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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Wigger, Hedwig: Eine Mutter
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296

MODERNE KUNST.

konnte, den rothen Schnabel — da, die rothen P'üsschen . . , nun kamen sie
wieder ganz nahe, ihr Krächzen war unheimlich, lang gezogen, wie wenn sie
gemartert Würden. Nach kaum einer Secunde kam die erste zurück, ihre Flügel
schlygen gegen einander, immer hin- und herkreiste sie und stiess mit ihren
Flügelspitzen gegen das Gestein. Da kam auch die andere und trug im Schnabel
eine dritte, mit der sie einen Kreis über das Wasser beschrieb, mit ihr unter-
und auftauchte und nach der Wiek zuflog. Nach einigen Minuten kam sie
zurück, holte eine vierte, eine fünfte und sechste. Ganz still standen die
Frauen und sahen den Vögeln zu. Diese kleinen Seeräuber brachten zuerst
ihre .Jungen in Sicherheit. „Von so ’n Thier kann man was lernen," sagte
Frau Holsten zu einer Nachbarin, „die Alte lebt und stirbt für’s Junge.“

„Nu, anders könnt’s doch wohl nich sein, würd'st Du Deine Frieda in
Wassersnoth lassen und Dich retten?“

„Gott bewahr’ mich, das meinst Du doch nich? ich bin doch nich weniger
als ein unvernünftiges Vieh!“

Diese Worte waren fast im P'lüstertone gesprochen; aber Dörthe Köster
hörte jede Silhe. Wie unbarmherzige Schläge trafen sie dieselben, und dazu

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sah sie die Möve ängstlich mit den Flügeln schlagen und das Nest urnkr el
das seine Jungen barg. „AU’ för de Lütt, all' för Düren . . .“ ^cfl.

Sie ging schnell zurück in das Dorf. Das Wohnhaus war wie ausgesto

„Dörthe, wo bist Du?“ fragte sie.

Da befreite sich der blonde Kopf ihres Kindes aus den aufgestützten Hän
die noch nass von Thränen waren.

„Was machst Du, warst Du nicht bei Pastors?“

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Dora schüttelte den Kopf. „Der Herr Pastor war hier und Käthe unu
hab’ ich zugesehen, wie das Wetter heraufgezogen kam“. ^

„Nu“, sagte die Mutter, verlegen an ihren Kleidern zupfend, „wir
beide rnorgen hingehen — — wenn er meint, dass es Zweck hat, dann s°
Du — — auch ’was lernen, alles lernen, was Du kannst.“ ^

Einen Augenblick war es so still in dem Raum, dass inan kaum das Ath 11
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der beiden Frauen vernahm. Da sprang Dora auf, schlug ihre Arme um

Nackcn der Mutter, die sie zum ersten Male in all' den langen, bangen J a (

fest an sich drückte und unter Schluchzen jubelte sie: „Mutter, Mutter, vv'i £ B

bist Du!“

nsere milder.

jBjjjpas Symbol dei lockenden, verderbenden, trügenden Liebe waren in dcr
griechischen Mythe die „Sirenen“, die Vorbilder der Loreley. Wehe

dem Schiffe, das sich durch den Gesang der schönen Weiber angelockt,
den Felsenriffen ihrer Insel näherte! In A. Frenz’ Darstellung hat die Mythe
greifbarere Gestalt gewonnen. Dem Künstler schwebten jene Liebesinseln vor,
von deren Gestade aus die Priesterinnen der Aphrodite die Vorübersegelnden
Schiffer einluden zu kurzer Rast von gefahrvoller Meerfahrt.

Der anmuthigste Liebesmythus des klassischen Alterthums ist der von der
irdischen Königstochter „Psyche“, die ihre Treue dem Neide der Aphrodite
entzog und zu den Göttersitzen der Olympier erhob. W. Kray hat fiir sein
Bild den Augenblick gewählt, wo sie durch ihre Neugier den in heisser Lciden-
schaft für sie entbrannten Gott Amor von ihrem Lager verscheucht hat und,
eine Verkörperung der trauernden Liebe, sehnsüchtig hinausschaut in die Ferne!

Psyche und Sirene zugleich, lockend, trauernd und sich in Sehnsucht ver-
zehrend, verkörpert Ciffariello in seiner „Cameliendame“ die moderne Sinnen-
liebe. Vernichtend und noch im Tode verklärend ist die reine Neigung in den
entweihten Körper der Demimondaine eingezogen. Schon zucken die Finger
auf der Decke ihres Schmerzenslagers im Todeskampf, der Rest des entfliehenden
Lebens concentrirt sich in den weit geöffneten Augen, und der müde Leib hebt sich
verlangend dem Einzigen entgegen, den sie wahrhaft und aufopferungsvoll geliebt.

* *

Losgelöst von aller Selbstsucht, sich verallgemeinernd und auf die Mensch-

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heit ausdehnend, erscheint die Liebe in ihrer Verklärung zur Barmherzio ^
„Besuch bei der Kranken“ nennt Paternina seine ergreifende Darstellung d ,e s

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christlichen Tugend. Schweres Siechthum hat die lockige Spielgefährtin aui

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gepflegt, aber der Sonnenschein zieht erst mit der Kameradin ein, die von
Mutter begleitet an das Schmerzenslager tritt, von dem Arm der Pflegerin
schlungen. Leibliche Stärkung trägt sie im Körbchen und bringt ihre Wün s
dar für eine baldige Genesung.

Modern und ausschliesslich christlich ist auch der Begriff der Lieb e ,

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Gott. Mag der Gottesbegriff ursprünglich aus dem Gefühl der Furcht
Hülflosigkeit hervorgegangen sein, über die Dankbarkeit für gewährtes I'l e
iiber das Vertrauen auf ferneren Schutz hinaus gelangt er zu der reinen G ott \e
liebe, unabhängig von äusseren Cultusformen. Wahre Gebetsinbrunst, W* 6 . ^
Dammeier in seinen „Betenden Tirolern“ zur Anschauung bringt, erhält 51

arn stärksten da, wo die Abhängigkeit von unberechenbaren elementaren Kfl 3'


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am augenfälligsten wirkt. Der Landmann und der Bergbewohner bedarf
meisten jener gottlichen Kraft, die er als Beherrscherin der Naturgewalten a)l1
Ueber das Grab hinaus bethätigt sich Neigung und Freundschaft im l etz ,
Willen. Was in Munsch’s „Testamentseröffnung“ den vornehmen Verwan ■
als eine materielle Pflichterfüllung des Erblassers erscheint, wird den mit Leg* 1 ^
bedachten Armen gegenüber zur freien Liebesgabe, die sie mit verklä*
Gesichtern und Dankesthränen entgegennehmen.

F. Ciffariello. Cameliendame.
 
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