graf von Cilli“ ist ein vaterländisches Schauspiel, das den letzten
dieses Stammes, Ulrich II., in seinem Kampfe für ein einziges grosses Oester-
reich schildern soll, im Kampfe gegen die separatistischen Gelüste der Ungarn,
in einem Kampfe, der ihm den Untergang bringt. Von Ladislaus Posthumus,
dem schwachen und kindlichen Herrscher, zur Regentschaft berufen, fühlt er
sich kühn und stark genug, den österreichischen Landen Ruhe, Einigkeit und
Grösse zu geben. Die Ungarn, eifersüchtig auf ihre Privilegien, weigern sich,
seine Herrengewalt anzuerkennen, und in dem darob entfachten Kampfe fällt
Cilli — „Graf von Cilli und nimmer Grafen von Cilli“. — Leider fällt der Held
nicht als Märtyrer seiner Sache, sondern als Opfer seiner ungezügelten Sinnlich-
keit, mit der er des Geheimschreibers Merbold jugendliche Frau umgarnt, diesen
im Kampfe ersticht, urn schliesslich nur das Opfer des Rächers seiner Hausehre,
des Wiener Bürgers Kaspar Merbold zu werden, der ihn im meuchlerischen
Ueberfall erschlägt. Damit ist der Schwerpunkt des Dramas verschoben und
eine Zwiespältigkeit des Thema’s geschaffen, die der praktischen Wirkung Eintrag
thut. Nichtsdestoweniger hatte die Novität einen stiirmischen Erfolg, der wolil
allerdings auch mit auf Rechnung der Ausstattung zu stellen ist, die weit iiber
den Rahmen der bisherigen Gepflogenheit ging. Maler Heinrich Lefler lieferte
die Figurinen, Kautzky und Rottonara die Decorationen, unter welchen
namentlich die Thallandschaft bei Cilli und die Parthie aus Alt-Wien „Marie
am Gestade“ besonderen Effect machten. Die historisch getreuen Trachten aus
der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, die Decorationen, der grosse
Aufwand in Comparserie und eine vorzügliche begleitende Musik von Max von
Weinzirl werden ihre Anziehungskraft auf das Wiener Publikum nicht ver-
fehlen. In den Hauptrollen haben sich die Damen Barsescu und Lanius und
die Herren Ranzenberg, Lucas und Brandes vielen Beifall geholt und auch
die übrigen zahlreichen Mitwirkenden — das Stück verlangt 38 Sprecher — ihre
Schuldigkeit gethan. Nach dem „modernen“ Drama ein „Ritterstück“ ist gerade
das, was die Wiener wollen. X. v G—g.
 
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